Ausgehen und rumstehen
von Andreas Hartmann
: Kai Wegner möge ruhig glücklich werden, wobei auch immer

Foto: privat

Der Frühling und damit die Zeit für Radtouren kommt erst noch, und das hoffentlich schon bald. Aber wenn man schon mal unverhofft zu einer Broschüre mit dem Titel „Berliner Industriekultur – Die Metropole neu entdecken“ kommt, in der sich dann auch noch überraschenderweise ein Einleger mit einer empfohlenen Radtour befindet – so richtig old school als Karte zum Falten –, dann kann man die ja auch gleich mal austesten an einem Sonntagnachmittag.

Normalerweise werden einem in Berlin immer Radtouren schmackhaft gemacht, bei denen es vor allem raus aus der Stadt geht. Ab ins Grüne, an einen See, in die Idylle. Aber eigentlich ist das ja Quatsch. In der Stadt gibt es viel mehr zu entdecken als irgendwo da draußen. Wie beispielsweise bei der vom Berliner Zentrum Industriekultur zusammengestellten Route, die man nun tapfer mehrere Stunden lang abradelt und die sich voll und ganz dem echten Spezialistenthema „Wasser und Strom“ in Treptow-Köpenick verschrieben hat. Darauf muss man auch erst einmal kommen.

Stillgelegte Kraftwerke ohne Ende bekommt man hier zu sehen und die Historie der Energiegewinnung in Berlin vermittelt. Da die Frage, wie man heute am besten an den ganzen Strom kommt, von dem so massenhaft verbraucht wird, gerade von immenser Dringlichkeit ist, wirkt so eine Nostalgietour, die einen eigentlich in ein längst vergangenes Berlin führt, plötzlich ganz schön aktuell.

Eine der weiteren Radtouren, die das Berliner Zentrum Industriekultur zusammengestellt hat, heißt übrigens „Produktion und Munition“. Auch hier wurde ein glückliches Händchen bei der thematischen Gestaltung bewiesen. Denn für die Herstellung von Munition interessiert man sich derzeit ja auch wieder brennend.

Interessant an der „Wasser und Strom“-Tour ist auch, dass man, von Friedrichshain kommend, bereits am eigentlichen Startpunkt Treptower Park das Territorium der Grünen verlassen hat und ab sofort, immer weiter in Richtung Schöneweide und Karlshorst fahrend, in der Terra incognita der Kai-Wegner-Fans unterwegs ist. Also in den Wahlgebieten, die jetzt allesamt der CDU gehören. Man fährt also raus aus dem einen Teil der, wie es nun überall heißt: gespaltenen Stadt, in den anderen. Und dann wieder zurück.

Was das wohl mit einem macht? Dabei stellt man dann aber schnell fest, dass so klare Grenzziehungen dann auch wieder nicht gemacht werden können. Es gibt schon deutlich weniger vegane Ramen-Läden in Schöneweide als in Friedrichshain, das schon. Und dafür eindeutig mehr Wahlplakate für die AFD, die da immer noch an den Laternenpfosten hängen. Aber überall, wo einst Industriegebiete waren oder gewaltige Kraftwerke standen, die Berlin Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer der technisch fortgeschrittensten Orte Europas machten, was man angesichts des heutigen industriell eher rückständigen Berlin auch kaum glauben kann, sind heute Kleinkunst und Ateliers eingezogen und damit eine Form von Hipstertum, die man dann doch wieder eher in den innerstädtischen Wohlfühloasen der Bettina-Jarasch-Wähler vermuten würde.

Da wirkt so eine Nostalgietour, die einen eigentlich in ein längst vergangenes Berlin führt, plötzlich aktuell

Grün und Schwarz, ein wenig ist da also tatsächlich bereits etwas zusammengewachsen, denkt man sich dann, wenn es durch den Volkspark Wuhlheide und vorbei am Funkhaus Berlin zurück zum Ausgangspunkt der Tour geht. Was aber auch nichts an der ganz persönlichen Meinung ändert: Kai Wegner mö ge ruhig glücklich werden, wobei auch immer, aber bitte nicht als Oberbürgermeister dieser Stadt.