„Wir müssen jungen Torhütern Fehler zugestehen“

DFB-Torwartkoordinator Marc Ziegler sagt, die Auslese im Jugendbereich sei schwieriger geworden. Ausnahmetalente gäbe es in Deutschland aber weiterhin

Interview Frank Hellmann

taz: Herr Ziegler, Sie waren gerade im Wintertrainingslager der deutschen U16- und U17-Nationalmannschaft. Durch den verletzungsbedingten Ausfall von Manuel Neuer wird der Blick gerade auf diese Position gelenkt, denn hinter seinen Vertretern Marc-André ter Stegen und Kevin Trapp drängt kein jüngerer Keeper nach. Wie sehen Sie das?

Marc Ziegler: Deutschland ist eine sehr traditionsreiche Nation im Torwartspiel, und diesen Status haben wir noch. Manuel Neuer wird von diesen beiden internationalen Toptorhütern hervorragend vertreten, aber danach müssen wir wachsam sein und unsere Hausaufgaben machen, um unsere Talente – die es auf jeden Fall gibt – auf Top­niveau zu bringen.

Bei der U21 waren zuletzt neben Noah Atubolo, dem Ersatztorhüter vom SC Freiburg, noch Christian Früchtl von Austria Wien und Nico Mantl von Red Bull Salzburg nominiert, die beide ins Ausland gehen mussten, um Spielzeit zu bekommen. Warum tut sich der Nachwuchs so schwer?

Der Wandel von der alten zur neuen Torwartgeneration, die fast wie ein Feldspieler agieren kann, war damals eine Riesenzäsur. Neuer oder ter Stegen haben für die Cheftrainer einen Riesenmehrwert generiert, weil mit ihnen als erste Offensivspieler ganz anders Fußball gespielt werden konnte. Jetzt aber können die Jüngeren keinen Faktor aus ihrer Ausbildung vorbringen, den die Älteren nicht auch hätten. So fällt die Wachablösung schwerer.

Also ist mehr Geduld gefragt?

Wir haben ja einige in der Warteschleife: Tjark Ernst ist mit 19 Jahren jetzt bei Hertha BSC die Nummer zwei, Jonas Urbig, der jetzt zu Jahn Regensburg verliehen wird, war es beim 1. FC Köln. Die Jungs müssen Spielpraxis sammeln, um sich weiterzuentwickeln. Früher waren wir es gewohnt, dass unsere jungen Nationaltorhüter international spielen, heute gehen sie teilweise Umwege über die zweite oder dritte Liga, über die U23 oder das Ausland.

Hat Deutschland als Torwartland ausgedient oder ist Ihnen das zu überspitzt formuliert?

Wir hatten Jahrgänge im Jugendbereich, die nicht immer absolute Benchmark in Europa waren, aber nach wie vor gibt es großartige Torwarttalente bei uns. Wir müssen natürlich auch die Vereine dafür sensibilisieren, den Mut aufzubringen, einen jungen deutschen Torhüter aufzustellen. Da gehört auch eine Fehlerkultur dazu. Wenn wir ihnen schon im Jugendbereich das nicht zugestehen, können sie sich nicht verbessern.

Foto: imago

Marc Ziegler

46, ist Torwart-Koordinator beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) von der U16 bis zur U21. In der Bundesliga stand er einst für den VfB Stuttgart, Hannover 96 und Borussia Dortmund im Tor.

Ist der Job bei der jüngeren Generation noch beliebt?

Ich glaube, dass die Position immer noch sehr attraktiv ist, aber wir merken auch hier, dass sich das Freizeitprofil der Kinder geändert hat. Der Torwart bekleidet die komplexeste Position, weshalb ich ihn am liebsten bei den athletischen Anforderungen mit einem Zehnkämpfer vergleiche: Bälle halten, Flanken abfangen, Pässe in die Tiefe ablaufen, den Raum verteidigen und am besten noch mit dem Fuß so gut sein wie ein Feldspieler. Das ist ein Komplettpaket – und das können nur echte Bewegungstalente, also motorisch besonders begabte Kinder, aber leider wird die Zeit für Sport, gerade an den Schulen, überall weniger, und entsprechend wird die Auslese schwieriger.

Welcher Juniorenkeeper könnte einmal die internationale Klasse von Manuel Neuer erreichen?

Ich möchte keinen Namen sagen, um nicht unnötigen Druck zu erzeugen. Wir haben schon Jahrgänge mit jungen Leuten mit extrem großem Potenzial, bei denen die Leistung schon richtig gut und die Wahrscheinlichkeit hoch ist, das höchste Niveau zu erreichen. Es gehört auch Glück dazu, im richtigen Verein den richtigen Trainer im richtigen Moment zu haben.