EU-Debatte über Industriepolitik: Wettbewerb oder Protektionismus

In der EU ist man sich keineswegs einig darüber, was die richtige Industriepolitik wäre. Das spiegelt sich auch innerhalb der Kommission wider.

EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen

Von der Leyen setzt sich für eine verstärkte Förderung „grüner“ Industrien in der EU ein Foto: Markus Schreiber/ap

BRÜSSEL taz | Braucht Europa eine neue, mit Schulden und Subventionen unterfütterte Industriepolitik? Oder müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten mehr für die Wettbewerbsfähigkeit tun und neoliberale Strukturreformen einleiten? Nach einem Vorstoß von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ist die Debatte in Brüssel voll entbrannt.

Von der Leyen hatte sich für eine verstärkte Förderung „grüner“ Industrien und einen europäischen „Souveränitätsfonds“ ausgesprochen. Sie wolle Europa „zur Heimat sauberer Technologie und industrieller Innovation machen“, sagte sie am Dienstag beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Details nannte sie bislang nicht.

Dafür gibt es einen Grund: Von der Leyen und ihre für Wirtschaft zuständigen EU-Kommissare sind sich über den richtigen Kurs alles andere als einig. Schon vor der Ansage vor Vertretern der Wirtschaft in Davos gab es hinter den Kulissen in Brüssel heftigen Streit zwischen Margrethe Vestager, Thierry Breton und Valdis Dombrovskis.

Die drei ringen seit Wochen um den richtigen Kurs. Während sich der Franzose Breton für neue EU-Schulden und Subventionen ausspricht, plädiert die Dänin Vestager für mehr Wettbewerb. Wirtschaftskommissar Dom­brovskis sucht einen Mittelweg. Wie das Ringen ausgeht, dürfte sich erst Anfang Februar zeigen: Rechtzeitig zum EU-Sondergipfel am 9. und 10. Februar will die EU-Kommission einen vorläufigen Entwurf vorlegen.

Regierungschefs sind sich auch nicht einig

Von der Leyen arbeite derzeit an einem tragfähigen Kompromiss, sagte ihr Chefsprecher Eric Mamer in Brüssel. Wenn dieser auf dem Tisch liegt, muss er noch von den 27 Staats- und Regierungschefs diskutiert und abgesegnet werden.

Doch auch hier zeichnet sich Streit ab. Deutschland und andere EU-Nettozahler sind gegen ein neues schuldenfinanziertes Programm. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte mehrfach betont, die Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds von 750 Milliarden Euro seien längst nicht ausgegeben, die EU brauche kein frisches Geld.

Ganz anders sieht man das in Frankreich. Staatschef Emmanuel Macron hatte von der Leyen am Montag – vor deren Auftritt in Davos – in Paris empfangen und eine entschiedene Antwort auf das US-Subventionsprogramm IRA (Inflation Reduction Act) gefordert. Dazu zähle nicht nur ein „Souveränitätsfonds“, sondern auch ein Programm, das Produkte „made in Europe“ fördern soll.

Wer sich durchsetzt, ist offen. Einige Weichenstellungen zeichnen sich allerdings bereits ab. So hat von der Leyen den schuldenfinanzierten Hilfsfonds auf die lange Bank geschoben – das sei ein mittelfristiger Vorschlag, sagte ihr Sprecher. In ihrer Rede hat sie zudem alles getan, um einen Handelskrieg mit den USA zu vermeiden. Man plane keinen Subventionswettbewerb, heißt es in Brüssel.

Auch Wettbewerbskommissarin Vestager hat schon Pflöcke eingeschlagen. Die liberale Politikerin will die strikten Regeln für staatliche Beihilfen lockern. Dies käme vor allem Deutschland entgegen, das bisher schon die größten Subventionen gewährt. Deshalb fürchten kleinere, weniger finanzstarke Länder, dass sie an den Rand gedrängt werden. Der EU-Gipfel im Februar könnte ganz schön turbulent werden.

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