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: Eine sehr britische Kauzigkeit

„Der Tunnel der lebenden Leichen“ (GB 1973, Regie: Gary Sherman). Die DVD ist ab rund 13 Euro im Handel erhältlich.

Schon der Vorspann fällt recht hinreißend aus dem Rahmen: Zu schleppender Perkussion mit tief schwingendem Bass verschwimmen die bunten Bilder zu abstrakt poppiger Farbe in flächig diffusen Verläufen, stellen sich scharf und verschwimmen wieder zurück, darunter pumpt die Musik, zunehmend jazzig, immer weiter.

So sieht man und ahnt man einen Strip-Club in London, einen Lord mit Bowler-Hut und struppigem Schnauzer, der ihn verlässt, sieht man und ahnt man Poster und Stimmung, darauf scharf und weiß geprägt sind groß die Namen der Darsteller*innen. Vorne dran: Donald Pleasence, dessen markante Glatze die Filmgeschichte neben vielem anderen als die des Bond-Schurken Blofeld und des Psychiaters Loomis aus „Halloween“ kennt. (Hinten dran, weil ganz kurzer, aber prägnanter Auftritt als Mann vom Geheimdienst: Christopher „Dracula“ Lee.)

Ins Genre Horror fällt, wenngleich widerwillig, auch dieser Film, den der damals frisch aus den USA nach Großbritannien geratene Regisseur Gary Sherman in London gedreht hat. Der Lord aus dem Vorspann liegt erst bewusstlos auf einer Treppe der U-Bahn-Station Russell Square, dann ist er weg, einfach verschwunden. Donald Pleasence ist der Kommissar, der ermittelt und nach ihm sucht, einer, der seinen Scharfsinn hinter mal kauzigem, mal aggressivem Auftreten mit Kraftausdrücken ganz gut versteckt. Beim Verhör trinkt er Tee, den Beutel fischt er mit dem Dart-Pfeil aus seiner Tasse; hinter seinem Rücken ein offener Kamin, fröhlich flackert ein Feuer darin.

Den Lord auf der Treppe hat ein junges Liebespaar entdeckt, leicht hippiesk, recht lange Haare, recht fransig die Kleidung. Sie sind, wie der Regisseur, US-Amerikaner, er arbeitet in einer Buchhandlung, die kleine Wohnung der beiden liegt unter dem Dach. Letzteres ist nicht ganz unwichtig, denn der Film kennt sehr nachdrücklich oben und Mitte und unten, wie ein Schichtkuchen oder auch Freuds Über-Ich, Ich- und Es-Topologie.

Von der Wohnung unter dem Dach geraten die beiden als prädestinierte Opfer ins schreckliche Drunten. Und während oben alles ganz hell und schattenfrei ist, geradezu fernsehmäßig sehr ausgeleuchtet, ist es unten außerordentlich dunkel, so dass man zwar die blasenwerfenden oder schon verrottenden, wenn nicht skelettierten Leichen erkennt, mehr Blut und mehr Finsternis aber im Reich des gruselnden Ahnens verbleibt.

Ja, unten, im Gewölbe-Untergrund unter der U-Bahn ist der Tunnel der lebenden Leichen, den der deutsche Titel des Films annonciert. (Die zwei englischen Titel, die es gibt, sind allerdings schöner: „Death Line“ der eine, „Raw Meat“ der andere, der für manchen Kontext aber wohl zu blutig klang.) Vor vielen Jahren sind hier bei einem Einsturz viele zu Tode gekommen, die auszugraben sich die Stadt nicht die Mühe gemacht hat.

Was sie davon hat: ein Nest der Zombies, die sich gelegentlich Frischfleisch aus der U-Bahn-Station holen, wenn es sein muss eben auch einen Lord. Und so heiter und licht und kauzig der Film droben ist, in einem Droben, zu dem als Mitte der Aufklärung noch der ermittelnde Donald Pleasence gehört, so eklig und blutig und schlachthausmäßig geht es im Keller zu, wo er sich sein FSK-Prädikat „Nicht unter 18 Jahren“ verdient.

Es ist in erster Linie die sehr eigenwillige und sehr britische Mischung aus Gore und Kauzigkeit, die Gary Shermans Debüt so sehenswert macht.

Der Regisseur hat noch ein paar weitere, von Insidern sehr geschätzte Horrorfilme gedreht, auch eine Fortsetzung der „Poltergeist“-Reihe. Es ist aber doch eine der Karrieren, deren Höhepunkt in ihren Anfängen liegt. Nach dem Debüt ging es bergab, aber immerhin liegt es ziemlich weit oben.Ekkehard Knörer