Spielfilm „Human Flowers of Flesh“: Die junge Frau und das Meer

Regisseurin Helena Wittmann zeigt einen Mittelmeer-Segeltörn, der den Spuren der Fremdenlegion folgt, um deren Männlichkeitskult zu verstehen.

Vier Männer und eine Frau auf einem Seegelboot

Scheinbar absichtslos unterwegs: Ida (Angeliki Papoulia) und ihre Crew Foto: Helena Wittmann/Grandfilm

BREMEN taz | Das Blau des Meerwassers und die Sonne in den Gesichtern der Bootsmannschaft. Die Handgriffe, mit denen Segel gesetzt oder eine Seilrolle repariert werden. Das Schwappen der Wellen, das Knarren der Planken. So sinnlich und poetisch wie hier wurde eine Reise auf einem Segelboot im Kino nur selten dargestellt.

In ihrem experimentellen Spielfilm „Human Flowers of Flesh“ erzählt Helena Wittmann von der Fahrt eines Segelboots über das Mittelmeer, von Marseilles bis nach Algerien. Wobei: „Erzählt“ ist nicht das passenden Wort dafür, wie die Hamburgerin Filme macht.

So gibt es hier keine herkömmliche Geschichte. Ja: eine Protagonistin, Ida, der das Boot gehört, auf dem sie mit ihrer ausschließlich männlichen Crew lebt. Aber wir erfahren so gut wie nichts über Ida – außer, dass sie in Marseille Fremdenlegionäre sieht und so fasziniert von deren männlichem Mikrokosmos ist, dass ihr Segeltörn deren Spuren folgt.

Diese Recherche bildet den Kern des Films: Es wird aus Büchern über die Fremdenlegion vorgelesen, Geschichten und Gerüchte werden kolportiert, Gedichte rezitiert; und man hört einige ihrer Lieder mit ihrer Mischung aus Sentimentalität, Todessehnsucht und Obszönitäten.

Irritierende Parallelmontage

Dialoge gibt es dagegen kaum, stattdessen zitiert oder übersetzt jeweils ein Crewmitglied die Fundstücke. Und weil die Crew aus – wie man mitunter sagt – aller Herren Länder kommt, so wie auch die Legionäre, wird im Film Englisch, Französisch, Portugiesisch, Tamazight und Serbokroatisch gesprochen – aber kein Wort Deutsch. Bei entsprechend durcheinander gehenden Unterhaltungen werden auch mal die Untertitel weggelassen: Der Ton ist Wittmann hier wichtiger als das Verständnis.

Hat man sich erst daran gewöhnt, dass kaum geredet wird, sondern eher vorgetragen, merkt man, wie interessant und erhellend die ausgewählten Quellen sind: So wird etwa vom ehemaligen Hauptsitz der Fremdenlegion Sidi bel Abbès in Algerien erzählt, dass es dort auch eine Konditorei gab, weil damals so viele Deutsche in der Fremdenlegion dienten – und gerne Kuchen aßen.

Bei den Aufnahmen einer Truppenübung bedient sich Wittmann dann doch einmal aus der Trickkiste des Erzählkinos: In einer Parallelmontage sieht man die Soldaten mit den Gewehren im Anschlag, im Gegenschnitt Mitglieder der Segelcrew, nichts ahnend durch eine ganz ähnliche Waldlandschaft wandernd. Sind sie in Gefahr? Und was passiert, wenn Ida am Ende des Films in Algerien einen Fremdenlegionär auf der Straße sieht und diesem ihr völlig Fremden in seine Wohnung folgt?

Immerhin treffen in dieser Sequenz mit Angeliki Papoulia und Denis Lavant zwei Stars des internationalen Films aufeinander. Aber wiederum verweigert Wittmann eine konventionelle dramatische Auflösung – die wäre bei diesem Film aber auch nur ein enttäuschender Stilbruch wäre.

„Human Flowers of Flesh“. Regie, Drehbuch, Kamera und Schnitt: Helena Wittmann, mit Angeliki Papoulia, Denis Lavant, Vladimir Vulevic u. a., D/F 2022, 106 Minuten.

Insgesamt ist Wittmanns Bildsprache gewöhnungsbedürftig, so gibt es einige sehr lange Einstellungen. Aber es gelingt ihr das Lebensgefühl der Gruppe junger, scheinbar absichtslos reisender Menschen umso eindringlicher zu vermitteln.

Dabei macht sie auch immer deutlich, mit welchen filmischen Mitteln sie arbeitet: Gedreht hat sie „Human Flowers of Flesh“ auf 16-Millimeter-Kodakfilm, da sind Material- und Belichtungsfehler üblich. Diese im herkömmlichen Sinne misslungenen Aufnahmen hat Wittmann, verantwortlich für Regie, Drehbuch, Kamera und Schnitt, nun aber nicht etwa weggeschmissen, sondern in ihren Film integriert.

Und so sieht man manchmal nur die Farbe Blau auf der Leinwand oder Unreinheiten auf dem Filmmaterial. Auch daran merkt man, dass das Bild Helena Wittmann wichtiger ist als die Handlung: Sie erzählt nicht, sondern zeigt.

Eine Konstante ist dabei ihr Interesse an Seefahrt und Meer: In ihrem Debütfilm „Drift“ (2017) treffen sich zwei Freundinnen auf Sylt und treten beide lange Seefahrten an: die eine über den Atlantik nach Argentinien, die andere in einem Segelboot in der Karibik.

Eine Videoinstallation Wittmanns hat den Titel „Look! Das Meer!“ Und in ihrem neuen Film hat sie Mikroskopaufnahmen vom kleinsten Meereslebewesen und Unterwasseraufnahmen integriert. „Human Flowers of Flesh“ ist ein Film, bei dem man von jeder Einstellung neu überrascht wird und in dem Helena Wittmann einen Männlichkeitskult mit dem neugierigen Blick auf etwas ihr völlig Fremdes betrachtet. Erklärt sich so der Titel? Sind die Legionäre für sie „Menschliche Blumen aus Fleisch“?

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.