Entertainerin Denice Bourbon: Wie ein knallender Korken

Denice Bourbon ist lesbisch und lustig. Die Schwedin lebt in Wien und bringt Glamour und Euphorie in eine chronisch schlecht gelaunte Stadt.

Eine Frau hält einen Strauß Blumen in der Hand und blickt direkt in die Kamera

Denice Bourbon bringt Glamour und Euphorie nach Wien Foto: Daniel Hill

Die berühmteste Schwedin Wiens repräsentiert auf den ersten Blick nicht das, woran man bei Schweden denkt: reservierte Menschen in Bullerbü Natur­idylle, die Wert auf schlichtes Design legen. Denice Bourbon ist zwar groß und blond, macht sich aber schon von Weitem durch Stöckelschuhklackern, eine Parfümwolke und ein brüllendes Lachen bemerkbar. Kurz darauf fällt sie einem um den Hals und ruft „Omg! Hi! I love you! I love your little shirt!“

Wo Denice aufkreuzt, entsteht die Atmosphäre einer exaltierten Party, in die sie alle Anwesenden herzlich integriert wie ein knallender Champagnerkorken als Mensch. Sie ist ein glamouröses Original des Wiener Nachtlebens und bringt Euphorie in diese chronisch schlecht gelaunte Stadt. Und sie ist lesbisch. „Lesbisch! Ich bin eine lesbische Lesbe!“, ruft sie immer wieder in ihren Shows, das sei ihr sehr wichtig zu betonen. Wenn wir hin und wieder gemeinsame Auftritte haben (als „Legends of Entertainment“ mit Christiane Rösinger) würde man im Backstage eher Christiane und mich als die sich im Glitzerkleid Lippenstift auftragende Denice für Lesben halten. Ich bin noch damit aufgewachsen, dass man als linke Heterofrau bloß nicht zu feminin erscheint, auf Nagellack, Make-up und High Heels keinen Wert legt und habe erst von den Queers gelernt, dass feminine Performance nicht weniger feministisch ist. Heute ist es nicht mehr ungewöhnlich, sich auch in linken Clubs aufzutakeln, die Subkultur ist queerer geworden.

Denice war immer schon eine Femme. Ende der Achtziger wuchs sie in einer trostlosen Plattenbausiedlung in einer kleinen Industriestadt zwischen Stockholm und Göteborg auf. Dort gab es Fabriken, Wälder und eine große Autobahn mitten durch die Stadt. „Da sind regelmäßig Kinder überfahren worden, das war ganz normal in den 80ern“, erzählt sie. Eigentlich ist Denice Finnin und als Kind finnischer Gastarbeiter nach Schweden gezogen. Ihre Mutter hat am Fließband Teile für Schweißroboter bearbeitet und ist davon im Alter erblindet. „Wir Finnen sind in Schweden die armen Gastarbeiter. Es gab eine große Community finnischer ArbeitsmigrantInnen. In der Siedlung waren Finnen, Leute aus Exjugoslawien und syrische Familien. Ständig sind Züge durchgefahren, aber nie stehengeblieben. Die einzige Ausgehmöglichkeit war die Tankstelle.“

Schon als Neunjährige sei sie mit Federboas, Handtaschen und Stöckelschuhen durch das Viertel spaziert. Sie sammelte obsessiv Musikmagazine, ihr Idol war Madonna. Mit anderen Kindern gründete sie eine Band: Zodiac. „Ich dachte ein Name mit Z wär gut, dann findet man uns leichter in den Plattenläden. Mit zehn hab ich sogar eine Platte aufgenommen.“ Als sie sechzehn war, zog sie in die nächstgrößere Stadt. Sie wurde Punk. „Ich war in feministischen Underground-Aktionsgruppen, die ständig Krawall machten. Wir warteten zum Beispiel am Straßenstrich auf Freier, eine Freundin verkleidete sich mit einer Perücke. Wenn einer stehenblieb, schlugen wir mit diesen Nothämmern aus dem Bus die Scheiben ein und sprühten das Auto an. Manchmal warfen wir Tampons ins Fenster, die wir in vergammelte Milch eingelegt hatten. Die Typen standen unter Schock.“ Heute findet sie diese Aktionen nicht mehr gut. „Wir dachten, wir befreien die Frauen, aber haben sie eigentlich gefährdet.“ Die Geschichte, wie sie und ihre radikalfeministische Bande eine Pornovideothek mit Cola­flaschen überfallen haben, wird sie in ihrem ersten Soloprogramm im Frühling erzählen. Das Schweden, von dem Denice erzählt, ist das des aggressiven Komasaufens und das mit der höchsten Waffenkriminalität der EU.

