Alles bleibt „sehr, sehr“

Auch im heutigen Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Tunesien (18 Uhr in Köln)will Bundestrainer Jürgen Klinsmann seine offensive Philosophie weiterverfolgen

AUS KÖLN MATTI LIESKE

Gerüchte, dass Jürgen Klinsmann kurz mal nach Kalifornien geflogen sei, konnten gestern nicht bestätigt werden, in jedem Fall war der Bundestrainer nicht zugegen bei der Abschlusspressekonferenz vor dem heutigen Spiel gegen Tunesien im Kölner Haus Gürzenich. Dafür saß dort, wie schon vor dem Australien-Spiel in Frankfurt, sein kleines Helferlein Joachim Löw. International nicht unbedingt üblich, dass der Chef bei einer solchen Gelegenheit seine rechte, linke oder, je nach Sichtweise, auch zweite linke Hand schickt, aber der Begriff „üblich“ ist ja seit letztem Herbst beim DFB aus dem Wortschatz gestrichen.

Es machte aber auch gar nichts, denn Löw sagt genau die Sachen, die auch Klinsmann sagen würde, und bekommt sogar den Tonfall, wenn auch nicht das cheesige Lächeln, ziemlich genau hin. Und also war die Rede von „sehr, sehr“ viel Spaß, den die Zuschauer beim Confederations Cup bisher gehabt hätten, auch beim 4:3 der Deutschen gegen Australien. Von den „sehr, sehr“ talentierten Spielern im DFB-Team, über die man „sehr, sehr“ glücklich sei, und davon, das am Mittwoch „sehr, sehr“ gut nach vorn gespielt wurde. Dass die Mannschaft hinten „sehr, sehr“ schlecht ausgesehen hatte, sagte Joachim Löw indes nicht, sondern erklärte lieber, man habe „gespürt, dass wir noch nicht ganz so gut und kompakt in der Defensive stehen“. Gemeint war, was der noch nicht in den rhetorischen Zuckerguss getauchte Oliver Kahn als „grausames Spiel für einen Torhüter“ bezeichnet hatte. Den Keeper nervt die Propagierung der Offensive beträchtlich, er fordert mehr Konzentration auf die Rückwärtsbewegung, auch wenn es ihn beim heutigen Match gegen Tunesien (18 Uhr) nicht ganz so betrifft, weil da Jens Lehmann die ganzen Tore kassiert.

Der Bundestrainer und sein Politbüro wollen natürlich nicht von ihrem durchaus löblichen Vorhaben lassen, dem Team offensiven Fußball zu verordnen. „Generell gehen wir von unserer Philosophie nicht weg“, sagt Joachim Löw, nur Ausbesserungsarbeiten sind notwendig. „Offensiv stark zu sein, defensiv stabil zu stehen, ist das Schwierigste im Fußball“, sprach er ein Kernproblem an, das zwar nicht ganz der Quadratur des Kreises entspricht, ihr aber doch ziemlich nahe kommt. Einvernehmen herrscht im deutschen Lager über ein Faktum, das Kölns Volksheld Lukas Podolski in gewohnt prägnanter Manier auf den Punkt brachte: „Die ganze Mannschaft ist für Tore und auch Gegentore verantwortlich.“ Sein Geistesbruder Bastian Schweinsteiger pflichtete mitfühlend bei: „Die Abwehr ist nur das letzte Glied, und der Allerletzte ist der, der den Ball aus dem Tor holt.“

Deshalb gedenkt die Teamleitung offenbar auch nicht, gegen Tunesien die heftig kritisierte Abwehrreihe um Robert Huth zu verändern, sondern Umstellungen im Mittelfeld vorzunehmen. Wahrscheinlich wird Sebastian Deisler von Beginn an spielen, bei Ballbesitz soll die Raute mit Michael Ballack oder Schweinsteiger als Unterstützer der Spitzen beibehalten werden. Wenn verteidigt wird, muss Ballack jedoch nach hinten rücken, die äußeren Mittelfeldspieler sollen nach innen ziehen. „Wir müssen die Pässe in die Spitze zustellen und dort insgesamt kompakter stehen“, so Löw. Das hört sich sinnvoll an, da die Tunesier bei ihrem 1:2 gegen Argentinien vor allem durch die Mitte stark spielten. Ob Jens Lehmanns Beobachtung zutrifft, dass die Nordafrikaner ein „nicht so überragend hohes Spieltempo“ haben, muss sich erweisen.

Das nämlich wäre „von Vorteil für uns“, glaubt Lehmann, der aufgrund seiner England-Erfahrung die Geschwindigkeit des deutschen Spiels nicht ganz so euphorisch betrachtet wie die Teamchefs. Thomas Hitzlsperger zum Beispiel, bislang bei Aston Villa, müsse sich erst an das „andere Tempo in Deutschland“ gewöhnen. „Er spielt immer sofort in die Spitze“, erläuterte Lehmann und meinte damit: viel zu schnell für die anderen.

Ansonsten hofft der Keeper, dass die Zuschauer ihn mal nicht auspfeifen. „Das wäre für mich schon ein Erfolg“, sagte der 35-Jährige sarkastisch. Und vermutlich, dass es nicht so ausgeht, wie von Bastian Schweinsteiger an die Wand gemalt: „Auch wenn wir sieben Gegentore kassieren und schießen acht, ist mir das egal.“