Entlastung wegen Energiepreisen: Wenn die Zivilgesellschaft regelt

Die Entlastungsmaßnahmen der Regierung kommen oft spät oder sind zu gering. Zivilgesellschaftliche Organisationen verteilen deshalb Spendengelder um.

Drei blaue Gießkannen hintereinander auf Erdboden mit ein paar Puscheln Gras aufgestellt. Das Bild ist im Dunkeln aufgenommen worden und die Gießkannen sind durch den Blitz stark beleuchtet.

Im Garten hat sich das Gießkannenprinzip bewährt – bei staatlichen Entlastungen weniger Foto: plainpicture

Kann Entlastung gerecht gestaltet werden? Die Bundesregierung hat es wenigstens versucht. Als vergangenes Jahr klar wurde, dass Gas- und Strompreise durch den Angriffskrieg in der Ukraine drastisch steigen, steuerte die Ampel gegen, da sonst viele Haushalte ihre Rechnungen nicht mehr zahlen können: 9-Euro-Ticket, Tankrabatt und die Gaspreisbremse für alle – auch für Unternehmen und Menschen, die mehr Geld haben und nicht unter der Inflation leiden wie andere.

Aber das Geld kommt längst nicht bei allen an, und selbst wenn, ist es zu wenig, beklagen Armutsbetroffene. Ein viel verwendetes Wort: Gießkannenprinzip. Überall wird ein wenig gegossen, egal wie trocken die Erde ist.

Bei ihrem dritten Entlastungspaket hatte sich die Bundesregierung im September auf eine Energiepreispauschale von 300 Euro verständigt, die Beschäftigten mit dem Lohn ausgezahlt werden sollte. Dazu wurden andere Maßnahmen beschlossen wie eine Einmalzahlung für Rent­ne­r:in­nen und Studierende sowie eine Erhöhung des Kindergeldes. Doch nicht von allen werden die Maßnahmen als gerecht wahrgenommen.

Keine gezielte Entlastung

„Eine gerechte Entlastung wäre, wenn alle Menschen die 300 Euro bekämen“, so Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverband VdK, zur taz. Studierende etwa bekommen nur 200 Euro, für jedes Kind gibt es 100 Euro. „Noch gerechter wäre es, wenn Menschen mit kleinen Einkommen und Renten sowie sehr hohen Energiekosten gezielt entlastet werden.“ Auch die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Yasmin Fahimi, fordert eine gerechtere Verteilung: „Insbesondere für die kleinen und mittleren Einkommen brauchen wir unmittelbare, zielgenaue Direktzahlungen“, sagte Fahimi Ende Dezember der dpa.

Im Oktober beriet eine Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on von 21 Menschen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Gewerkschaften sowie Umwelt- und Sozialverbänden die Bundesregierung. Wie könnten sie die Bür­ge­r:in­nen am besten entlasten? Für eine zielgerichtete Entlastung würden die Daten fehlen, argumentierte die Kommission. Und die geplante Gaspreisbremse könne erst ab März funktionieren. Die wurde schließlich von der Bundesregierung umgesetzt: Der Preis wird für Privatpersonen und kleinere Unternehmen für 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs auf 12 Cent brutto pro Kilowattstunde begrenzt.

Zudem soll die Gasrechnung für Dezember für alle Haushalte übernommen werden. Sozialverbände wie linke Po­li­ti­ke­r:in­nen bewerten das kritisch. Dietmar Bartsch von der Linkspartei etwa kritisierte: „Das heißt, wer eine Villa mit Pool hat und acht Zimmern und richtig mollig warm heizt, der bekommt einen fetten Rabatt vom Steuerzahler. Und die Rentnerin, die schon über Jahre gespart hat und eine kleine Wohnung hat, die bekommt fast nichts. Das, meine Damen und Herren, ist nicht gerecht.“

Besonders häufig von Armut betroffen sind Alleinerziehende. Laut einer Studie, die Anne Lenze, Professorin für Familien-, Jugendhilfe- und Sozialrecht an der Hochschule Darmstadt im Auftrag der Bertelsmannstiftung erstellte, sind 40 Prozent der Alleinerziehenden arm. Das ist vier- bis fünfmal häufiger als bei Paarfamilien. Alleinerziehende wie Nadja (41) wissen häufig nicht, wo sie noch sparen sollten – während gleichzeitig die Unterstützung vom Staat nicht reicht. Sie hat Kontakt zur Stiftung Alltagsheld:innen, die sich für die Rechte von Alleinerziehenden einsetzt. Das Geld ist knapp, noch knapper als zuvor.

