Psychologe über Triggerwarnungen: „Anmaßend, weil fremdbestimmend“

Triggerwarnungen gehören heute zum medialen Alltag. Warum das niemandem hilft und Trigger nicht „retraumatisieren“, erklärt Psychologe Thomas Weber.

Auf knallblauem Hintergrund sind viele Wasserpistolen abgebildet

Der Begriff „Triggerwarnung“ wird zu inflationär verwendet, findet Thomas Weber Foto: imago

taz: Herr Weber, in vielen Medien hat sich durchgesetzt, dass etwa vor einer Dokumentation über häusliche Gewalt die Worte eingeblendet werden: „Triggerwarnung: Dieser Inhalt thematisiert häusliche Gewalt und könnte Sie retraumatisieren.“ Sie stehen diesen Warnungen kritisch gegenüber. Wieso?

Thomas Weber: Die Sache ist insofern problematisch, weil es keine schlichte Inhaltswiedergabe ist, sondern eine konkrete Warnung. Der Begriff Triggerwarnung wird heutzutage im Internet inflationär verwendet, das Gleiche gilt für den Begriff „Retraumatisierung“.

ist Diplompsychologe und Geschäftsführer des Zentrums für Trauma- und Konfliktmanagement (ZTK) in Köln, eines Zusammenschlusses von Fachleuten aus den Bereichen Psychologie, Psycho­therapie, Psychiatrie, Sozialpäda­gogik und Jura.

Aber was ist daran problematisch, wenn eine betroffene Person vor einem Inhalt gewarnt wird?

Es geht darum, wie ein Medium einen bestimmten Inhalt einer Person überbringt. Wenn vor der Inhaltswarnung der Begriff „Trigger“ steht, bestimme ich, was für Betroffene ein Trigger ist und was nicht. Das ist anmaßend, weil fremdbestimmend.

Das heißt, die Vorabbenennung von sensiblen Themen ist in Ordnung, es soll bloß nicht „Triggerwarnung“ heißen?

Eine Inhaltswiedergabe ist nett, es sind ja Hinweise, dass der zusehenden Person verstörende Inhalte präsentiert werden. Wenn da drin steht, dass es um Übergriffe oder Gewalt geht, reicht das für Opfer aus. Aber meistens merken es Betroffene auch schon an einer Überschrift oder einem Teaser. Denn die Verarbeitung von Trauma ist immer ein Zusammenspiel zwischen zulassen und vermeiden, es ist wichtig, dass Betroffene die Kontrolle darüber zurückbekommen.

Was ist schlecht an dem Wort „Trigger“?

Anstatt die Person zu schützen, löse ich mit dem Begriff der Triggerwarnung eher Ängste aus. Es ist problematisch, dass ich als Nichtbetroffener Elemente herausgreife und sie als eine mögliche Triggerwarnung benenne. Denn was ein Trigger ist, muss die betroffene Person selbst entscheiden. Wir sollten nicht von außen versuchen, den Trigger zu kontrollieren, sondern müssen die Person in die Lage versetzen, dass sie das selbst kontrollieren kann. Ein Trigger kann nämlich alles Mögliche sein. Ein Mensch kann per se nicht komplett vor möglichen Triggern geschützt werden, es sei denn, er verlässt das Haus nicht mehr und isoliert sich. Und das ist nicht möglich.

Was können denn Trigger sein?

Das könnte ein Geruch, ein Geräusch oder in einer gewissen Situation die Farbe eines Pullovers sein. Wenn eine Person Opfer sexualisierter Gewalt wird, hat sie nicht mit der Thematik direkt ein Problem, sondern mit einzelnen Elementen, die sie an die Tat erinnern. Das kann der Geruch von Zigaretten sein oder von Alkohol, oder der Täter hatte besondere Augen, die sich in die Amygdala (Teil des Gehirns; d. Red.) der Betroffenen eingebrannt haben. Die Person kann durch die Straße gehen, an einer Fußballkneipe vorbeikommen mit einem offenen Fenster, hört Männer grölen und riecht den Geruch von Schweiß, Bier und Zigaretten. Diese Situation könnte ein Trigger sein und etwas auslösen, das zu einer intrusiven Überflutung führen kann.

Was passiert in so einem Fall?

Nach einer Traumatisierung besteht Tage, manchmal auch Monate oder Jahrzehnte später eine latente Reizbarkeit in einem bestimmten Bereich des Gehirns. Die Situation wird fragmentiert und im impliziten Gedächtnis abgespeichert, sodass eine sehr leichte Erregbarkeit besteht. Wird die Person dann durch einen entsprechenden Hinweisreiz „getriggert“, kommt es zur Überflutung von Erinnerungsbildern, Gerüchen oder Geräuschen. Aber das sind dann nicht einfach nur Erinnerungen, sondern die betroffene Person fühlt sich in dem Moment wieder so, als wenn die Situation gerade passiert. Fälschlicherweise wird diese Situation als „Retraumatisierung“ benannt, dabei handelt es sich aber um eine Reaktualisierung der traumatischen Situation.

Also sollen Medien bei ihrer Wortwahl präziser sein?

Ja, denn wenn Medien schreiben, dass Silvesterraketen bei Kriegsgeflüchteten zur Retraumatisierung führen, ist das schlichtweg falsch. Aber auch sonst müssen Medien aufpassen, dass sie Ereignisse nicht zuspitzen oder überdramatisieren – sonst stumpfen wir ab und wichtige Warnungen werden nicht mehr wahrgenommen.

Was meinen Sie konkret?

In Deutschland gibt es die Tendenz, dass wir immer in Katastrophen denken. Angefangen im Jahr 2008 mit der Bankenkrise, dann 2015 mit den Geflüchteten, und jetzt wieder, als würden wir diesen Winter alle erfrieren und verhungern. Das trifft auf Menschen in der Ukraine oder an anderen Orten der Welt zu, aber nicht in Deutschland. In vielen Medien aber gibt es die Tendenz zur Sensationsgier, im Oktober sprachen manche von einer Kältepeitsche aus Sibirien, letztendlich war es ein Winterereignis. Dass es den Klimawandel gibt und dass sich dadurch das Klima verändert, muss berichtet werden, aber dann als sachliche Berichterstattung – sonst ist man in einem permanenten alarmistischen Zustand, und man kann nicht mehr differenzieren, was wirklich ein bedrohliches Ereignis ist und was nicht.

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