Corona-Ausbruch im Pflegeheim: Tod durch Impfskepsis?

In Hildesheim steht eine Pflegeheim-Mitarbeiterin vor Gericht, weil sie eine Infektion eingeschleppt haben soll. Sie hatte einen gefälschten Impfpass.

Die Angeklagte, verhüllt durch Kapuze und Maske, sitzt im Gerichtssaal.

Macht sich klein: Die Angeklagte soll für den Corona-Ausbruch im Pflegeheim verursacht haben Foto: Julian Stratenschulte/dpa

HILDESHEIM taz | Sie ist zur Arbeit ins Pflegeheim gegangen, obwohl ihr Sohn Covid hatte und ihr Impfpass gefälscht war. Das ist der Kernvorwurf gegen eine 46-Jährige, die seit Dienstag in Hildesheim vor Gericht steht.

Die mutmaßlich von ihr eingeschleppte Infektion erwischte mindestens elf Be­woh­ne­r und fünf weitere Mitarbeiter, drei ältere Damen starben – mittelbar oder unmittelbar an Covid. Die Staatsanwaltschaft wirft der Pflegeheim-Mitarbeiterin deshalb nicht nur Urkundenfälschung, sondern auch fahrlässige Tötung in einem Fall und fahrlässige Körperverletzung in zwei Fällen vor.

Die Angeklagte möchte sich nach der Verlesung der Anklage erst einmal nicht zur Sache äußern. Sie lässt ihren Verteidiger Velit Tümenci aber eine persönliche Erklärung verlesen, die in einer etwas konfusen Mischung einerseits um Mitleid und Verständnis heischt und andererseits sagt: Vielleicht haben die sich ja auch woanders angesteckt.

Seine Mandantin habe in einer toxischen Beziehung festgesteckt, aus der sie keinen Ausweg gewusst habe, erläutert der Anwalt. Ihren Lebensgefährten, mit dem sie auch zwei Kinder bekam, habe sie schon mit 16 Jahren kennengelernt, er sei psychisch angeschlagen, narzisstisch und kon­trollsüchtig gewesen. Obwohl sie den Lebensunterhalt der Familie verdient habe, habe sie keinen Überblick über Finanzen gehabt, jede Ausgabe rechtfertigen müssen, keine sozialen Kontakte außerhalb der Familie und der Arbeit unterhalten dürfen.

Erstmal die Ereignisse rekonstruieren

Die Coronapandemie habe seinen Zwangsstörungen und seiner Depression noch einmal neue Nahrung gegeben, keiner in der Familie sollte sich impfen lassen, er soll es auch gewesen sein, der die falschen Impfpässe besorgt habe. Dazu befragen kann ihn heute niemand mehr: Er starb an der Corona-Infektion, mit der auch sein Sohn und seine Lebensgefährtin zu kämpfen hatten.

Sie selbst sei keine Corona-Leugnerin und mittlerweile auch geimpft, ließ die 46-Jährige erklären. Damals sei sie aber durch die vielen widersprüchlichen Informationen verwirrt und verängstigt gewesen und habe sich nicht in der Lage gesehen, sich gegen den dominanten Mann durchzusetzen. Die Todesfälle täten ihr sehr leid, allerdings sei ja gar nicht auszuschließen, ob diese nicht möglicherweise doch auf eine andere Infektionsquelle zurückzuführen seien. Außerdem sei der Tod in einem Altersheim nun einmal leider ein alltäglicher Begleiter.

Das Gericht hat für den ersten Verhandlungstag erst einmal ihre Vorgesetzten und einen Kollegen als Zeugen geladen. Es bemüht sich, die Ereignisse zu rekonstruieren – dabei geht es vor allem darum, wer wann mit wem gearbeitet hat, welche Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, wann und wie die Mitarbeiterin über die angebliche Impfung und die Infektionen in ihrem Haushalt informiert hat.

Aus der Aussage ihrer unmittelbaren Vorgesetzten, der stellvertretenden Heimleiterin, wird aber auch deutlich: Die 46-Jährige, die im Übrigen als Alltagshelferin eingestellt war und keine Pflegekraft war, war nicht die einzige Mitarbeiterin, bei der im Sommer und Herbst 2021 noch Überzeugungsarbeit geleistet werden musste.

Impfgegner im Publikum

Ungefähr die Hälfte der Mit­ar­bei­te­r*in­nen habe Bedenken geäußert, man hätte daraufhin eine Infoveranstaltung mit einem Hausarzt organisiert, um diese zu überzeugen. Bei dieser Veranstaltung fiel die Alltagshelferin noch durch empörte Zwischenrufe auf.

Auch im Gerichtssaal haben sich auf den Zuschauerbänken einige Impfgegner eingefunden, doch die bleiben ruhig, nachdem der Richter sie gleich zu Beginn ermahnt hatte. Nur als die stellvertretende Heimleiterin sagt, es habe zeitweise ja auch eine Art Prämie für geimpfte Mitarbeiter gegeben, stöhnen sie entsetzt auf.

Sie habe sich noch gefreut, als die Mitarbeiterin wenige Wochen nach der Infoveranstaltung dann doch ein Impfzertifikat vorgelegt habe, sagte die Vorgesetzte. Verdacht schöpfte sie erst, als schon alles zu spät war: Als die Mitarbeiterin sie schluchzend anrief und erzählte, dass ihr Lebensgefährte auf der Intensivstation lag – und sich durch die Bemerkung „aber der ist doch jung und geimpft“ so gar nicht trösten lassen wollte.

Detailliert schildert die Vorgesetzte – und später auch der Heimleiter – wie sie dann den Impfpass unter die Lupe genommen und regelrechte Detektivarbeit geleistet hätten. Genauso anschaulich vermitteln die beiden aber auch einen Eindruck davon, welche Hölle dann über sie hereinbrach: Der schmerzliche Vertrauensverlust in der Mitarbeiterschaft, die Belagerung durch die Medien, die sterbenden und verängstigten Bewohner, die besorgten Angehörigen, die Drohanrufe und Beschimpfungen von Impfgegnern – unerträglich sei das gewesen.

Infektionskette soll geklärt werden

Ob die Angeklagte dafür wird büßen müssen, muss sich aber erst noch herausstellen. Unstrittig ist: Wenn die Heimleitung gewusst hätte, dass sie nicht geimpft ist, hätte sie zu Hause bleiben müssen – zur Arbeit kommen durfte sie nur, weil sie ein Impfzertifikat und einen anfangs noch negativen Selbsttest vorweisen konnte.

Im Nachhi­nein hat sich diese Regelung natürlich als unsinnig erwiesen – mittlerweile weiß man, dass auch Geimpfte die Infektion weitertragen – doch in diesem Fall hätte sich dadurch möglicherweise etwas verhindern lassen.

Aber auch der Nachweis, dass wirklich diese Mitarbeiterin am Anfang der Infektionskette gestanden hat, muss erst noch erbracht werden. Dazu haben die Ermittler die Proben der Betroffenen sequenzieren lassen, um so die genetische Ähnlichkeit dieses speziellen Virenstammes nachweisen zu können. Doch die Probe der Angeklagten ging wohl verloren, wie die Staatsanwaltschaft schon im vergangenen Sommer einräumen musste. Die ihres verstorbenen Lebensgefährten existiert aber noch.

Für den nächsten Verhandlungstag am 7. März sind aber erst einmal die Ermittler und die behandelnden Ärzte der verstorbenen Seniorinnen als Zeugen geladen. Fünf Verhandlungstage hat das Gericht insgesamt angesetzt, am 21. März könnte ein Urteil fallen.

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