Doppelte Nebenkosten

„Es gibt so ein paar Stellschrauben, wo man sparen kann. Aber ich merke, es gibt nicht mehr viele Schrauben, wo ich drehen kann, weil das schon ausgereizt ist“, sagt Nadja (41), die ihren Nachnamen nicht in Verbindung mit diesem Thema in der Zeitung lesen möchte. 1.200 Euro verdient die Künstlerin im Durchschnitt pro Monat. Momentan lebt sie für 600 Euro auf 49 Quadratmetern in Berlin-Mitte – bleiben 600 Euro, um zwei Menschen anzuziehen, zu ernähren, mit Kultur und Hygieneprodukten zu versorgen.

Als Freiberuflerin muss sie das Geld vorstrecken – weil sie 2022 unter dem Freibetrag von 10.347 Euro plus Kinderfreibetrag von 4.194 Euro lag, kann sie die Energiepauschale erst mit der nächsten Steuererklärung „geltend machen“. Nadja stört das, sie rechnet mit Nachzahlungen bei Strom und Gas, die möglicherweise schon früher von ihrem Konto abgehen, als die Energiepauschale eingeht. Und die Nebenkosten haben sich bereits im Oktober erhöht: von 100 auf 200 Euro im Monat für Heizung, Warm- und Kaltwasser. „Das klingt nicht viel, aber es ist das Doppelte.“ Hinzu kommen die gestiegenen Lebensmittelpreise.

Wenn Nadja mehr Geld verdienen und über den Freibetrag kommen würde, müsste sie das Geld versteuern – und staatliche Hilfen wie der Kinderzuschlag würden wegfallen.

Nadja fände eine Energiepauschale pro Haushalt besser. Zwei Erwachsene, die ein Kind haben, bekamen an Energiepauschale je 300 Euro plus 100 Euro fürs Kind. Macht 700 Euro. Nadja bekam bislang 100 Euro für ihren Sohn August und wartet auf die 300 Euro. Wären 400 Euro. „Es ist einfach nicht so im Verhältnis, finde ich“, sagt Nadja. „Ich hätte es schlauer gefunden, dass man das über eine Haushaltsregelung macht.“ Zum Beispiel 500 Euro für alle Haushalte – egal ob eine oder zwei Erwachsene darin leben.

Das Bundesfamilienministerium äußerte sich bis Redaktionsschluss nicht dazu, ob es Nachbesserungsbedarf bei der Energiepauschale gibt. Ein Sprecher des Bundesministeriums für Finanzen erklärt, dass Alleinerziehenden und ihren Kindern „die Entlastungsmaßnahmen der Bundesregierung zugutekommen“, da „Eltern im Steuerrecht besonders gefördert“ würden. Dazu zählt der Sprecher auch, dass „der Ausbildungsfreibetrag ab dem Jahr 2023 von 924 Euro auf 1.200 Euro je Kalenderjahr angehoben wird“ und das Kindergeld auf einheitlich 250 Euro pro Kind erhoben wurde. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte das gegen den Willen der FDP durchgesetzt.

Wer durchs Raster fällt

„Immerhin das, das ist wirklich gut“, sagt Nadja. Doch manche fallen auch hier durchs Raster: Bei Alleinerziehenden, die auf Unterhaltsvorschuss angewiesen sind, wird ein Existenzminimum berechnet, um die Höhe des Vorschusses zu berechnen – dabei wird das Kindergeld angerechnet. Von der Erhöhung des Kindergelds bleibt für diese Gruppe also nichts übrig. Eine gerechte Entlastung ist das nicht.

