Künstlerin über Mobiliar als Träger von Politik: „Sie zerstörten ihr eigenes Haus“

Ob beim Sturm auf das Kapitol oder das Parlament in Brasília: Möbel können Demokratiegegnern als Waffe und Trophäe dienen, sagt Henrike Naumann.

Menschen dringen in ein Gebäude ein, Stühle liegen wild durcheinander auf dem Boden

Als die Bolsonaro-Anhänger*innen ins brasilianische Parlament eindrangen, wurden alle Stühle umgefegt Foto: Eraldo Pere/ap

wochentaz: Frau Naumann, zwei Jahre nach dem Sturm auf das Kapitol von Trump-Anhängern zeigen Sie im New Yorker Sculpture Center Ihre Installation „Re-Education“, in der Sie die Ereignisse vom 6. Januar 2021 künstlerisch zu fassen versuchen. Ihr Interesse gilt den Möbeln, warum?

Henrike Naumann: Dieser Sturm war ja nicht nur für einen tatsächlichen Umsturz gemacht, sondern auch, um bestimmte Bilder zu produzieren. Die Möbel im Kapitol haben am 6. Januar 2021 eine wichtige Rolle gespielt für die Bildproduktion. Sie waren Waffen, um einzubrechen, um zu zerstören. Sie waren auch Schutzschilde für die Abgeordneten. Die Leute haben sich in den Büros verbarrikadiert und hinter den Möbeln ihr Leben gerettet. Und sie waren auch Trophäen, etwa als einer der Eindringlinge seine Stiefel auf den Schreibtisch von Nancy Pelosi legte. Die Möbel sind ein gutes Element, um über etwas zu sprechen, das schwer zu fassen und auch schwer darzustellen ist.

Henrike Naumann

geb. 1984 in Zwickau, lebt in Berlin. Ihre Installation „Re-Education“ im New Yorker Sculpture Center ist noch bis zum 27. Februar zu sehen.

Was sind das für Möbel?

Klassizistische Schränke und Tische aus dunklem rötlichen Holz des federal style. Ein Stil, der sich direkt aus der Zeit der amerikanischen Unabhängigkeit ableitet und auftaucht, wenn es um die Repräsentation der US-Demokratie geht. Solche Möbel für die Bundesgebäude werden in den USA übrigens häufig von Gefängnisinsassen hergestellt.

Die Forschungs- und Museumseinrichtung Smithsonian hat sofort die Artefakte von den Vorgängen am 6. Januar gesammelt. Auch die Möbel?

Das Smithsonian hat die Plakate der Erstürmer sichergestellt, die zerstörten Kunstwerke wurden restauriert. Aber die Möbel haben so eine Zwischenfunktion. Die sind nicht Architektur, nicht Kunstwerk und wurden nicht auf die gleiche Weise archiviert. Beim Smithsonian konnte mir bei der Suche nach den zerstörten Möbeln keiner helfen. Vermutlich wurden sie entsorgt.

Sie bauen für Ihre acht Meter hohe Installation das Kapitol nach, aber aus privaten Möbeln. Warum?

Möbel sind für mich Träger von Politik im Privaten. Über alle möglichen Stellen habe ich in New York Möbel von Privatpersonen gesammelt und dabei nach dieser bestimmten Ästhetik des federal style gesucht. Ich wollte nicht die historischen Artefakte aus dem Kapitol aufbauen, sondern sagen: „Hey, der Staat, das seid ihr!“ Ich habe versucht, eine Metapher für die amerikanische Demokratie zu finden – stabil, traditionell, aber sie kann auch zum Einsturz gebracht werden, wenn man die Normen und Prozesse untergräbt, mit denen sie verbunden ist.

Henrike Naumann vor ihrer Installation, aufgestapelte Möbel im US-amerikanischen Repräsentantenstil

Die Künstlerin und das Kapitol aus Möbeln im federal style, Sculpture Center New York Foto: Charles Benton

Am 8. Januar 2023 stürmten Bolsonaro-Anhänger den Kongress, den Regierungssitz und den Obersten Gerichtshof in Brasília. Auch da wurden Möbel zerstört. Aber die eines modernen Designs, etwa die schlichten Holzstühle vom Holocaust-Überlebenden Jorge Zalszupin. Was sagt Ihnen das?

Diese Möbel repräsentieren eine ganz andere, viel jüngere Demokratiegeschichte – und eine sehr umkämpfte. Es gibt Bilder vom Militärputsch 1964, da stehen Panzer vor Oscar Niemeyers Gebäuden in Brasília, nicht zum Schutz, sondern zum Sturz der Demokratie. Am 8. Januar wurde der Schreibtisch von Juscelino Kubitschek zerstört, dem brasilianischen Staatspräsidenten, auf den auch die Gründung von Brasília als Hauptstadt zurückgeht. Er wurde als Barrikade genutzt und zerschlagen. Ähnlich wie beim Kapitol sind die Artefakte der Erstürmung in Brasília, die zerstörten Vasen oder Kunstwerke, aber sehr gut dokumentiert.

Architekt Oscar Niemeyer entwarf Brasília am Reißbrett mit einer freiheitlichen, großgestischen, modernen Architektur für eine junge Demokratie. Lässt sie sich – zumindest, was die Bilder angeht – überhaupt so erstürmen wie das Kapitol?

Dieses Eindringen, dass das Volk sich auf gewaltvolle Weise Zugang zu einem Symbol der Demokratie verschafft, wie es das Kapitol repräsentiert, das funk­tio­niert in Brasília nicht auf die gleiche Weise. Oscar Niemeyers Gebäude wollen das Volk ja willkommen heißen. Die Architektur ist durchlässig, sieht so aus, als könne da jeder reinspazieren. Architektonisch zumindest ist es nicht abwegig, dass die Leute dahin kommen und ihre Meinung kundtun. Ich habe beim Anblick der Bilder aus Brasília verstanden, wie krass umkämpft die Demokratie in dem Land wohl immer noch ist. Ich hatte das Gefühl, die Leute zerstörten ihr eigenes Haus.

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