Soll Rot-Grün-Rot weiterregieren?: Geht's noch?

Ist Rot-Grün-Rot weiter das populärste Bündnis in der Hauptstadt und muss weiter regieren? Oder hat Berlin den Wechsel gewählt? Ein Pro und Contra.

Jarasch, Lederer und Giffey

Berlins amtierende Regierende: Franziska Giffey, Bettina Jarasch und Klaus Lederer Foto: Soeren Stache/dpa

Ja, die Mehrheit steht noch immer

SPD, Grüne und Linkspartei haben gut 5 Prozentpunkte verloren, die CDU hat 10 Prozentpunkte gewonnen. Ist es also ein zwingendes Gebot demokratischer Fairness, dass die Union nun triumphal in das Rote Rathaus einzieht und das Mitte-links-Bündnis geschlagen die Fahne einrollt?

Das scheint nur auf den ersten Blick so. Denn der Erfolg der CDU verdankt sich nicht unbedingt deren gescheiten Ideen, wie man in Berlin für klimaneutralen Verkehr und bezahlbare Mieten sorgt. Das Votum für die CDU war zum großen Teil aus Protest geboren. Es richtete sich gegen die SPD, die sich dreist geweigert hatte, die Verantwortung für die verunglückte Wahl 2021 zu übernehmen. Dafür ist die Niederlage der schon seit langem blutarmen Berliner SPD noch milde ausgefallen.

Entscheidend aber ist: Dieses Wahlergebnis ist kein klares Votum für eine CDU-regierte Stadt, mit mehr Law and Order und Stadtautobahn, mit mehr Parkplätzen und bloß keinen Enteignungen von Wohnungskonzernen. Sondern Ausdruck von Ärger über die SPD.

Zudem ist Rot-Grün-Rot noch immer die populärste Koalition in Berlin. Genauer: Es ist die am wenigsten unbeliebte, was man als Ausdruck einer gewissen habituellen Grundverdrießlichkeit in der Hauptstadt deuten mag. Allemal berechtigt ist daher die Skepsis, ob eine andere Koalition Berlin besser regieren würde als Rot-Grün-Rot.

Bei Schwarz-Grün würde das Verkehrskapitel im Koalitionsvertrag nicht ohne sehr viele Prüfaufträge auskommen. Der Dauerclinch wäre vorprogrammiert. Und ein Bündnis von CDU und SPD – ausgerechnet nachdem die Ära der Großen Koalition auf Bundesebene endlich vorbei ist – wäre ein Schritt zurück zu Stagnation und Verwaltungsmodus.

Ja, Koalition der Wahlverlierer klingt nicht schön. Aber es geht hier nicht um Stilfragen, nicht um das Gestern, sondern um das Morgen. Und für die Zukunft ist Rot-Grün-Rot noch immer am ehesten zuzutrauen, einen kreativen, handlungsfähigen Senat zu bilden. Jedenfalls, wenn R2G die zweite Botschaft dieser Wahl begreift: Es braucht eine neue Idee, um die Spannung zwischen angesagter Innenstadt und frustrierten Außenbezirken auszutarieren.

Für die Fortsetzung der aktuellen Koalition spricht auch ein praktischer Grund. Die nächste Wahl ist schon in drei Jahren. Erst lange Verhandlungen, dann ein neuer Koalitionsvertrag. Und bald ist Sommerpause. 2026 beginnt der Wahlkampf. Für eine funktionsfähige Stadt wäre das kein günstiges Szenario.

Stefan Reinecke

Nein, Berlin hat den Wechsel gewählt

Man muss wahrlich keine Freundin der CDU sein, um anzuerkennen, dass die Ber­li­ne­r:in­nen die rot-grün-rote Koalition abgewählt, zumindest abgestraft haben. Das linke Dreierbündnis hat zwar nach wie vor eine rechnerische Mehrheit, aber Berlin hat den Wechsel gewählt. Der gemeinhin eher links tickenden Metropole ist die Lust auf eine Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei in den vergangenen Monaten merklich vergangen. Rot-Grün-Rot klingt als Vision deutlich besser, als die Realpolitik dieser Koalition letztlich aussah.

Mieterfreundliche Politik in einer Stadt, in der massenhaft Wohnungen fehlen und die Mieten in den vergangenen Jahren so stark gestiegen sind wie sonst nirgendwo? Nicht vorhanden. Von einer linken Koalition hätte man wenigstens erwarten können, dass sie den Volksentscheid „Deutsche Wohnung & Co enteignen“ zumindest verbal unterstützt. Bürgermeisterin Giffey aber hat der Bür­ge­r:in­nen­in­itia­ti­ve von vornherein eine Absage erteilt.

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Mehr Fahrradwege für die umwelt- und gesundheitsbewussten Innenstadtbewohner:innen? Die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch hat ihr Versprechen nicht eingelöst. Dafür hat sie die Au­to­fah­re­r:in­nen vor allem in den Außenbezirken mit ihrer Ankündigung vergrault, die Zahl der Parkplätze halbieren zu wollen.

Und dann das Theater um die Friedrichstraße! Eine Fußgängerzone mit Sitzgelegenheiten und Grünflächen wäre in der Tat die beste Lösung. Die man aber jenen gut verkaufen muss, bei denen die Idee umstritten ist. Die Kommunikation des Senats dazu war desaströs.

Wenn Franziska Giffey einen Tag nach dem historisch schlechten Abschneiden der SPD von einer „starken Regierung“ unter einer SPD-Führung fabuliert, zeugt das von Realitätsverlust. In der SPD selbst ist man schlauer: Ein „Weiter-so“ kann es nicht geben, kommentieren führende Landespolitiker – und fordern sowohl einen „Neustart“ als auch „nach allen Seiten offen“ zu sein. Der Subtext lautet: Wir führen natürlich Gespräche mit der CDU, und wenn es passt, gehen wir in eine Große Koalition – ohne Giffey.

Das ist zugegebenermaßen ein Dilemma. Ein CDU-SPD-Bündnis assoziiert man vor allem mit Blick auf die Vergangenheit im Bund mit Lähmung und Schwere.

Daher erscheint die Präferenz der Ber­li­ne­r:in­nen für eine starke Rolle der CDU nicht wie eine echte Begeisterung für Kai Wegner und Co, sondern folgt der Logik des kleineren Übels: Hauptsache, Wechsel.

Simone Schmollack

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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