„Die Politik lässt alleinerziehende Mütter sowieso alleine“, sagt Heidi Baumann. Sie ist 76 Jahre alt, Pensionärin, ehemalige Studiendirektorin und war als junge Mutter einige Jahre selbst alleinerziehend. „Es sind ja auch immer Kinder betroffen, es geht deshalb auch um Kinderarmut. Darüber wird viel berichtet, auch der Zusammenhang zur Situation der Alleinerziehenden hergestellt, das wird von der Politik aber nicht aufgegriffen“, sagt Baumann. Sie findet, dass die Ampelkoalition die Entlastungsmaßnahmen gezielter hätte verteilen sollen: „Die Regierung hätte differenzieren sollen. Die Politik hat ja auch mitgekriegt, dass sich Mütter alleingelassen fühlen. Dazu gab es ja Fernsehberichte noch und nöcher.“ Andere wiederum, wie sie selbst, bräuchten das Geld nicht. Baumann möchte ihr Geld deshalb spenden.

Es gibt einige Vereine, die sich für eine zivilgesellschaftliche Umverteilung der Energiepauschale einsetzen: Der Verein Lichtblicke setzt sich für Senior_innenhilfe ein, viele Caritas-Verbände aus dem Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche rufen dazu auf, die Energiepauschale zu spenden, um armen Menschen finanziell und beim Stromsparen zu helfen. Heidi Baumann wollte aber bewusst alleinerziehende Mütter unterstützen: „Manche spenden an Ärzte ohne Grenzen, ich finde, das ist in diesem Fall nicht zielgerichtet.“ Es gehe ihr um eine Korrektur politischer Maßnahmen, weil das Geld mit der Gießkanne verteilt werde und die Not Alleinerziehender nicht wahrgenommen werde. „Die Gruppe der alleinerziehenden Mütter ist die Gruppe, die es am meisten braucht.“

Sie hat ihre Energiepauschale an den Energie-Soli der Stiftung All­tags­hel­d:in­nen und des Vereins Fair für Kinder gespendet. Bei der Aktion wird bis Ende Januar die Energiepauschale von Privatpersonen gesammelt. 150.000 Euro wollen die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen akquirieren. Lokale Organisationen geben diese in Form von Gutscheinen für Lebensmittel und Hygieneprodukte an bedürftige Alleinerziehende weiter.

Der Auftrag der Politik

Der „Bedarf“ der Alleinerziehenden wird nicht durch Formulare oder Ähnliches geprüft, sondern die Spenden werden Ende Januar auf Vertrauensbasis ausgegeben. Alleinerziehende sollen so einfach, schnell und diskriminierungsfrei unterstützt werden. Welche Alleinerziehenden davon profitieren, entscheidet sich nach Januar, wenn klar ist, wie viel Geld durch die Spendenaktion zusammenkam. Bislang hat die Zivilgesellschaft schon 75.000 Euro gespendet.

Einerseits ginge es um kurzfristige Hilfe, sagt Heidi Thiemann, Gründerin der Stiftung Alltagsheld:innen: „Andererseits wollen wir die aktuelle Verteilungsungerechtigkeit gegenüber Alleinerziehenden sichtbar machen.“ Dass es so weit überhaupt kommt, sieht Thiemann kritisch: „Es ist nicht die Aufgabe der Zivilgesellschaft, gerechte Umverteilung zu organisieren, sondern der Auftrag an die Politik, für sozialen Ausgleich und Frieden in der Gesellschaft zu sorgen.“

Der Bund sieht also wenig Nachbesserungsbedarf, stellt den Ländern aber 1,8 Milliarden Euro für Härtefallfonds zur Verfügung. Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein haben einen solchen Fonds schon eingerichtet. In Berlin beispielsweise sollen Armutsbetroffene durch ein Online-Verfahren einen Antrag stellen, um Energiesperren zügig aufzuheben oder zu verhindern. Dass diejenigen, die sowieso schon damit kämpfen, ihre Rechnungen zu bezahlen, aktiv werden müssen, um besser entlastet zu werden, ist fragwürdig. Dass dazu das Glück kommt, im richtigen Bundesland zu leben, ist nicht wirklich fair und einheitlich.

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