Rus­s*in­nen in Buenos Aires: Zum Kinderkriegen nach Argentinien

Immer mehr schwangere Russinnen kommen zum Gebären nach Argentinien. Das Kind bekommt die argentinische Staatsbürgerschaft, die Familie gleich mit.

Straßenzene bei Nacht

Buenos Aires ist das bevorzugte Ziel von russischen werdenden Müttern Foto: Pablo Camacho/imago

BUENOS AIRES taz | „Fünf Russinnen waren vor mir dran“, entschuldigt sich Laura bei ihrer Freundin Natalia fürs Zuspätkommen. Die beiden sitzen im Café schräg gegenüber der schweizerisch-argentinischen Geburtsklinik in Buenos Aires. Laura ist im sechsten Monat schwanger. „Bei mir sei alles in Ordnung, hat die Hebamme gemeint“, sagt sie.

„Und die Russinnen?“, fragt die Freundin. „Alle schwanger, vierter bis achter Monat“, sagt Laura. Zwei Dolmetscherinnen wären auch dagewesen, und so hätten sie etwas plaudern können. „Vier kommen aus Moskau, eine aus Kaliningrad, alle sind zum Kinderkriegen hier.“ Und es würden immer mehr, weil es hier so einfach sei.

Bis vor wenigen Jahren war Miami das bevorzugte Ziel von russischen werdenden Müttern. Doch erst kam Corona, und jetzt, mit dem Krieg, hat sich das Reiseziel in den Süden verlagert. Russische Staats­bür­ge­r*in­nen brauchen für die Einreise nach Argentinien kein Visum und können wie alle Tou­ris­t*in­nen 90 Tage im Land bleiben. Das öffentliche und private Gesundheitssystem ist im Vergleich zu vielen Ländern gut.

Und vor allem: In Argentinien gilt das „ius soli“, das Prinzip des Geburtsortes, was bedeutet, dass alle hier Geborenen automatisch argentinische Staats­bür­ge­r*in­nen sind. Außerdem: Auch die Eltern können die argentinische Staatsbürgerschaft erwerben.

Die Geburt eines Reisepasses

Auf der Webseite der Agentur Baby.RuArgentina ist alles auf Russisch. Statt eines Klapperstorchs steht dort ein blauer Pinguin mit einer Windel im Schnabel. Darin baumelt kein Neugeborenes, sondern ein argentinischer Pass. In der Erklärung darunter geht es denn auch weniger um Gebär- als um Passfragen: „Jedes in Argentinien geborene Kind erhält automatisch die Staatsbürgerschaft und seine Eltern einen argentinischen ständigen Wohnsitz und das Anrecht auf einen argentinischen Pass, mit dem Sie ohne Visum um die Welt reisen können: von Europa und Großbritannien bis nach Japan und Neuseeland“, steht da zu lesen.

Webseitenbetreiber Kirill Makoveev lebt seit 2015 in Argentinien. „In Russland ist die Medizin auf dem Stand des 19. Jahrhunderts. Das ist ein Grund, warum schwangere Frauen, die Geld haben, sich für Argentinien entscheiden“, sagt er. Ein anderer sei inzwischen zweifellos der Krieg.

Vor der russischen Invasion in der Ukraine hatte er 100.000 Besucher pro Jahr auf seiner Webseite. 2022 waren es 400.000. „Schon in der ersten Woche des Krieges waren es 10 bis 50 Besucher mehr pro Tag“, so Makoveev.

Welchen Preis Gebären in Argentinien bei ihm hat, verrät der Klick auf den Tarife-Button. Das Rundum-Paket der „Economy Class“ kostet 5.500 Dollar und das der „Business Class“ 7.000 Dollar. Eine telefonische Fernberatung ist ab 100 Dollar erhältlich.

Für Argentinien ist der russische Geburtentourismus legal und findet auch keineswegs im Verborgenen statt. Auf Baby.RuArgentina sind zahlreiche Presseberichte verlinkt, ein Link führt zum britischen The Guardian. Dort kommt Georgy Polin zu Wort, der Leiter der konsularischen Abteilung der russischen Botschaft in Buenos Aires. Polin schätzt, dass im Jahr 2022 zwischen 2.000 und 2.500 Russen nach Argentinien übergesiedelt sind, darunter viele Frauen, die eine Geburt im Land geplant hatten. „Im Jahr 2023 kann diese Zahl auf 10.000 steigen“, sagt Polin.

Die fünf Russinnen hätten gesagt, sie seien nur wegen der Geburt ihres Kindes gekommen. „Stell dir vor, wenn es Jungs werden, sollen alle Lionel oder Leo heißen“, sagt Laura am Cafétisch. Das wundere ja jetzt in Russland auch keinen mehr, seit Messi Fußballweltmeister ist.

Ihre Hebamme habe noch gesagt, dass es sich für die Klinik lohnen würde. ­Wegen der allgemeinen Misere im Land könnten sich immer weniger Ar­gen­ti­nie­r*in­nen eine private Krankenversicherung und damit die Entbindung in einem privaten Krankenhaus leisten.

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Kommt aus Karlsruhe. Studierte Politische Wissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete zwölf Jahre als Redakteur und Geschäftsführer der Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Seit 2005 lebt er in Buenos Aires. Er ist Autor des Reisehandbuchs “Argentinien”, 2024, Reise Know-How Verlag.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

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