KönnteSchwarz-Grün die Spaltung
der Stadt überwinden?

Berlin ist gespalten wie nie. Innerhalb des Innenstadtrings dominieren weiter die Grünen. In den Außenbezirken hat die CDU fast überall die meisten Stimmen geholt. Könnte man das kitten, wenn CDU und Grüne eine Regierung bilden würden? Ein Pro und Contra

Quo vadis? Bettina Jarasch, Franziska Giffey und Kai Wegner am Wahlabend im TV-Studio   Foto: Fabrizio Bensch/reuters

ja

Als Regierender Bürgermeister hat Klaus Wowereit einst ein Tabu gebrochen. Gegen den Widerstand großer Teile seiner Partei hat er 2001 die Berliner SPD in eine Koalition mit der PDS geführt. Seine Begründung war am Ende auch für die eigenen Genossinnen und Genossen überzeugend. Weil die SPD vor allem im Westen der Stadt stark sei, die PDS dagegen im Osten, wäre ein solches Bündnis auch ein Zeichen des Zusammenwachsens in einer gespaltenen Stadt.

Auch nach der Wiederholungswahl am Sonntag zeigt sich Berlin wieder gespalten. Die Wahlkarte zeigt eine grüne Innenstadt und drumherum viel schwarz. Da überrascht es nicht, dass Kai Wegner, der Wahlsieger der CDU, ebenfalls das Argument Wowereits bemüht. In einem Interview sagte er dem Tagesspiegel: „Berlin ist gespalten, wir sollten die Stadt jetzt wieder zusammenführen.“

Wäre Schwarz-Grün heute ein ebenso mutiges Modell wie Rot-Rot vor mehr als 20 Jahren? Noch halten sich die Beteiligten bedeckt. Zwar gratulierte Jarasch in der Runde der Spitzenkandidaten noch am Wahlabend dem CDU-Chef. Doch sie betonte auch, dass es ihr Ziel sei, die bisherige Koalition mit SPD und Linkspartei fortzuführen. Das galt auch am Tag danach, als feststand, dass Jarasch mit einem denkbar knappen Vorsprung der SPD mit 105 Stimmen nicht selbst ins Rote Rathaus einziehen wird.

Einen Spalt aber lässt die Grüne die Tür offen. „Es gibt bei den Grünen kein Bündnis ohne Mobilitäts- und Wärmewende, ohne Berlin wirklich klimaneutral umzubauen und ohne echten Mieterschutz“, sagte Jarasch im RBB-Inforadio. Nur bei starken Zugeständnissen der CDU hielte sie Schwarz-Grün für möglich. Aber auch die Grünen müssen sich natürlich fragen, ob sie nicht selbst Teil des Problems sind. Die Sperrung der Friedrichstraße hat die Partei womöglich die Stimmen gekostet, die es gebraucht hätte, um auf Platz zwei zu landen.

Darüber hinaus zeigen die 28,2 Prozent, die Wegners CDU eingefahren hat, dass die Berlinerinnen und Berliner außerhalb des S-Bahn-Rings gern etwas mehr über Integration und weniger über die Verkehrswende diskutieren wollten. Noch ist schwer vorstellbar, wie das Entgegenkommen, das Jarasch fordert, aussehen könnte. Auch Schwarz-Grün müsste schließlich ein Enteigungsgesetz auf den Weg bringen.

Gleichzeitig dürfen die Grünen nicht tatenlos zusehen, wie die CDU der SPD Avancen macht. Bei aller Liebe zu Rot-Grün-Rot könnte es am Ende auch auf Schwarz-Rot hinauslaufen. Die Grünen wären dann ebenso raus, wie die SPD bei Schwarz-Grün raus wäre. Ziemlich riskant wäre es für die Grünen deshalb, darauf zu bauen, dass die SPD-Basis Schwarz-Rot schon einen Strich durch die Rechnung machen würde. Schon am Abend wurden in manchen Kreisen die Genossen bereits auf die Große Koalition eingestimmt.

