Dschingis Khan schlägt Chillen

BILDUNG Sinne schärfen, Persönlichkeit bilden und Konflikte lösen: Erlebnispädagogik boomt, auch das Angebot anthroposophisch geprägter „Erlebens“-Freizeiten wächst

Ohne Geld an Essen kommen: eine Grenzerfahrung, an der Jugendliche wachsen

VON CHRISTOPH RASCH

Eine typische Szene: knisterndes Lagerfeuer, davor einige Heranwachsende, die soeben mit eigenen Händen eine Waldhütte aus Hölzern gebaut haben – und gespannt ihrer ersten Nacht im tiefsten Wald entgegensehen. „Gerade in der Natur erfahren Jugendliche viel über ihre eigene Stärke“, sagt Lilith Chromow vom Stuttgarter Verein Aventerra, der zu den großen Anbietern von Kinder- und Jugendfreizeiten mit „Erlebens“-Charakter gehört. „Die Teilnehmer lernen“, so Chromow, „dass sie Situationen meistern können, an die sie vorher nie gedacht hätten.“ Sich etwa über die selbst gebaute Seilbrücke hangeln oder – auch das hat Aventerra im Angebot – zu Fuß die Alpen zu überqueren.

Ob Kletter- oder Kanutouren, ob Helden-, Ritter- oder Indianerwelten: Die Palette angebotener Erlebnisreisen und -Freizeiten für Kinder und Jugendliche lässt hierzulande kaum noch Wünsche offen – aus anthroposophischer Sicht will man sich allerdings deutlich absetzen vom Event-Charakter mancher Angebote. Den Pädagogen von Aventerra etwa geht es um die Gruppendynamik – die beeinflussen sie durch gestellte Aufgaben. Etwa, wenn eine Schulklasse als Ganzes ihren Weg durch einen Wald finden soll: „Wenn zwei Starke vorpreschen und die Schwachen in der Gruppe kommen nicht hinterher, dann ist die Aufgabe nicht erfüllt“, so Chromow.

Nicht ohne Grund setzt Aventerra einen seiner Schwerpunkte auf das Thema „Gewaltprävention“. „Körperliche Konflikte lassen sich eben am besten verhindern, indem man die emotionale Intelligenz der Jugendlichen stärkt“, sagt Chromow, „und genau da setzt ja die Erlebnispädagogik an: Wer seine sozialen Kompetenzen ausbaut, der löst Probleme nicht mit Schlägen.“

Auch beim Freiburger Anbieter EOS – neben Aventerra einer der großen deutschen Anbieter anthroposophisch orientierter Erlebenspädagogik – registriert man eine erhöhte Nachfrage nach Klassenfahrten, die der Prävention von Mobbing unter Schülern dienen sollen. Schul-Konflikten wollen die Freiburger mit Bildungsthemen und Kultur begegnen: „Griechen und Dschingis Khan“ statt „Chillen und Grillen“ stehen bei den Fahrten auf dem Programm – EOS betreibt dafür eigene Filialen in Italien, Griechenland und der Türkei.

„Wir setzen bewusst nicht auf die schnellen Effekte“, sagt Michael Birnbaum, Waldorf-Pädagoge und EOS-Mitbegründer. „Der schnelle Kick beim Bungee-Jumping oder der Adrenalin-Schock beim River-Rafting ist nicht unsere Sache.“ Nachhaltige Wirkung zeigen „erst die leisen, sensiblen und den Kern der Persönlichkeit treffenden Erlebnisse“. Herzstück im EOS-Angebot sind einwöchige Ferienlager mit einem Kursangebot, das an den Lehrplan der Waldorfschule angelehnt ist und sportliche, handwerkliche oder künstlerische Elemente enthält.

Die darin vermittelten „handlungsbasierten Erfahrungen“ finden in Deutschland längst nicht nur in der freien Natur statt: Der 2005 gegründete Berliner Anbieter Eventus etwa bietet neben Sommercamps und einer eigenen Ausbildungsschiene für Pädagogen auch eine Reihe von Erlebnisaktionen in der Großstadt an. „Unsere Absicht ist es, dabei eine neue, nicht alltägliche Sinneserfahrung auf die gewohnte Umwelt zu vermitteln“, sagt Eventus-Vorstand Iduna Bockemühl, „zum Beispiel, indem wir unsere Teilnehmer mit verbundenen Augen durch die Straßen laufen lassen, wo sie sich ihre Umgebung nur hörend und riechend erschließen.“ Dem Eventus-Team ist bei ihren Stadtrallys der soziale, kommunikative Aspekt besonders wichtig – die Herausforderungen liegen hier zum Beispiel in Begegnungen und Interaktionen mit fremden Menschen. „Wir verteilen Aufgaben, die etwa darin bestehen, 50 Passanten zu überreden, ein gemeinsames Gruppenfoto auf dem Alexanderplatz zu machen“, so Bockemühl, „oder ohne Geld etwas zum Essen aufzutreiben – natürlich ohne zu stehlen.“ In den Nachbereitungen berichteten viele der jungen Teilnehmer, „dass das für sie eine richtige Grenzerfahrung gewesen sei, an der sie wachsen konnten“.

www.aventerra.de, www.eos-ep.de, www.eventusberlin.de