Korruption in der Ukraine: Kyjiws langwieriger Kampf

Die Ukraine freut sich über die Lieferung westlicher Panzer. Aber das Land hat noch eine Front, an der Panzer nicht helfen werden – die Korruption.

Sitzender Soldat im Unterstand

Im Frontgraben: Gutes Umfeld für Korruption Foto: reuters

KYJIW taz | Diese Woche wurde die Ukrai­ne von Kor­rup­tions­skandalen und einer Welle von Rücktritten auf höchster Regierungsebene überrollt. Vor dem russischen Angriff gehörten solche Nachrichten zum Alltag, aber in Kriegszeiten wurden sie zum sensiblen Thema. In der ukrai­nischen Zivilgesellschaft und im Kabinett des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski lösten die Skandale heftige Reaktionen aus. Innerhalb weniger Tage wurden Beamte aus Ministerien und Regionalverwaltungen, auch der stellvertretende Leiter des Präsidialamtes, entlassen. Einige Fälle kamen durch die ukrainischen Antikorruptionsbehörden ans Licht – die meisten jedoch durch journalistische Recherchen.

Die Null-Korruption unter Kriegsbedingungen sowie ein wirksamer Kampf gegen ihre Erscheinungsformen werden zu wichtigen moralischen Komponenten der ukrainischen Gesellschaft, die sich gemeinsam gegen einen Feind – Russland – zusammenschließt. Gleichzeitig wird er zur unmittelbaren Grundlage, um die nötige militärische und finanzielle Hilfe von westlichen Partnern zu erhalten. Bei der aufgedeckten Geldveruntreuung ging es um überteuerte Preise für den Kauf von Lebensmittel und Verpflegung und für Ausrüstung und Generatoren für die Soldaten.

Nicht nur Selenski versteht das, sondern auch Journalisten und Aktivisten, die trotz Krieges weiterhin die Korruption von Be­am­ten aufdecken. „Unser Traum ist es, in einem freien Land zu leben – nicht nur von Russland, sondern auch von Korruption“, schrieb die Ukrayinska Pravda in dem Leitartikel, der die wichtigsten Koruptionsfakten bekannt gab.

Witalij Schabunin, Vorstandsvorsitzender des Anti­korrup­tions­zentrums, ist der Ansicht, dass diese Skandale zum Bruch des Gesellschaftsvertrags zwischen Behörden und Gesellschaft, der am 24. Februar 2022 geschlossen wurde, geführt habe. Das Präsidialamt ist sich der Lage bewusst und rea­gierte blitzschnell. Am 7. Februar tagt das ukrainische Parlament, Werchowna Rada, wieder und viele erwarten eine weitere Welle von Personalwechseln.

Korruptionsbekämpfung als Weg in die EU

Kyjiws schnelles Handeln diese Woche ist der EU nicht verborgen geblieben. Im Juni 2022 erhielt die Ukraine den Status eines EU-Beitrittskandidaten. „Wir begrüßen die Tatsache, dass die ukrainischen Behörden diese Probleme ernst nehmen“, sagte die Sprecherin der Europäischen Kommission, Ana Pisonero, bei einem Briefing in Brüssel. „Maßnahmen gegen Korruption umzusetzen ist ein Schlüsselaspekt des EU-Beitrittsprozesses und der politischen Bedingungen für die Fortsetzung der EU-Finanzhilfe.“

Die Ukraine hat bereits eine recht umfangreiche Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung mit sechs unabhängigen Institutionen aufgebaut – darunter ein Ermittlungsbüro, eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht. Allerdings sind noch nicht alle einsatzbereit, und ein paar warten auf eine Leitungskraft.

