Ortsbesichtigung
: Charmant wie ein Shopping-Center

von Marie-Sofia Trautmann

Abends zur Verti Music Hall zu fahren, um eine neue Spielstätte der Berlinale zu erkunden, birgt für eine Nicht-Berlinerin ohne Ortskenntnis einiges an Schreibstoff. Los geht's also mit Eindrücken von einem Ort in Berlin Friedrichshain, der sehr bunt und sehr seltsam ist.

Die Website der Berlinale verspricht, die Vorstellungsorte „bequem und klimafreundlich“ mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichen zu können, also steige ich sorglos in die S-Bahn, die mich zur Warschauer Straße fährt. Erste Beobachtung: Ist die S-Bahn-Station eine Baustelle oder die Baustelle eine S-Bahn-Station? Notiert und an Containern und Müllhalden weitergelaufen.

An der Ampel hinter mir erklärt ein Mann in gut sitzendem Anzug, der mit Sicherheit VIP-Plätze gebucht hat, seinem Freund: „You just have to ask for what you want and you get it. It's as easy as that.“ 200 Meter weiter fragt ein Obdachloser nach einem Euro und kriegt nichts von niemandem.

Zweite Beobachtung: Die Verti Music Hall wirkt auf mich wie das Gegenteil von organischem Stadtbau, alles an diesem Ort strahlt eine deplatzierte Künstlichkeit aus: Die bonbonfarbenen Buchstaben in knatschblau, kreischorange und donutpink, die Zusammensetzung der Gastronomie (Fast-Food, sehr teures Eis, Porridge mit veganen Toppings), das riesige Mercedes-Zeichen, das über allem anderen ragt, und die unruhigen Anzeigetafeln, die abwechselnd Werbevideos von Sarah Connor, Streamingdiensten und Bio-Bergbauern-Milch zeigen.

Alles hier strahlt deplatzierte Künstlichkeit aus

Der Platz sieht aus, wie wenn Kinder aus Versehen Schnipsel falsch zusammenkleben, aber dann das Bild trotzdem an den Kühlschrank gehängt wird. Wenn man nicht nach oben guckt und merkt, dass das Dach fehlt, denkt man als Ruhrgebietskind, in einem dieser Shopping-Center der 2000er gelandet zu sein, in die man geht und sofort wieder hinaus will.

Die vielen Noch-nach-Tickets-Suchenden belächle ich, die auch kein Ticket hat, und mache mich auf den Rückweg, als ich an einer jungen Frau vorbeilaufe, die ihr Gegenüber anstrahlt und sagt: „Nein, ich will nichts für das Ticket, du kannst es umsonst haben“.

„Hast du ihr gerade dein Ticket geschenkt?“, frage ich. „Einfach so?“ Sie nickt. Meine dritte und letzte Beobachtung: Das ist also auch Berlin. Eine seltsame Umgebung und in ihr Menschen, die voller Freude ihr Ticket verschenken. Das macht den Rückweg über die Riesenbaustelle ungemein heller und schöner.