SSW-Politiker zu Küstenschutz: „Bei uns bohrt nur der Wattwurm“

Stefan Seidler sitzt für den Südschleswigschen Wähler­verband im Bundestag. Ein Gespräch über die Ampel und die Idee, mit Fracking Gas zu fördern.

Stefan Seidler geht eine Treppe hoch

Neu im Bundestag: Stefan Seidler hat das SSW ins Parlament geführt Foto: Julia Baier

taz: Herr Seidler, Sie sitzen jetzt seit über einem Jahr im Deutschen Bundestag. Haben Sie sich eingelebt?

Stefan Seidler: Ja, aber es gibt immer noch Dinge, die neu sind. Vor Kurzem habe ich an einer Fragestunde der Bundesregierung aktiv teilgenommen, normalerweise stelle ich meine Fragen schriftlich. Dann war ich auch mal wieder in der Generaldebatte dran. Ehrlich gesagt habe ich vor solchen Auftritten immer noch ein bisschen Bammel.

Das klingt ja trotzdem so, als sei schon so etwas wie Routine eingezogen. Ist es gar etwas langweilig geworden?

43 Jahre, sitzt seit der Wahl im September 2021 für den Süd­schleswigschen Wählerverband (SSW) als fraktionsloser Abgeordneter im Bundestag. Mit dem Einzug des Politik­wissen­schaftlers schaffte der SSW, für den als Partei einer nationalen Minderheit die 5-Prozent-Sperrklausel nicht gilt, nach 68 Jahren Abstinenz die Rückkehr in das deutsche Parlament.

Keineswegs, ganz im Gegenteil. Und ich muss mich immer noch kneifen, wenn ich daran denke, mit wem ich es hier zu tun und was ich so angeschoben habe. Und überhaupt: Wer das als langweilige Routine empfindet, sollte sich überlegen, ob er oder sie überhaupt noch würdig ist, hier im Bundestag zu sitzen. Schließlich müssen wir uns um die Menschen kümmern.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den anderen Abgeordneten?

Alle sind entgegen­kommend und positiv. Viele schnacken auch mit mir, weil sie wissen, dass der Seidler okay und für sie als Fraktionsloser keine Bedrohung ist. Ich glaube, in diesem Jahr ist auch deutlich geworden, dass ich für den SSW eine vernünftige Politik mache und nicht nur den Clown gebe.

Sie hatten ja bei der Wahl 2021 bestimmte Themen auf Ihrer Agenda. Sind Sie da vorangekommen?

Da nenne ich mal den Minderheitenschutz. Für 2023 haben wir für die Dänen und die Friesen jetzt zu zweiten Mal eine Bezuschussung nach Hause geholt, jeweils 50.000 Euro. Für viele sind das Peanuts, aber für unsere Leute ist das eine Menge Kohle. Auch die Mittel für das Minderheitensekretariat hier in Berlin wurden verdoppelt.

Das ist wichtig, weil es sich neben den Friesen und Dänen auch um die Sorben sowie die Sinti und Roma kümmert. Immerhin haben die Kol­le­gin­nen und Kollegen im Bundestag mittlerweile von dem Thema Minderheiten gehört und wissen, dass da ganz oben im Norden Friesen und Dänen leben. Das ist schon mal eine gute Sache.

Stefan Seidler steht an der Küste

Ganz oben: Stefan Seidler in Flensburg Foto: Axel Heimken/dpa/picture alliance

Was läuft denn nicht so gut?

Der Küstenschutz, der kommt bislang viel zu kurz. Aber ich stehe jetzt mit der zuständigen Staatssekretärin im Austausch darüber, wie wir den ­Küstenschutz koordiniert stärken können. Dafür habe ich auch Unterstützung aus allen Fraktionen.

Auch von der CSU? Warum sollte ausgerechnet die sich für den Küstenschutz erwärmen?

Okay, das weiß ich auch nicht. Aber Markus Söder will bei uns im Wattenmeer bohren lassen, um Gas zu fracken, also diese Vorkommen auszunutzen. Und da sage ich nur: Bei uns bohrt nur einer, und das ist der Wattwurm.

Können auch andere Fraktionen dieser Idee etwas abgewinnen?

Die Sozialdemokraten waren kurzzeitig auf diesen Wagen aufgesprungen, aber jetzt halten sie sich damit zurück.

Nach der Wahl 2021 war der Krieg Russlands gegen die Ukrai­ne noch nicht absehbar. Wie hat er sich auf Ihre Agenda ausgewirkt?

Ich musste plötzlich zu Fragen Stellung nehmen, wo wir uns als SSW immer schwer getan haben. Als die Abstimmung über die 100 Milliarden Euro Sondervermögen anstand, habe ich schlaflose Nächte gehabt. Aber dann habe ich dafür gestimmt. Mich nervt, dass jetzt russische U-Boote, Drohnen und Flugzeuge die Ostsee unsicher machen. Und dass vor Bornholm Schiffe gesichtet und Pipelines in die Luft gesprengt werden.

