Neue Parlamentsräume in Hamburg: Wie durch ein Guckloch

Hamburgs Bürgerschaft benutzt für ihre Ausschussarbeit einen neuen Saal. In dem können Publikum und Journalisten die Senatoren nicht sehen.

Menschen sitzen an langen Tischen in einem Saal, ein paar Zuschauer sitzen auf Stühlen auf einer Galerie dadrüber

Blick über die Ballustrade: die Senatorin im Justizausschuss ist immerhin auf dem Bildschirm zu sehen Foto: Marcus Brandt/dpa

HAMBURG taz | Jammern lohnt sich, diesen Satz habe ich meinen Kindern erzählt, als sie klein waren. Als Gegenentwurf zum muffig-autoritären Ausspruch „Kinder mit ’nem Willen kriegen was auf die Brill’n“. Es ist schon richtig, auf seine Bedürfnisse hinzuweisen, im Kindes- wie im Erwachsenenalter. Zum Beispiel nicht im Restaurant auf einem Stuhl Platz zu nehmen, wo es zieht oder ein Licht blendet.

In Ausschüssen der Hamburger Bürgerschaft heißt es für uns Journalisten, bescheiden zu sein. Es ist toll, einfach irgendeinen Platz zu haben und den Senatoren und ihrer Riege über die Schulter zu gucken, während sie den Parlamentariern Rede und Antwort stehen. Gestik, Mimik, alles wichtig. Im alten Kaisersaal zu Beispiel geschieht dies im Licht von Kronleuchtern, mit Blick auf üppige Gemälde. Andere Säle sind schlichter. Aber stets sind wir Presseleute mittenmang im Raum und meistens bekommen wir auch einen Tisch mit Cola.

Das ist nicht mehr so, seitdem die Bürgerschaft ein Gebäude dazugemietet hat: Das Haus am Adolphsplatz 6. Es wurde erst 2013 gebaut, gehört der Handelskammer und beherbergte ursprünglich eine private Bussiness School, die in etwas Größeres zog. Der Standort ist spektakulär, da der hintere Teil des Hauses aus der Tiefe kommende U-Bahn-Gleise überbrückt.

Der Bau erhielt einen Preis. Er präsentiere sich auf der Vorderseite mit seiner teils mit beleuchteten Pilastern (Halbsäulen) verzierten Glasfassade als „elegantes Schatzkästlein“, schrieb die Deutsche Bauzeitung. Es sei ein „Repräsentationsgebäude“, das sich in die „Machtachse aus Rathaus und Handelskammer“ als Schlusspunkt einfüge. Als besonders gilt auch der Saal, der über zwei Stockwerke geht.

Das Publikum muss nach oben

Da war schon ein kleines Kribbeln, als dort Mitte Januar eine Sitzung des Familienausschusses zur Lage beim Kinder- und Jugendnotdienst stattfand. Ein Pförtner fing Journalisten allerdings an der Saaltür ab und schickte uns nach oben. Und dort, auf der Empore im zweiten Stock, gibt es für die Presse zwar einen Schreibtisch mit Cola, aber die Senatoren und ihre Leute sieht man nicht. Denn sie sitzen eine Etage tiefer, direkt darunter. Zu sehen ist nur ein Teil der Abgeordneten. Zwar gibt es links und rechts an der Wand einen schmalen Gang, wo man sitzen und schräg einen Blick auf die Regierenden erhaschen kann, aber dann sieht man die Übrigen nicht. Der Blick ist immer eingeschränkt, wie durch ein zu schmales Guckloch. Tolle Architektur. Also der Saal ist edel, aber nicht so demokratietauglich. Zumal ja auch das normale Publikum hier oben Platz nehmen muss.

Eine Nachfrage bei der Pressestelle der Bürgerschaft ergab: Beschwert hatte sich bis dato noch niemand. Diese neuen Räume hat die Bürgerschaft für die nächsten vier Jahre angemietet. Weil das nicht ganz billig ist und Hamburgs Rathaus eh über 600 Räume hat, hat schon der Steuerzahlerbund gemoppert.

Das Jammern über die Blickeinschränkung stößt bei der Bürgerschaftskanzlei auf begrenztes Verständnis. Die Journalisten könnten sich ja jederzeit auf der Empore bewegen und den „Blickwinkel einnehmen, den sie für ihre Berichterstattung benötigen“. Schon probiert. Leider wirkt so ein ständiges Hin- und Herlaufen hoch oben über den Politikerköpfen unangenehm gaffend und mitschreiben geht dabei auch nicht so gut.

Immerhin, als jüngst der Justizausschuss tagte und die grüne Senatorin Anna Gallina zu den Umständen der Entlassung des Messer­attentäters von Brokstedt befragte, wurde dies per Video nach oben zur Presse übertragen, auf großen Monitoren.

Also hat sich das Jammern doch wieder mal gelohnt? Pustekuchen. Das „Ausschussgeschehen“ jener Sitzung auf die Empore zu übertragen, sei eine „Einzelfallentscheidung“ der Ausschussvorsitzenden gewesen, da mit viel Presse zu rechnen war, schreibt die Bürgerschaftskanzlei. Diese Übertragung gebe es nicht in jedem Ausschuss. Schade. Dann können wir Beobachter halt weiter nur den Stimmen lauschen.

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Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

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