„Kleber haben wir genug“

Der sozialökologische Politiker Boris Palmer über den Irrtum des Klima-Protests und das reale Problem der Transformation. Er kommt zum taz lab

Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Interview Peter Unfried

wochentaz: Lieber Herr Palmer, sollte man Politiker fragen, welche Elemente einer ökologischen Kultur sie in ihren Lebensstil integriert haben?

Boris Palmer: Kann man schon fragen. Das bringt nur keine großen Erkenntnisse. Die Aufgabe eines Politikers ist es, von sich selber zu abstrahieren und eine Position zu finden, die für das Gemeinwohl gut ist.

Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, ihr Ministerpräsident Kretschmann, hatte in der Energiespardiskussion erwähnt, dass er auch mal zum Waschlappen greife statt zur Dusche, worauf große gespielte Empörung ausbrach.

Die Waschlappen-Ebene, also die mediale Stilisierung von Öko-Tugenden, kann man generell vergessen. Die Leute ändern sich jetzt erst mal nicht oder nur ganz wenig.

Der Vizekanzler sagt immer, es sei bewundernswert, wie viel Gas in der Krise eingespart wurde.

Ja, weil BASF die Produktion nach China verlagert hat. Aber die Leute duschen nicht kürzer und sie machen auch die Wohnungen nicht kälter.

Jetzt haben wir Leute auf den Straßen, die Klimapolitik verlangen und Gesetzesbrüche mit einem höheren Ziel begründen. Hilft das?Ich glaube, es hält mehr auf als sonst was.

Begründung?

Ich habe noch niemanden getroffen, der sagt: Wegen der Klebe-Protestierer machen wir jetzt ein konkretes Klima-Projekt, damit es schneller vorangeht. Ich treffe aber viele Leute, die sagen: Das regt mich auf. Der Irrtum dieser Art Protest ist, dass er sich auf Waschlappen-Ebene bewegt und immer noch glaubt, den Leuten erklären zu müssen, wie wichtig Klimaschutz ist.

Muss man nicht?

Nein. Anders als vor zehn Jahren haben eigentlich alle wesentlichen Akteure begriffen, wie wichtig das ist. Das Problem ist nicht mehr der politische Wille.

Sondern?

Wenn Habecks Kabinettsvorlage demnächst durch den Bundestag geht, ist die jahrhundertelange Vogelprüfung beendet, dann kann man Windräder gesetzlich einfach hinstellen. Das stimmt mich zuversichtlich. Das Problem ist aber, dass du sie nicht bestellen kannst, weil sie nicht lieferbar sind. Du kannst keine Trafos bestellen, weil sie nicht lieferbar sind. Du kannst keine Solar-Monteure bestellen, weil die alle ausgebucht sind. Und die Wärmepumpe kriegst du auch nicht geliefert.

Das klingt etwas zugespitzt.

Ist es auch. Nach ein, zwei Jahren kommt das Zeug schon, aber mein Punkt ist: Es ist eben nicht mehr der fehlende politische Wille, es ist die fehlende Fähigkeit von Bürokratie und Wirtschaft, es auch zu tun. Wir stehen uns selber im Weg wegen gnadenloser Überregulierung und Mangel an Fachkräften. Wir haben also ein ganz anderes Problem, als die Protestierenden adressieren.

Was machen wir da als gesellschaftsengagierte Bürger?

Wenn man das voranbringen will, muss man jetzt in andere Positionen rein, als wir das gewöhnt sind. Wenn du etwas Gutes tun willst, gründe eine Firma, die Solaranlagen installiert und überzeuge viele deiner Kumpels, dass sie sich schnell zum Solarmonteur ausbilden lassen, damit die Dinger auf die Dächer kommen

Dieser Gedanke zukunftsorientierten Unternehmertums ist rhetorisch von FDP-Politikern besetzt, die damit Klima-Protest-Leute ausschimpfen.

Ja, das tut mir jetzt leid, dass die FDP auch mal was Richtiges sagt, aber wir brauchen einen Gründungsboom von Firmen, wir brauchen Leute, die in diese Branchen reingehen, um es zu machen. Was wir nicht brauchen, sind noch mehr Leute, die sich festkleben und diskutieren. Da haben wir genug.

Sie sind ein sozialökologischer Macher und wurden zweimal wiedergewählt. Daher muss die Frage lauten: Was machen Sie so, dass Sie Mehrheiten dauerhaft hinter sich behalten?

Ich hab’ ja gesagt, dass in der Vergangenheit der Engpass der politische Wille war, das Richtige zu tun. Da ging es darum, zu überzeugen, zu sagen, das ist wichtig, das müssen wir machen, das rechnet sich wenigstens langfristig. Unsere riesigen Investitionen in Erneuerbare Energien waren lange Zeit fraglich wegen wirtschaftlicher Bedenken der Konservativen im Gemeinderat. Aber jetzt müssen wir Übergewinnsteuern zahlen, weil wir so viel Geld damit verdienen.

Ideal.

Boris Palmer, Jahrgang 1972, ist seit 2007 Oberbürgermeister der Stadt Tübingen. 2022 trat er als parteiloser Kandidat an, weil seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende 2023 ruht.

Ja, aber jetzt sind wir in der nächsten Engpassebene, und das ist die Schwierigkeit, den politischen Willen auch tatsächlich umzusetzen. Da sind wir im Bereich der Vorschriften und bürokratischen Hemmnisse. Wenn du da vorankommen willst, dann musst du als Oberbürgermeister bereit sein, die Verantwortung zu übernehmen für kontrollierten Gesetzesbruch.

Also doch Gesetzesbruch wie die Letzte Generation?

Nein, ich meine das nicht im Sinne von: gegen das Strafgesetzbuch verstoßen. Aber es gibt unfassbar viele Vorschriften, die nicht strafbewehrt sind. Wenn du nur Dienst nach Vorschrift machst, dann geht in Deutschland nichts mehr voran.

Was folgt daraus für unsere Zukunftsfähigkeit?

Frei nach Willy Brandt: Weniger Bürokratie wagen.