Ich glaube, dass es jetzt auch darum geht, die Sicherheit im Ostseeraum zu verteidigen und dort Frieden, Freiheit und Demokratie zu stärken. Derzeit scheint es, dass wir dafür auch zu Waffen greifen müssen. Deshalb kann ich meine Zustimmung auch mit meinem Gewissen vereinbaren. Allerdings wäre das Geld besser ausgegeben, um dem Klimawandel zu begegnen.

Wie nehmen Sie die Bundesregierung wahr?

Mitleid ist keine Währung, mit der man in der Politik weit kommt. Aber die Regierung tut mir schon ein wenig leid, weil sie sich jetzt um Dinge kümmern muss, die sie sich selbst keineswegs vorgenommen hat. Aber ich wundere mich auch …

Worüber denn?

Plötzlich werden da Dinge vorangetrieben und durchge­peischt, wie LNG. Innerhalb weniger Monate können Terminals in Wilhelmshaven errichtet werden, anstatt bei den Erneuerbaren genauso viel Energie hineinzustecken und das genauso schnell umzusetzen.

Die andere Sache, die mich bei der Energiekrise stört, ist diese Kommunikation von oben herab, anstatt auf Augenhöhe mit den Menschen zu reden. Nach dem Motto: Wir sagen euch, wie ihr euch zu waschen habt. Da würde ich mir mehr eine skandinavische Herangehensweise wünschen: dass man offen, ehrlich ist und an die eigene Vernunft der Leute appelliert.

Wie beurteilen Sie generell die Positionierung der Bundesregierung im Ukraine­krieg?

Ich nehme sie als zögerlich wahr. Was etwas grotesk ist, wenn gleichzeitig von einer Politik mit Wumms gesprochen wird. Andererseits finde ich es ganz sympathisch, dass die Regierung sehr genau abwägt und sagt: Wir machen das mit unseren europäischen Nachbarn zusammen und werden keine Führungsrolle übernehmen. Obwohl die Partner genau das fordern.

Sie und der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck sind 2021 im selben Wahlkreis angetreten. Vor einiger Zeit war in den Medien von Unstimmigkeiten zwischen Ihnen beiden zu lesen.

Wir in Schleswig-Holstein bezahlen nach wie vor die höchsten Strompreise, weil wir so viel in neue Anlagen investiert haben. Und da habe ich gesagt, wir bräuchten einen Bundesausgleich. Das hat Habeck teilweise angepackt, aber ich hatte mir das alles schneller gewünscht – gerade bei einem Minister, der aus dem Norden kommt.

Oder nehmen wir das Wikingeck in Schleswig, ein Stück verseuchtes Ufer an der Schlei. Die Schlei ist eine Bundeswasserstraße, und dafür ist der Bund zuständig. Da gab es ein politisches Pingpong zwischen Habeck und dem Verkehrsministerium wegen Zuschüssen für die Reinigung. Jetzt sollen im März noch mal Gespräche geführt werden. All das hat Habeck auf dem Zettel gehabt.

Aber ich versuche auch Rücksicht darauf zu nehmen, dass da bei ihm ganz andere Dinge draufstehen. Jetzt sind viel größere Probleme im Fokus, Probleme, die das ganze Land, ja ganz Europa berühren. Ich habe übrigens gleich gesagt: Der Punkt wird schnell kommen, wo der gute Robert, so sehr ich ihn schätze, morgens nichts als Allererstes das Flensburger Tageblatt oder Flensborg Avis aufschlagen wird.

An Konflikten innerhalb der Koalition mangelt es ja nicht. Hält die Ampel bis zum Ende der Legislaturperiode durch?

Ich glaube schon. Aber eins ärgert mich, auch aus meinem nordischen Demokratieverständnis heraus. Bei den Regierungsfraktionen der Grünen und der FDP, so scheint mir, gibt es einige Kollegen, die es offensichtlich darauf abgesehen haben, dem jeweils anderen ans Bein zu pinkeln. Das passiert auch öffentlich, über die sozialen Medien.

Ich finde, das muss wirklich nicht sein, das handelt man doch hinter verschlossenen Türen aus. Gerade in Zeiten wie diesen muss die Regierung zusammenstehen, anstatt sich in der Öffentlichkeit zu beharken. Aber ich glaube nicht, dass das so ausgeprägt ist und die Koa­lition in irgendeiner Weise zu Fall bringen könnte. Obwohl einige darauf spekulieren.

Schauen wir noch kurz nach Dänemark. Dort gibt es seit Kurzem eine Regierung der Mitte …

Ich wurde vor der Regierungsbildung von dänischen Po­li­ti­ke­rin­nen und Politikern nach der Großen Koalition gefragt. Da gebe es ja reichlich Erfahrung in Deutschland. Was Dänemark davon denn mitnehmen könne, ob das funktioniere? Ich habe gesagt: Na ja, wenn man große Reformen anschieben möchte, gibt es mit einer starken Mehrheit im Parlament gute Möglichkeiten dafür. Umgekehrt finde ich das für eine Demokratie jedoch immer etwas befremdlich. Denn eine gesunde Demokratie setzt voraus, dass es eine starke Opposition gibt. Aber wenn wir uns den Bundestag derzeit angucken, haben wir auch keine starke Opposition.

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