Erst mal als Hausfrau

Als Knotenpunkt für organisiertes Verbrechen und Bandenkriminalität gilt Malmö, dort zog sie später hin und verliebte sich in eine Wienerin. Innerhalb kurzer Zeit wurden beide zusammengeschlagen, Denice wurde die Nase, ihrer Freundin der Kiefer gebrochen. Ein guter Grund wegzuziehen. Es folgten ein paar Monate Berlin und weil sie bald nicht mal mehr Geld für etwas zu Essen hatten, ging es weiter nach Wien, da hatte ihre Freundin zumindest Familie. Hier lebte sie erst mal als Hausfrau. „Es war total absurd für die Ämter, dass man als Schwedin in Österreich Sozialleistungen bezieht. Sie haben nichts hinterfragt. Man war ja ein guter Ausländer. Das Geld wurde mir förmlich nachgeschmissen.“ Arbeiten kam für sie nicht in Frage. „Ich dachte mir, ich kann ja überhaupt nichts außer Singen.“ Über Zeitungsannoncen suchte sie Anschluss in der lesbischen Community „Queer gab es damals noch nicht.“ Und bald gründete sie mit neuen Bekanntschaften die Band Bonanza Jellybean. „Wir spielten lesbischen Country und trugen Flanellhemden, das kam gut an. Wien war damals noch fader, aber ich fühlte mich sofort wohl. Für Schweden war ich immer zu extrovertiert. In Wien waren alle faul, hatten Humor und nörgelten nur rum.“

Bei einem Auftritt der Bonanza Jellybean schüttete ein Typ aus Versehen Whiskey-Cola übers Mischpult, woraufhin Denice Bourbon versuchte, die Show mit Witzen zu retten. „So bin ich draufgekommen, dass ich noch was anderes kann“, erzählt sie. Weil sie bei den Konzerten nun die meiste Zeit redete, warfen die Bandmitglieder sie aus dem Projekt. „Ich war auch unzuverlässig und immer besoffen.“ Doch längst hatten queere Veranstalter sie als Entertainerin entdeckt und buchten sie als Moderatorin, sie wurde Teil einer Burleskeshow, in der sie sich kunstvoll auf der Bühne entkleidete und schrieb für die feministische Zeitschrift Anschläge die Kolumne „Lesbennest“. Mitte 30 schrieb sie ihre erste Biografie: „Cheers! Stories of a Fabulos Queer Femme in Action“.

Bald kannte sie jeder in der Szene, ihre Fähigkeit zum Smalltalk beeindruckt mich immer wieder. Während ich mich nach Auftritten auf dem Klo verstecke, stürzt sie sich in die Fans, verteilt Umarmungen und ist begeistert von jeder einzelnen Person. Selbst als wir in Heidelberg in der übelsten Absturzkneipe den schmierigsten Typen Baden-Württembergs kennenlernten, der uns einen furchtbaren Witz nach dem anderen erzählte, kreischte sie vor Begeisterung und versicherte ihm, dass er der lustigste Guy der Welt sei. Und das meint sie in dem Moment ganz ernst. Es ist eine hysterische Menschenliebe. „Ich sehe dich ein bisschen als Mutter der Wiener Queerszene, stört dich diese Bezeichnung?“, frage ich sie bei einem Kaffee. „Nein, überhaupt nicht, I love that!“, lacht sie. Gerade hat sie die letzte Aufführung ihres ersten Theaterstücks „Sodom“ im Brut Theater hinter sich. Eine Revue, die aus queerer Perspektive über das rote Wien der 1920er erzählt, in der das Verruchte, die Erforschung der Sexualität und die Psychoanalyse ins kulturelle Zen­trum rückten. Selbst spielt sie darin die Rolle der „Magna Marta“, ein riesiges, in roten Stoff gehülltes sozialistisches Fabelwesen mit zwanzig Brüsten. Unter anderem erzählt sie die Biografie Anna Freuds nach. „Ich liebe educational stuff, wenn Leute nach einer Performance kommen und sagen, sie hätten etwas gelernt.“

