Historische Flugplatzhallen plattgemacht: Kulturelles Erbe versus Wohnungen

Denkmalschutz für Hallen, in denen Flugpioniere bastelten? Fehlanzeige. Die Überreste des Flugplatzes Berlin-Johannisthal sollen verschwinden.

Eine Illustration der Flughafenhalle. Ein Flugzeug mit Propeller steht darin. Um die Halle zwei große, dunkle Krallen.

Alte Hallen des ehemaligen Flugplatzes Johannisthal sollen verschwinden Illustration: Jeong Hwa Min

BERLIN taz | Die Bagger sind schon da und verrichten ihr zerstörerisches Werk. Was sie gerade einreißen und plattmachen, ist nicht weniger als die Wiege, der Ursprung der deutschen Luftfahrt. So sehen das jedenfalls Karsten Feucht und Nils R. Schultze, die jahrelang als Vertreter des Berliner Kulturerbenetzes dafür gekämpft haben, möglichst viele der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude auf dem 1909 eröffneten ehemaligen Flugplatz Johannisthal im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick zu retten. Den Kampf aber haben sie weitgehend verloren.

Der Bebauungsplan steht seit Anfang Januar dieses Jahres und sieht vor, dass mehr oder weniger alles hier rasiert wird und dem Bau von 1.800 Wohnungen weichen muss.

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Historisch bedeutungsvoll

Man geht mit den beiden das umzäunte Gelände entlang, sieht riesige ehemalige Flughallen und Verwaltungsgebäude, die ziemlich verfallen wirken. Das seien trotzdem erhaltenswerte, einmalige, historisch bedeutungsvolle und architektonisch besondere Gemäuer. Aus deren Substanz ließe sich noch etwas machen. Und dann geht man vorbei an einem eher unscheinbaren ehemaligen Pförtnerhäuschen. Ausgerechnet das unter den Gesichtspunkten des Denkmalschutzes wertlose Gebäude dürfe bleiben.

Man merkt: Die beiden verhinderten Flugplatzretter finden es wirklich gar nicht gut, was hier gerade passiert. Dann zeigen sie auf die ehemalige 150 Meter lange Flughalle 4, aus der eine Markthalle werden soll. Wie mit der genau verfahren werden soll, sei noch nicht klar, eventuell werde sie rekonstruiert. Dass hier die Bagger noch nicht randürfen, immerhin das hätten sie mit ihrem Engagement erreicht, sagen sie.

Ganz leicht fällt es nicht, die Schwärmerei für ein Areal zu teilen, das seit fast drei Jahrzehnten vor sich hin rottet. 1995 verließ der letzte Nutzer der Hallen, der hier Kühlschränke herstellte, den Standort. Danach gab es mehrere Brände, und wenn man sich die Hallen nun als Laie so anschaut, denkt man sich, bei diesem Schmuckstück aus der Abteilung der „Rotten Places“ ist eigentlich nichts mehr zu retten.

Aber dann stecken einen die beiden Flugplatz-Guides doch ein wenig an mit ihrer Schwärmerei für diesen Ort, an dem der Geschäftsmann Arthur Müller Anfang des 20. Jahrhunderts den ersten privat betriebenen Flugplatz Deutschlands überhaupt hinstellte.

Tollkühne Flugpioniere

Die Besonderheit

Das Feld, auf dem die Pioniere der deutschen Luftfahrt in Johannisthal ihre Flugkisten ausprobierten, existiert noch – als riesengroßer Landschaftspark. Auf der Südseite liegt Adlershof, wichtiger Wirtschaftsstandort, wo denkmalgeschützte Bauten von damals weit­gehend erhalten blieben. Die verfallenen Hallen auf der Nordseite, in denen die Geräte aus der Flugpionierzeit gebaut wurden, werden nun nach über hundert Jahren abgerissen.

Die Zielgruppe

Luftfahrtinteressierte genauso wie Lost-Places-Spotter. Die alten Hallen sind zwar eingezäunt und werden bereits abgebaggert. Aber man kann immer noch gut einen Blick auf diese werfen.

Hindernisse auf dem Weg

Vor allem die Zeit. Wohl bereits in ein paar Wochen wird von den alten Gebäuden kaum noch etwas übrig sein.

Karsten Feucht holt nun seinen Laptop raus und zeigt ­historische Bilder von tollkühnen Flugpionieren, die hier teilweise selbst an eigenen Flug­kisten bastelten in der Hoffnung, dass diese vom Boden abheben würden. Es gab regelrechte Flugwettbewerbe mit Preisgeldern damals, und die Leute kamen in Scharen, um spektakuläre Crashs zu erleben.

Feucht drückt einem dann noch das Buch „Als die Old­timer flogen“ über die Geschichte des Flugplatzes Johannisthal in die Hand. Flugapparate mit Fledermausflügeln sind in diesem abgebildet oder eine völlig bizarr anmutende Konstruktion, die sein Erfinder „Luftfahrtgestühl“ nannte und die er dann eigenhändig kurz und klein schlug, als er einsehen musste, dass dieses Ding niemals flugfähig sein würde.

Nosferatu lässt grüßen

Rumpler, Fokker und die Gebrüder Wright, alle waren sie hier, um immer noch bessere Flugmaschinen zu bauen und auszuprobieren. Bis der Erste Weltkrieg kam und das Gelände nur noch militärisch genutzt wurde und der Abstieg des Flugplatzes begann.

Nach dem Krieg durften gemäß dem Versailler Vertrag nur noch sehr beschränkt Flugzeuge in Deutschland gebaut werden. In den Hallen, die nun abgerissen werden, wurden stattdessen Autos gefertigt und ein Filmstudio zog ein, in dem unter anderem Teile des Klassikers „Nosferatu“ von F. W. Murnau gedreht wurde. Feucht erklärt, Flugplatzbetreiber Arthur Müller sei einfach ein findiger Geschäftsmann gewesen, dem immer wieder Neues einfiel, um seine Hallen nicht schließen zu müssen.

Auf der südlichen Seite des Flugplatzes forschten die Nazis dann später heimlich, um Kampfflugzeuge zu entwickeln. Unter anderem in dem kegelförmigen sogenannten Trudelturm, in dem bestimmte aerodynamische Phänomene simuliert wurden. Der Turm steht noch, so wie das meiste auf diesem Teil des Flugplatzes, und er ist auch zu sehen auf dem Cover der aktuellen Platte von Rammstein.

Karsten Feucht sagt: „Die ­Bauten der Nazis hat man letztlich gerettet, die aus der Zeit der zivilen Flugpioniere werden nun zerstört.“ Die Erinnerung an Letztere werde damit weit­gehend verblassen, befürchtet er.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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