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: Dem Tod einen Film abgewinnen

„Wer wir gewesen sein werden“ (Deutschland 2022, Regie: Erec Brehmer). Die DVD ist ab 5 Euro im Handel erhältlich.

Sie, Angelina Zeidler, ist erst nur eine Tinder-Bekanntschaft, Studentin in Weihenstephan, die Bierbrauerin werden will. Er: Erec Brehmer, angehender Filmemacher, der zu dem Zeitpunkt noch an der Hochschule für Film und Fernsehen in München studiert. Es wird rasch mehr als eine Affäre daraus. Er kommt aus dem Norden und filmt nun Trachtenkapellen. Sie liebt das Kino und begleitet ihn zu Filmfestivals.

Die Handy-Kamera ist häufig dabei. Man sieht, im ersten Teil des Films, Szenen von zwei Menschen, die sich ineinander verlieben: Ihr Gesicht in Superzeitlupe, sie liegen im Gras, sie albern am Meer, sie ziehen zusammen, eine Zukunft mit Heirat und Kindern ist schon halb ausgemalt: Alles in schöner Weise banal und alltäglich. Es müsste sich außer den beiden und denen, die beide kennen, niemand auf der Welt für all das interessieren.

Der erste Teil des Films aber trägt den Titel „Das Leben davor“. Und der Film beginnt mit einer Einstellung, die so banal scheint, dass sie einem ominös vorkommen muss: Man sieht, vom Rand aufgenommen, eine Straße, wie es Tausende gibt. An dieser hier, in einer gar nicht gefährlichen Kurve jedoch ist Angelika Zeidler, die Frau, die Erec Brehmer geliebt hat, ums Leben gekommen. Auf dem Rückweg von einem Ski-Ausflug in die Berge, sie saß am Steuer, das Auto ist auf die Gegenfahrbahn geraten. Sie stirbt beim frontalen Zusammenstoß mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, er überlebt, schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt.

Damit beginnt der zweite Teil des Films, „Das Leben danach“. Erec Brehmer sammelt die Scherben seiner Existenz mühsam zusammen. Er tut dies auch in filmischer Tagebuchform. Sichtet die Bilder des gemeinsamen Lebens, montiert sie, erzählt, kommentiert mit unaufdringlichem Text und eigener, nicht verletzt, aber verletzlich klingender Stimme.

Alexander Maschke hat eine sich nie in den Vordergrund drängende Musik dazu komponiert. Erec Brehmer gewinnt so dem Tod und seiner endgültigen Formlosigkeit diesen Film ab. Er ist eine Form der Trauerarbeit, zugleich ein Versuch, von „Angi“ und von der Liebe zu ihr festzuhalten, was sich festhalten lässt.

Es ist, und bleibt, eine private, ja intime Geschichte. Und doch hat man nie das Gefühl, in etwas hineingezogen zu werden, das einen im Grunde nichts angeht. Es ist, nach den ersten Bildern und Szenen und Erinnerungskommentaren, fast so, als hätte man Angelina Zeidler selbst kennengelernt. Sie wird zur Figur, die einen berührt, deren Tod einen trifft, weil man sie leben sah (oder, eigentlich, im Präsens der filmischen Suggestion leben sieht), und je banaler das alles ist, desto deutlicher und schmerzhafter wird das Fragile an diesem Leben, das so besonders und so wenig besonders wie alle anderen ist.

Auch banal: Das Leben dessen, der den Tod der geliebten Frau überlebt hat, geht weiter. Davon erzählt Brehmer in einem dritten Teil, „Hier und Jetzt“. Die körperlichen Verletzungen heilen aus, er zieht in eine andere Wohnung. Und er beginnt nach drei Monaten wieder zu daten. Lernt eine Frau kennen, die ihm die Richtige scheint, sie taucht auch im Film auf, auf stehenden Bildern, aber nur als schwarzer Schatten. Nach wenigen Monaten ist die Beziehung vorbei, sie will im Film nicht erscheinen. Nun bricht Brehmer richtig zusammen.

Die Bilder mit dem schwarzen Schatten als Rest der anderen Frau sind unheimliche Bilder. Es ist, als bekäme der Tod hier seinen Auftritt im Film. Auf seltsam verschobene Weise, aber gerade diese Verschiebung ist vielleicht das Angemessene daran. Leben und Tod, Präsenz und Für-immer-Vorbeisein sind hier auf eine Weise ineinander verschlungen, wie sie es nur im Kino sein können.Ekkehard Knörer