Fachkräfte aus dem Ausland: Punkte sammeln für den Job

Das Innenministerium hat einen Gesetzentwurf zum Fachkräftemangel vorgelegt. Ein Punktesystem soll die Arbeitssuche erleichtern.

Bauarbeiter auf Baugerüst

Auch in der Baubranche herrscht Fachkräftemangel Foto: Sebastian Gollnow/dpa

BERLIN taz | Mehr Fachkräfte aus dem Ausland sollen helfen, dem immer größeren Fachkräftemangel in Deutschland beizukommen. Ende November hatte das Kabinett bereits Eckpunkte für eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes beschlossen – nun hat das Bundesinnenministerium einen entsprechenden Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gegeben.

Der Entwurf liegt der taz vor. Er beinhaltet verschiedene Maßnahmen, um die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu erleichtern und zu beschleunigen und Hürden für qualifizierte Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten abzusenken. So sollen Fachkräfte mit anerkanntem Abschluss künftig auch andere qualifizierte Beschäftigungen ausüben dürfen als die, in der sie ausgebildet sind. Auch soll es unter bestimmten Umständen möglich sein, das Anerkennungsverfahren erst nach der Einreise nach Deutschland und parallel zur Arbeitsaufnahme zu beginnen.

Als zentrale Neuerung hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil schon vor Monaten eine sogenannte Chancenkarte angekündigt: Auf Grundlage eines Punktesystems sollen Menschen auch ohne Jobzusage für bis zu ein Jahr zur Arbeitsplatzsuche nach Deutschland kommen können, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Im nun vorliegenden Referentenentwurf finden sich dazu nun auch Details.

So soll die entsprechende Aufenthaltserlaubnis bekommen, wer mindestens sechs Punkte aus einem festgelegten Katalog erreicht. Vier Punkte gibt es für Menschen mit ausländischer Berufsqualifikation, für deren Anerkennung in Deutschland zum Beispiel noch Nachqualifizierungen nötig sind. Drei Punkte gibt es für gute deutsche Sprachkenntnisse oder für langjährige Berufserfahrung in dem Bereich, für den die Person ausgebildet ist. Für ausreichende Sprachkenntnisse oder lediglich mehrjährige Berufserfahrung gibt es zwei Punkte, ebenso, wenn die Person nicht älter ist als 35 Jahre.

Für ein Lebensalter zwischen 36 und 40 Jahren gibt es immerhin noch einen Punkt. Diesen bekommt auch, wer in den vergangenen fünf Jahren für mindestens ein halbes Jahr ununterbrochen und rechtmäßig in Deutschland gelebt hat oder wer eine Art Bür­g*in findet, die oder der sich bereit erklärt, die „Eingliederung des Ausländers in Arbeitsmarkt und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland zu unterstützen“. Wer seine Qualifikation in Deutschland anerkennen lässt, bekommt die Chancenkarte auch ohne die Punktesammlerei.

Die neue Rechtslage soll abrücken vom bisherigen deutschen Beharren auf Zertifikate und der Berufserfahrung von Menschen mehr Gewicht geben. Allerdings nur bis zu einem gewissen Grad. So bekommen Menschen keine Chance über das Punktesystem, wenn sie zwar seit langen Jahren in einem bestimmten Beruf tätig sind, aber über keinen formalen Abschluss verfügen: Bedingung für die Karte ist eine mindestens zweijährige ausländische Berufsqualifikation oder ein Hochschulabschluss.

Ein Umstand, den die Grüne Innenpolitikerin Misbah Khan kritisiert. Die Chancenkarte sei ein „wichtiges Symbol für einen leicht verständlichen Weg nach Deutschland“ und werde hoffentlich viele Menschen einladen, sagte sie der taz. Aber: Wir sollten uns grundsätzlich fragen, ob wir weiterhin stark an der ‚deutschen‘ Vorstellung von formeller und dokumentierter Berufsausbildung festhalten wollen, die es in vielen Herkunftsländern so nicht gibt. Der Bedarf ist so groß, dass wir die Punktevergabe in Bezug auf Ausbildung und Sprachkenntnisse erleichtern müssen.“

Der Entwurf allein reicht nicht

Parallel zum Gesetzesverfahren bringt das Bundesarbeitsministerium auch eine Verordnung zur „Erleichterung und Steigerung der Erwerbsmigration“ auf den Weg. Diese soll unter anderem die Deckelung der sogenannten Westbalkan-Regelung aufheben. Diese ermöglicht es auch ungelernten Arbeitskräften aus den Westbalkanstaaten, mit Jobzusage nach Deutschland zu kommen – sie ist bisher aber auf 25.000 Zusagen pro Jahr begrenzt.

Ex­per­t*in­nen zufolge braucht Deutschland jedes Jahr 400.000 Fachkräfte aus dem Ausland, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Selbst die Bundesregierung weiß, dass das allein mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz nicht getan ist. Dem Entwurf zufolge schätzt sie, dass dadurch etwa 50.000 zusätzliche qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland kommen werden, zusammen mit der Verordnung hofft sie auf etwa 65.000.

„Die Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wird zu einem signifikant höheren Zuzug an ausländischen Arbeitskräften führen“, bekräftigt auch Misbah Khan.

Um aber den notwendigen Bedarf zu erreichen, brauche es ein wirkliches Umdenken: „Die Diskussionen um die Silvesternacht machen einmal mehr deutlich: Wir haben ein gesamtgesellschaftliches Unwohlsein beim Thema Migration“, so Khan. „Doch nur wenn uns der Wandel zu einem chancenorientierten Einwanderungsland gelingt, kommen Menschen nach Deutschland, um unsere Großeltern zu pflegen, Microchips zu bauen oder den Bus zu fahren.“

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