Olaf Scholz vor EU-Sondergipfel: Rüffelchen des Bundeskanzlers

In seiner Regierungserklärung kündigt Scholz neue Sanktionen gegen Russland an. Gleichzeitig staucht er die Koalitionspartner sanft zusammen.

Olaf Scholz auf der Regierungsbank des Bundestages

Olaf Scholz am Mittwoch im Bundestag Foto: Markus Schreiber/ap

BERLIN taz/afp | Bevor er zur menschengemachten kam, widmete sich Olaf Scholz am Mittwoch der Naturkatastrophe: den Erdbeben in der Türkei und Syrien, wo die Suche nach verschütteten Menschen allmählich zum Wettlauf gegen die Zeit wird. „Wir sind erschüttert über so viel Leid und Zerstörung“, sagte Scholz zu Beginn seiner Regierungserklärung im Bundestag.

Deutschland habe den türkischen Behörden unverzüglich Hilfe zugesagt, er habe das auch im Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan bekräftigt. „In Katastrophen wie diesen müssen wir zusammenrücken und uns gegenseitig unterstützen“, so der Bundeskanzler.

Anlass der Regierungserklärung war jedoch die Sondersitzung des Europäischen Rats, zu der Scholz am Donnerstag reist. Und in deren Zentrum steht unter anderem die weitere Unterstützung für die Ukraine. Fast ein Jahr ist vergangen, seitdem Russland das Nachbarland überfiel, seit zwölf Monaten herrscht in der Ukraine Krieg, mit mehr als 7.000 zivilen Opfern und 4 Millionen Menschen auf der Flucht.

Scholz kündigte an, dass die EU die Sanktionen gegen Russland zum ersten Jahrestag noch einmal verschärfen werde. „Als klares Signal an Putin, dass er mit seinen imperialistischen Plänen keinen Erfolg haben wird.“

Scholz kritisiert Dissonanzen in der Ampel

Außerdem sicherte der deutsche Bundeskanzler der Ukraine zu, dass a) ihr Platz in Europa sei und man sie b) so „lange wie nötig“ unterstützen werde. In diesem Zusammenhang strich er noch einmal die führende Rolle Deutschlands innerhalb der EU bei der humanitärem, wirtschaftlichen, aber auch der militärischem Hilfe heraus. Für die größte Volkswirtschaft der EU eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Gleichzeitig verteidigte Scholz seinen langen Anlauf bis zum Entschluss, deutsche Kampfpanzer an die ukrainische Armee zu liefern. Seine Maxime: „Wir behalten die Nerven und handeln mit Umsicht.“

Was hingegen schade, sei ein öffentlicher Überbietungswettbewerb nach dem Motto „Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge, wer fordert mehr“. Im gleichen Atemzug kritisiert er „innenpolitische Statements und Kritik an Partnern und Verbündeten auf offener Bühne“. Solche Dissonanzen nützten einzig und allein Putin. Eine mehr als deutliche Abmahnung von Grünen- und FDP-Politiker:innen, die Scholz immer wieder vorgeworfen hatten, bei der Lieferung von Panzern zu bremsen.

Auch Au­ßen­mi­nis­te­rin Annalena Baerbock bekam ihr Fett weg: „Nicht die Nato führt Krieg gegen Russland“, stellte Scholz noch einmal klar, sondern Russland habe die Ukraine überfallen. Baerbocks Namen nannte er zwar nicht, war aber auch nicht nötig. Jeder wusste, wer gemeint war, zumal Unions-Fraktionschef Friedrich Merz in seiner Erwiderung den Fauxpas der Außenministerin samt namentlicher Quelle noch einmal zitierte, den sich diese während einer kontroversen parlamentarischen Versammlung des Europarats geleistet hatte: „Wir führen einen Krieg gegen Russland“ (-„und nicht gegeneinander“ – doch den Teil zitierte Merz nicht). Baerbock sah ziemlich bedröppelt aus, ein Indiz, dass sie sich der Tragweite des schiefen Sprachbildes sehr wohl bewusst ist.

Die Union setzt auch auf das Thema Migration

Beim Thema Waffenlieferungen, auch das wurde deutlich, wird die Union weiter versuchen, die Ampel anzutreiben. Merz thematisierte am Mittwoch vor allem den fehlenden Nachschub an Munition – die Ukraine verbrauche an einem Tag so viel, wie Deutschland in sechs Monaten produziere.

Ein weiteres Thema, das die Union in den nächsten Wochen ebenfalls in der gesellschaftlichen Debatte halten will, blitzte am Mittwoch im Bundestag ebenfalls auf: die Begrenzung der Migration. Während Scholz sich hinter den geplanten Migrationsgipfel seiner Innenministerin Nancy Faeser stellte, machte Merz erneut deutlich, dass die Aufnahmekapazitäten eigentlich erschöpft seien. Schulen, Kindergärten und der Wohnungsmarkt sind nach Ansicht des Christdemokraten nicht darauf ausgelegt, zusätzlich zu den über eine Million Ukrai­ne­r:in­nen noch mehr Menschen aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan aufzunehmen.

Scholz setzt auch darauf, dass sich die EU bei diesem schwierigen Thema zusammenraufen könnte. Nach der Einigung des EU-Ministerrat bei der biometrischen Registrierung der Menschen glaubt Scholz, dass auch eine Reform des europäischen Asylsystems in dieser Legislatur, also bis 2024, möglich sei.

Scholz wirbt für Antwort auf den Inflation Reduction Act

Ebenfalls optimistisch ist Scholz, dass es gelingen könne, eine europäische Antwort auf das 370-Milliarden-Dollar-Programm der USA zur Unterstützung der heimischen Wirtschaft und grüner Technologien zu geben, den Inflation Reduction Act. Scholz zählte die verschiedenen Töpfe auf, die in der EU bereits zur Verfügung stünden – den Corona-Wiederaufbaufonds etwa, der noch mit über 250 Milliarden Euro gut befüllt sei oder die Einnahmen aus dem Emissionshandel. Da brauche sich Europa nicht zu verstecken, „Kassandra-Rufe“ seien nicht angezeigt. Als falschen Weg bezeichnete Scholz hingegen einen ungehemmten Subventionswettlauf mit den USA.

Allerdings ist die unter anderem von Deutschland favorisierte Antwort, nämlich das EU-Beihilferecht zu lockern, in der EU ebenfalls umstritten. Staaten wie Österreich, Finnland, Dänemark oder Tschechien fürchten einen EU-internen Subventionswettbewerb zu ihren Lasten. Ihnen gegenüber muss Scholz am Donnerstag weniger mahnende als überzeugende Worte finden.

Treffen mit Selenski

Wie im Laufe des Nachmittags bekannt wurde, trifft sich Scholz am Mittwochabend mit dem ukrainischen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron zu Gesprächen in Paris. Die Bundesregierung und der Elysée bestätigten gegenüber der Nachrichtenagentur AFP am Nachmittag das Dreiertreffen in der französischen Hauptstadt.

Selenski war am Vormittag nach London gereist und hatte sich dort unter anderem mit Premierminister Rishi Sunak getroffen. Am Donnerstag wird Selenski voraussichtlich zum EU-Gipfel nach Brüssel weiterreisen. Über den Brüssel-Besuch war seit Tagen spekuliert worden.

Bei den Besuchen in London, Paris und Brüssel handelt es sich um die zweite Auslandsreise Selenskyjs seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine vor fast einem Jahr. Im Dezember war der ukrainische Präsident in Washington gewesen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.