Mehr als eine Konjunkturdelle

Wirtschaftsvertreter und DGB befürchten Deindustrialisierung

Die deutsche Wirtschaft und der DGB warnen vor einer schleichenden Deindustrialisierung Deutschlands – mit möglichen Folgen für viele Jobs. Die Produktionsrückgänge in den energieintensiven Industrien seien ein Risiko für wichtige Wertschöpfungsketten, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), der Deutschen Presse-Agentur. „Die Standortbedingungen für diese Branchen haben sich durch den Krieg und die Lage an den Energiemärkten dauerhaft verschlechtert.“ Zudem seien die Energiepreise überfrachtet mit Steuern und Abgaben. „Das können wir uns nicht mehr leisten im globalen Wettbewerb“, so Russwurm. Die aktuelle Krise sei „nicht nur eine kleine Konjunkturdelle“. In der grünen und digitalen Transformation gebe es für die Regierung immense Aufgaben zu erledigen.

Eine Abwanderung von Industrieproduktion ins Ausland sei ein schleichender Prozess, warnte Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). „In Amerika betragen die Strompreise ein Fünftel dessen, was wir jetzt hier in Deutschland aufbringen“, sagte er. Beim Gas sei es derzeit ein Siebtel. „Wir werden einen Strukturwandel unserer Wirtschaft erfahren“, so Adrian.

Ihre Befürchtung sei, „dass in den kommenden Monaten viele Betriebe die Produktion drosseln und perspektivisch Arbeitsplätze abbauen könnten“, sagte die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. „Es ist wirklich nach wie vor existenzbedrohend, was sich derzeit in der Industrie abspielt“, sagte sie der dpa.

Vor diesem Hintergrund kritisierte die oberste deutsche Gewerkschafterin, dass in Unternehmen nach den beschlossenen Energiepreisbremsen bei Zuwendungen über 50 Millionen Euro keinerlei Boni und Dividenden mehr gezahlt werden dürfen. Das führe dazu, dass Unternehmen die staatliche Unterstützung nicht annehmen könnten, wenn sie an Dividendenzusagen gebunden seien oder neues Kapital für Investitionen benötigten. „Das sind die normalen Mechanismen der Marktwirtschaft“, so Fahimi. „Es mag ja sein, dass die einem nicht gefallen. Aber jetzt ist nicht die Zeit für kapitalismuskritische Grundsatzdebatten, sondern für effektives Handeln in der Realität.“ Mit dem Ausschluss von Dividendenzahlungen in der jetzigen Situation nehme man billigend in Kauf, „dass in Deutschland das Risiko der Deindustrialisierung größer wird“.

Fahimi kündigte an, die Gewerkschaften würden die Fragen, wie wettbewerbsfähige Industriestrompreise sichergestellt werden könnten, im nächsten Jahr ganz vorne auf die Tagesordnung in den Gesprächen mit der Bundesregierung setzen. (dpa, taz)