Anwalt darf Polizisten „Rassist“ nennen: Freispruch nach Beleidigungs-Klage

Der linke Bremer Anwalt Jan Sürig musste sich vor dem Amtsgericht Delmenhorst verantworten. Das Gericht sprach ihn vom Vorwurf der Beleidigung frei.

Ein Polizist während einer Razzia

Polizei bei einer Razzia gegen eine arabische sogenannte Großfamilie in Duisburg (Symbolfoto) Foto: Christoph Reichwein/dpa

BREMEN taz | „Vergessen Sie’s“, pflaumt Jan Sürig den Staatsanwalt an, der ihm im Saal 2 des Amtsgerichts Delmenhorst gegenüber sitzt. Der hat ihm gerade vorgeschlagen, das Verfahren einzustellen – gegen Zahlung eines Bußgeldes an eine gemeinnützige Einrichtung. „Es gibt keine Einstellung“, sagt Sürig in demselben schneidenden Ton, mit dem er zu Beginn der Verhandlung dem Richter geantwortet hatte, als der ihn nach seinem Familienstand fragte. „Ich gebe keine Auskunft zu meinen persönlichen Verhältnissen“, hatte Sürig gesagt, „weil es hier keine Verurteilung geben wird.“ Damit sollte er recht behalten, am Ende wird er freigesprochen.

Drei Verhandlungsstunden und fünf Zeugenaussagen dauert es, bevor das Gericht am Mittwoch in Delmenhorst dieses Urteil fällt. In einem Verfahren, in dem es um verletzte männliche Eitelkeit geht, ums Rechthaben natürlich und irgendwie auch um Rassismus bei der Polizei, eine Debatte, für deren Austragung es allerdings bessere Orte als das Amtsgericht Delmenhorst gibt.

Eigentlich sollte der Staat für so etwas kein Geld ausgegeben müssen, findet auch der Staatsanwalt, weswegen er mehrfach versucht, Sürig zum Einlenken zu bewegen. „Sie sind zwei gestandene Männer, die sich an den Karren gefahren sind“, hat er jetzt gerade gesagt, da hat allerdings der eine dieser beiden Männer, ein Delmenhorster Polizist, den Saal bereits wieder verlassen. So hört nur Sürig seine Worte.

Der 57-Jährige ist ein auf Migrationsrecht spezialisierter Bremer Rechtsanwalt, aber in diesem Verfahren sitzt er selbst auf der Anklagebank. Er soll am 4. Dezember 2018 den Polizisten „Rassist“ genannt haben, der ihn deshalb wegen Beleidigung angezeigt hat. Die Staatsanwaltschaft, deren Vertreter heute so an einer Einstellung gelegen ist, hätte das Verfahren nicht eröffnen müssen – und sie hätte auch nicht Revision einlegen müssen, nachdem Sürig vor einem Jahr vom Amtsgericht Delmenhorst schon einmal freigesprochen worden war.

Empörung auch vier Jahre später

Und auch Mark S. hätte sich fragen können, ob seine Anzeige notwendig gewesen ist. Aber auch als er heute, vier Jahre später, als Zeuge über den Vorfall spricht, steht ihm die Empörung ins Gesicht geschrieben. „Er hat mich angeguckt und wörtlich als 'Rassist’ tituliert“, erzählt er. Immer wieder wiederholt er den Satz und betont, Sürig habe ihn „persönlich“ angesprochen.

Einmal spricht er Sürig während seiner Aussage direkt an. „Das ist eine Unverschämtheit“, sagt er zu ihm. In 30 Jahren als Polizist sei er oft beleidigt worden, aber „so eine Schweinerei“ habe er noch nie erlebt. „Sie sind ja kein dummer Mensch, Sie haben Jura studiert“, sagt der 51-Jährige zu Sürig, „was fällt Ihnen ein, mich als Rassisten zu bezeichnen?“

Ob Sürig ihn allerdings tatsächlich so genannt hat, wird weder aus seiner Aussage noch aus der anderer Zeugen deutlich, Sürig streitet es ab, der Richter hält es für erwiesen. Sürig könnte auch etwas gesagt haben wie: „Wenn Sie solche Worte wählen, dann ist das rassistisch.“ Denn damals vor vier Jahren, als er das R-Wort benutzt haben soll, hatte sich Sürig seinerseits sehr aufgeregt. Er war als Verteidiger an einem Verfahren gegen Mitglieder der Familie Miri beteiligt, Mark S. hatte als Zeuge ausgesagt.