Ein Mann sitzt im Unterstand und beißt in einen Apfel

Angemessene Verpflegung: Das ukrainische Verteidigungsministerium weist Vorwürfe zurück Foto: Vyacheslav Madiyevskyy/NurPhoto/imago

Gleichzeitig stellt der frühere Wirtschaftsminister Tymofij Mylowanow fest, dass die Ukraine bereits weitere Schritte unternommen hat, etwa die Reform der Zentralbank und des Bankensystems, die Schaffung eines transparenten elektronischen Systems für das öffentliche Beschaffungswesen, die Reform der Patrouillenpolizei und die Öffnung des Grundstücksmarktes.

Mylowanow gibt jedoch zu, dass noch viel Arbeit bevorsteht, unter anderem die Gerichtsreform und Maßnahmen gegen Oligarchen. „Oligarchen kontrollieren noch viele Monopole, daher ist eine Kartellrechtsreform notwendig. Lobbyismus und politische Wahlkampfspenden müssen beseitigt und reguliert werden“, unterstreicht der ehemalige Minister.

Der Krieg als Ende der Oligarchen

Durch den Krieg haben ukrai­nische Oligarchen Vermögen und Millionen Dollar verloren, auch ihre Unternehmen wurden zum Teil zerstört. Rinat Achmetow ist zwar weiterhin der reichste Mann der Ukraine, aber laut verschiedenen Schätzungen hat er bis zu 70 Prozent seines Kapitals verloren.

Sein größtes Unternehmen Metinvest im besetzten Mariupol hat Industriegiganten wie das Stahlwerk Azovstal und die Illich Eisen- und Stahlwerke verloren, die bei den Kämpfen vollständig zerstört wurden. Die größte Koks- und Chemieanlage Europas, die sich in der Frontstadt Awdijiwka in der Region Donezk befindet, wurde ebenfalls stillgelegt. Die Wiederinbetriebnahme dieser Anlagen könnte etwa 20 Milliarden Dollar kosten. Auch in einem anderen Industriezweig, in dem Achmetow ein Monopol hat – der Energiewirtschaft -, erleidet sein Unternehmen DTEK bei jedem Raketenangriff Russlands Millionen von Dollar an Verlusten.

Ein anderer ukrainischer Unternehmer, Ihor Kolomojskyj, dem 2022 von Selenski die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen wurde, verlor ebenfalls einen Großteil seines Kapitals durch den Krieg. Im Frühjahr zerstörte der russische Beschuss eine seiner wichtigsten Anlagen, die Ölraffinerie von Krementschuk, die mehr als ein Drittel des gesamten ukrainischen Kraftstoffmarktes belieferte, vollständig.

Gleichzeitig verstaatlichte die Ukraine im Herbst seine teuersten Aktiva, Ukrnafta und Ukrtatnafta. Sie erhielten den Status von Militärgütern und wurden der Verwaltung des Verteidigungsministeriums unterstellt. Diese Entscheidung wurde jedoch nur für die Zeit des Kriegsrechts getroffen. Später können sie laut Gesetz an den Eigentümer zurückgegeben werden oder der Staat muss eine Entschädigung für sie zahlen.

Viele Ex­per­ten und Ökonomen in der Ukraine glauben, dass der Krieg das Ende einer Ära von Industrieoligarchen bedeutet, die ihr Vermögen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erworben haben. Sie weisen darauf hin, dass es unwahrscheinlich ist, dass sie ihren Status wiedererlangen, wenn der Krieg vorbei ist. Gleichzeitig wird die Wirksamkeit der ukrainischen Gesetzgebung, einschließlich der Umsetzung des so genannten Anti-Oligarchen-Gesetzes und des Oligarchenregisters, darüber entscheiden, ob neue Oligarchen und Monopolisten im Land auftauchen können.

Laut dem Korruptionsindex von Transparency International (TI) lag die Ukraine 2021 auf Platz 122 der Welt-Rangliste und ist damit im Vergleich zu 2020 um einige Plätze zurückgefallen. Am 31. Januar wird TI den aktuellen Bericht veröffentlichen, aus dem hervorgehen wird, inwieweit das Korruptionsniveau im Zuge der Anti-Korruptions-Infrastruktur und des Krieges tatsächlich zurückgegangen ist.

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