Sich um ihre Community kümmern, hat für Denice Bourbon höchste Priorität. „Mütter haben eine Tradition in der Queerszene. Ich hatte auch so eine Mutterfigur. Eine 50-jährige Butchlesbe, die Fotografin war, hat mein Coming-out betreut.“ Ob ihr diese Rolle nicht auch manchmal auf die Nerven gehe? „Nein, das ist mein Job. Für Leute da sein, sehe ich als meine Aufgabe.“ Während ich an Humor am liebsten die Schmerzgrenzen und das Konfrontative liebe, hat Denice pädagogischere Ansprüche. Auch in ihrer monatlichen Comedyshow PCCC* im Wiener Kulturzentrum WUK. Die 400 Tickets dafür sind zuverlässig nach zwei Stunden ausverkauft. Als sie damit vor vier Jahren begann, habe sie die Leute zwingen müssen zu kommen. Mittlerweile ist die Show Kult. „Ich wollte eine Bühne, die darauf acht gibt, keine diskriminierenden Witze zu machen.“ Mit einem Sensitivity Reader werden alle Nummern vorher besprochen. „Geht dir das nicht manchmal auf die Nerven, so sensibel sein zu müssen?“, wiederhole ich mich. „Nein, das ist mein Anspruch, das ist mein Versprechen an das Publikum. That I care. Es gibt viele andere Bühnen, meine ist eben PC. Und politisch korrekt bedeutet nicht langweilig.“

Ein Händchen für schillernden Persönlichkeiten

Langweilig sind die Abende nie. Die PCCC* Show ist eine große Zelebrierung außergewöhnlicher Charaktere, man ist ein Teil eines großen Zusammenkommens. Pro Abend gibt es ein Thema wie „Holiday“ oder „Fashion“. Mit kurzen Stand-up-Nummern unterhält Denice die Gäste und stellt vier bis sechs Performer vor. „Und wenn Dinge trotzdem als problematisch kritisiert werden?“ „Dann hör ich mir das an und reagiere nicht trotzig. Leute wollen gehört werden und oft haben sie einen guten Punkt.“ Denice geht gezielt auf Leute zu, die sie für witzig und begabt hält und motiviert sie, auf die Bühne zu gehen. Profis und Szenelieblinge wechseln sich ab mit Menschen, die zum ersten Mal vor Publikum auftreten. Die mittlerweile preisgekrönte Kabarettistin „Malarina“ oder der Tiktok Star „toxische Pommes“ gaben bei PCCC* ihr Debüt. Auch die unprofessionellen Performances bestechen meist durch schillernde Persönlichkeiten, für die Denice ein Händchen hat. So erzählt z. B. Faris Cuchi, queerer Aktivist aus Äthiopien, über sein Aufwachsen in einer strengchristlichen Familie, eine amerikanische Biologin aus der tschechischen Nachbarstadt Brno führt einen ins Storytelling der Südstaaten ein, oder „Gsindl“, eine Künstlerin aus dem Iran, bringt Anekdoten aus ihrem Alltag als Supermarktkassiererin.

Es sind punkige Abende, an denen spannendere Typen als die klassischen Comedymacker zu Wort kommen. Und während andere Bühnen in der Pandemiezeit um Besucher rangen, rangeln sich die Leute für PCCC* um Restkarten. „Wir gelten immer noch als Nische, obwohl wir mittlerweile so groß sind.“

Als nächstes ist PCCC* in Linz vor dem Konzert von „Pisse“ zu sehen. Trotz ihrer Bekanntheit, wird sie vergleichsweise wenig für Kooperationen angefragt. Warum? „Ich glaube, die denken wegen dem PC, ich bin total streng, dabei weiß jeder, der mich kennt, ich bin so nett. Ich bin so lieb und brav. Das ist vielleicht das einzig Schwedische an mir. Mein gutes Benehmen.“ Sie lacht so laut, dass sich jeder im Lokal umdreht.

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