Sürig, darin besteht Einigkeit bei allen Beteiligten, hatte dem Polizeihauptkommissar vorgehalten, er habe in seinem Bericht vom „Miri-Clan“ gesprochen und damit eine Formulierung verwendet, die nahelegt, jemand werde aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit kriminell. Daraufhin habe Sürig einen minutenlangen Monolog über Sippenhaft und NS-Strafjustiz gehalten, sagt Mark S. Ein Zeuge, der damals als Staatsanwalt im Gericht war, bestätigt diese Wahrnehmung.

Es geht um den „Clan“-Begriff

Wer Sürig schon einmal in einem Verfahren erlebt hat, kann sich das bildlich vorstellen. Er drischt auf die hässlichen Fratzen von Rassismus und Faschismus ein, kaum blicken sie um die Ecke. „Ooooho“, stöhnt er jetzt, „und damit wird man Richter in Oldenburg!“ Damit meint er den Staatsanwalt im Zeugenstand, der mittlerweile als Richter arbeitet. Der sagt, er habe es damals nicht für nötig gehalten, zu intervenieren, als Mark S. in seiner Zeugenbefragung ebenfalls den Clan-Begriff verwendete. „Das hatten Sie doch bereits getan“, sagt er zu Sürig.

Mark S. erinnert sich, dass er im Zeugenstand zunächst gesagt hatte: „Das ist eine Familie, die Straftaten begeht.“ Er habe sich dann – vermutlich aufgrund von Sürigs Intervention, das kann niemand mehr so richtig rekonstruieren – verbessert, „das ist eine Familie, deren Mitglieder Straftaten begehen“.

Als Verteidiger sei es ihm darum gegangen, mit der Kritik am Clan-Begriff auf selektive Wahrnehmung und Rassismus bei der Polizei hinzuweisen, sagt Sürig. Das Gericht folgt ihm darin und wertet in seinem Urteil seinen Satz über Rassismus nicht als Beleidigung, sondern als Meinungsäußerung sowie als Bestandteil seiner damaligen Verteidigungsstrategie.

In eigener Sache ermittelt

Wie recht Sürig mit der selektiven Wahrnehmung hat, zeigt sich darin, dass Mark S. zwei Männer, deren Auseinandersetzung mit einem Mitglied der Familie Miri der Auslöser für das Verfahren vor vier Jahren war, nur als „Flüchtlinge“ bezeichnet. Eine Eigenschaft, die für den Vorfall unerheblich ist, weil es darum gegangen war, wer eine rote Ampel ignoriert hatte.

Doch auch Sürigs Wahrnehmung scheint aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit selektiv zu sein. Als Fachanwalt für Migrationsrecht hat er zu oft erlebt, wie seine Man­dan­t:in­nen unter strukturellem und individuellem Rassismus leiden. An diesem Tag in Delmenhorst stellt er in Frage, dass Richter und Staatsanwalt – beide deutlich jünger als er – auf dem Boden des Grundgesetzes stehen würden, weil sie den Clan-Begriff nicht so problematisch finden wie er.

Was den Polizisten Mark S. geritten hat, Sürig anzuzeigen, bleibt bis zum Schluss unklar. Zumal er schon damals selbst nicht wusste, was der konkret gesagt hatte, irgendwas mit Rassismus, das war ihm hängen geblieben. Deshalb hatte er ein paar Tage später die damals vorsitzende Richterin aufgesucht, um sie zu fragen, ob und was sie gehört hatte.

Die wiederholte am Mittwoch als Zeugin, was sie Mark S. damals schon gesagt hatte: Sie habe es nicht mitbekommen. Dasselbe sagte ihm die Gerichtssekretärin, die als Protokollantin dabei gewesen war und die er kurz darauf anrief. „Ich habe es nicht verstanden und deshalb nicht ins Protokoll geschrieben“, sagt sie am Mittwoch als Zeugin.

Spätestens an dieser Stelle fragt man sich, ob der Polizist sich damals wirklich in seiner Ehre verletzt fühlte oder ob es ihm darum ging, gezielt den linken Bremer Rechtsanwalt zu attackieren. Denn Mark S. bat die Sekretärin, das Protokoll so zu ändern, dass es zu seinem Vorwurf passt. So beschreibt es sichtlich befremdet ein weiterer Zeuge, ein Delmenhorster Amtsrichter. Dem hatte die Sekretärin vom Anruf des Polizisten erzählt. „Erstaunlich“ habe er es auch gefunden, dass Mark S. sie überhaupt angerufen hatte, von seinem Diensttelefon, er gab sich auch als Polizeihauptkommissar zu erkennen.

„Sie haben in eigener Sache ermittelt“, wirft ihm Sürigs Verteidiger vor, als Mark S. jetzt im Zeugenstand steht. „Das ist nicht verboten“, sagt Mark S. – und grinst.

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