Buch „Die Unsichtbaren“: D-Day-Girls und Vorzim­merdamen

Vom Kaiserreich bis heute: Ann-Katrin Müller und Maik Baumgärtner beleuchten die lang unterschätzte Rolle von Frauen im Spionagewesen.

Eine Frau anfang des 20. Jahrhunderts blickt ernst in die Kamera

Elsbeth Schragmüller, deutsche Spionagemeisterin in Antwerpen Foto: Photo12/imago

Über kaum eine Tätigkeit sind so viele Klischees in Umlauf wie über die des Geheimagenten: Jenseits von geschüttelten Martinis und Schlapphüten bleibt dabei meist im Verborgenen, wie diejenigen, die im Auftrag ihrer eigenen oder fremder Länder spionieren, wirklich arbeiten. Das gilt besonders für Spioninnen, denen im männlich geprägten Metier allenfalls die Rolle der verruchten „Honigfalle“ oder der nai­ven Zuträgerin zugeschrieben wird. Die Spiegel-Au­to­r:in­nen Ann-Katrin Müller und Maik Baumgärtner haben sich auf die Spur dieser doppelt Unsichtbaren gesetzt. Mittels Gerichtsakten, Behördenarchiven und Interviews mit ehemaligen und aktuell Tätigen beleuchten sie die Rolle weiblicher Geheimagentinnen in Deutschland vom Kaiserreich bis heute.

„Die Unsichtbaren“ erzählt die Geschichten von faszinierenden, bislang weitgehend unbekannten Protagonistinnen der Zeitgeschichte. Etwa der Staatsrechtlerin Elsbeth Schragmüller, die als eine der ersten Frauen einen Doktortitel erwirbt und ab 1915 die Frankreich-Sektion der Kriegsnachrichtenstelle Antwerpen leitet. Dort baut sie ein umfangreiches Netz an Agen­t:in­nen auf, wirbt gezielt französische Deserteure an – und bildet auch Frauen in Beobachtungs-, Melde- und Verschlüsselungstechniken aus, etwa die niederländische Tänzerin Mata Hari, die bis heute das erotisierte Bild von weiblichen Agentinnen prägt.

Oder Nathalie „Lily“ Sergueiew, die maßgeblich dazu beiträgt, dass am 6. Juni 1944 die Landung der Alliierten in der Normandie gelingt, die den Zweiten Weltkrieg beendet. Unter dem Decknamen „Treasure“ versendet die Doppelagentin Funksprüche mit falschen Informationen an das deutsche Militär, das der Französin blind vertraut. Müller und Baumgärtner berichten noch von weiteren „D-Day-Girls“, die als Teil einer geheimen weiblichen Einheit des englischen Kriegspremiers Wins­ton Churchill Stromleitungen sabotierten, Waffenlager sprengten oder per Fallschirm an der Front absprangen.

Systematisch unterschätzt

Dass Frauen wie Schragmüller oder Sergueiew heute weitgehend vergessen sind, liegt laut den Au­to­r:in­nen auch daran, dass Frauen in den Geheimdiensten stets in der Minderheit waren und bis heute systematisch unterschätzt werden. Zu emotional, mangelnde Analysefähigkeit, wenig gefestigte politische Überzeugungen – derlei misogyne Vorurteile sind nicht nur unwahr, wie Müller und Baumgärtner anhand einiger individueller Schicksale herausarbeiten.

Sie verhindern auch, dass das Wirken von Agentinnen adäquat wahrgenommen wird. Dies wird deutlich anhand des Falls von Christel Broszey, in den 1970ern Chefsekretärin des CDU-Vizevorsitzenden Kurt Biedenkopf. Als Broszey 1979 als DDR-Spionin enttarnt wird, zeichnet sie der Spiegel als von einem gewissenlosen „Romeo“-Agenten ver- und geführte Vorzimmerdame. Die Au­to­r:in­nen rekonstruieren aus BND-und MfS-Akten ein anderes Bild von Broszey – als ideologisch gefestigte Überzeugungstäterin, die ihren Chef als „willfähriges Werkzeug des Großkapitals“ ausspioniert; ihre Liebesbeziehung zu einem verdeckten Stasi-Agenten scheint keineswegs zentral.

Maik Baumgärtner/Ann-Katrin Müller: „Die Unsichtbaren. Wie Geheimagentinnen die deutsche Geschichte geprägt haben“. DVA, München 2022, 384 Seiten, 24 Euro.

Von der Hauptverwaltung Aufklärung im DDR-Ministerium für Staatssicherheit, das „Geheime Mitarbeiterinnen“ an der „Front Intimleben“ einsetzte und Schwangere zur Abtreibung nötigte, bis zur Herrenrunde im Kölner Bundesamt, wo Kolleginnen gern mit „Na du Knackarsch“ begrüßt wurden – die Au­to­r:in­nen attestieren dem Verfassungsschutzmilieu ein tiefsitzendes Sexismusproblem. Erst in den letzten Jahren seien beim Bundesamt für Verfassungsschutz, dem BND und dem Militärischen Abschirmdienst vermehrt Frauen tätig, auch in Leitungsfunktionen.

Durch Chefinnen wie Beate Bube, die seit 2008 dem baden-württembergischen Landesverfassungsschutz vorsteht, halten nach Ansicht der Au­to­r:in­nen in der Welt der Spione mehr Transparenz und eine bessere Fehlerkultur Einzug. Angesichts der aktuellen Spionagebedrohung aus Staaten wie Russland, China und dem Iran eine notwendige Entwicklung.

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