Die Regierungsbildung in Berlin droht nicht nur langwierig, sondern auch zu einem Roulette zu werden. Vielleicht wäre es da auch ratsam, mal einen Moment nicht nur auf die eigene Partei, sondern auch auf die Stadt zu schauen. Gerade Berlin hat mit seiner Geschichte auch eine gewisse Verantwortung, Teilungen und Spaltungen zu überwinden. Uwe Rada

nein

Die Ergebnisse der Berlin-Wahl zeigen klar: Berlin ist in vielerlei Hinsicht gespalten, auch zwischen Innenstadt und Stadtrand. In so ziemlich allen Außenbezirken führt inzwischen die CDU, die insgesamt über 10 Prozentpunkte zugelegt hat. Innerhalb des S-Bahn-Rings dagegen dominieren vor allem die Grünen. Wäre es deshalb wünschenswert, dass CDU und Grüne koalieren, um gewissermaßen beide Elemente – Innenstadt und Außenbezirke – in die Regierung zu integrieren?

Auf keinen Fall. Denn eine Regierungsbeteiligung der CDU würde die Spaltung der Stadt sogar noch verschärfen. Wie sich aus den Umfragen von Infratest ableiten lässt, verdankt die CDU ihren Wahlerfolg vor allem ihren rassistischen Ausfällen nach der Berliner Silvesternacht. 96 Prozent aller neuen Wäh­le­r:in­nen gaben demnach der Partei ihre Stimme, „damit sich in Berlin endlich was ändert“ – vor allem hinsichtlich der Themen „Recht und Ordnung“ und „Probleme mit Zuwanderern“.

Was sich in Berlin also ändern soll, dass ist nach Ansicht dieser vermutlich älteren Menschen, dass der Staat mit mehr Repression gegen migrantische und arme Communities vorgehen soll. Schon die Innenpolitik der SPD der vergangenen Jahre war von diesem Law-and-Order-Ansatz geprägt. Die CDU hätte aber wohl kein Problem damit, da noch eine Schippe draufzulegen. Nur: Soziale Probleme wie Kriminalität wird die Partei damit nicht lösen, sondern nur verschärfen. Und das wiederum führt zu mehr – nicht weniger – Spaltung in der Stadt.

Diejenigen, die vom Rassismus der CDU betroffen sind, wurden derweil im demokratischen Prozess oft schlicht übergangen. 23 Prozent der volljährigen Berliner Bevölkerung hat bei Wahlen mangels deutschen Passes keine Stimme – auch wenn sie seit Jahrzehnten hier leben. Nur mutmaßen lässt sich, ob der Wahlerfolg der CDU ebenso groß ausgefallen wäre, wenn wirklich alle Ber­li­ne­r:in­nen wählen dürften. Und wie bitte soll man Spaltung überwinden, wenn man den Teil rassistisch diskriminiert, der gar nicht mitstimmen durfte?

Innen- und Außenbezirke politisch zusammenzuführen ist zudem schlicht nicht vergleichbar mit dem Zusammenwachsen nach fast 30 Jahren Berliner Mauer. Darüber hinaus ist völlig offen, ob die Koalition aus SPD und PDS im Jahr 2001 überhaupt dazu beigetragen hat. Heute geht es vor allem um politische Differenzen – die sind in einer Demokratie aber gar kein Problem. Denn bei Wahlen geht es um Interessenskonflikte. Wer gewinnt, darf entscheiden. Ein Anspruch, dass alle mitmachen dürfen, besteht schlicht nicht.

Bisher fehlt auch die Fantasie, wie Grüne und CDU ihre politischen Differenzen beilegen könnten. Erstere müssen insbesondere nach der Räumung von Lützerath – die der Partei bei 105 Stimmen Unterschied zur SPD die Führung in einem möglichen Rot-Grün-Rot-Bündnis gekostet haben könnte – beim Klimaschutz und der Verkehrswende liefern. Die CDU ist aber reine Autopartei. Haben die Grünen irgendeine Wahl, dürften sie sich deshalb für Rot-Grün-Rot entscheiden.

Zumal Schwarz-Grün denkbar unbeliebt ist: Gerade 16 Prozent der Wäh­le­r:in­nen fänden dasBündnis gut. Nur 21 Prozent der Grünen-Wählenden wollen diese Koalition – gegenüber 77 Prozent Zustimmung für Rot-Grün-Rot. Timm Kühn