Nahender Lambrecht-Rücktritt: Ende eines Missverständnisses

Christine Lambrecht ist an keinem Skandal gescheitert, sondern an vielen Fehlern. Für Olaf Scholz ist der wohl anstehende Rücktritt gravierend.

Christine Lambrecht, Verteidigungsministerin, guckt aus einem Hubschrauberfenster

Ihr endgültiger Abflug steht wohl bevor: Christine Lambrecht am Donnerstag in einem Hubschrauber Foto: Michael Sohn / ap

Die Nachricht, dass Christine Lambrecht zurücktreten wird, hat am Ende niemanden mehr überrascht. Eine Peinlichkeit hatte die nächste gejagt. Am Tag nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ging die SPD-Verteidigungsministerin ungerührt in ein Nagelstudio. Sie komme spät ins Ministerium und gehe gerne früh, hieß es. Am Ende war ihr bizarres Handyvideo zu Silvester der Tropfen, der das Fass überlaufen ließ.

Jeder Fauxpas der Ministerin wurde genüsslich durchgestochen, jede Nato-Telefonschalte, die wegen eines privaten Termins verschoben wurde, publik. Das war die – sicherlich auch sexistisch angehauchte – Rache des mächtigen Apparats des Ministerium am Auftreten der Chefin. Das wurde als herrisch und desinteressiert empfunden – eine fatale Mischung.

Lambrecht ist an keinem Skandal gescheitert, sondern an vielen kleinen Fehlern. Die wiesen allerdings alle in die gleiche Richtung. Ihr fehlten Gespür und Passion für das Amt. Die Verantwortung trägt auch Kanzler Scholz, der ein paar Warnsignale übersehen hatte. Lambrecht hatte 2020, damals Bundesjustizministerin, ihren Abschied aus der Politik angekündigt. 2020 glaubte kaum jemand an einen Wahlsieg der SPD.

Scholz hievte eine Genossin in den Bendlerblock, die in doppelter Hinsicht problematisch war: Ihre Leidenschaft für Politik schien sehr von Karriereaussichten abhängig – und sie wollte, wenn überhaupt, Innenministerin werden und nicht für die Bundeswehr verantwortlich sein.

An eigener Hybris gescheitert

Die Bundesrepublik ist eine eher unmilitärische Nation. In Frankreich und den USA waren auch mal Generäle Verteidigungsminister; in Deutschland wäre das kaum vorstellbar. Hierzulande bekamen Gewerkschaftsführer wie Georg Leber oder „ungediente“ Politiker wie Peter Struck den Job. Lambrecht ist nicht an der Kluft zwischen der militärischen Kultur der Bundeswehr und der zivilen der Republik gescheitert. Sondern an eigener Hybris. Ihre Bilanz ist zwiespältig. Sie hat das berüchtigte Beschaffungswesen der Bundeswehr vorsichtig vereinfacht. Die überfällige Strukturreform des Ministeriums bedeutete für sie angesichts von Ukrainekrieg und mehr Bundeswehr im Baltikum eine Überforderung.

Und nun? Für Scholz ist dieser Rücktritt weit gravierender als der der Grünen Anne Spiegel. Es ist ein Einschlag direkt neben ihm. Seit Ukrainekrieg und 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen ist der Bendlerblock nicht mehr bloß ein schwerfälliger, extrem schwierig zu managender bürokratischer Apparat, sondern ein Schlüsselministerium. Es ist banal, aber: Noch eine Fehlbesetzung kann Scholz sich nicht leisten.

Nachtrag: Am Montagvormittag kam die Meldung, dass Lambrecht um ihre Entlassung gebeten hat.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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