Die Grünen und der Lützerath-Protest: Die Vertrauensfrage

Je größer der Protest in Lützerath wird, desto mehr wird sichtbar, wie sehr der Deal mit RWE die Glaubwürdigkeit der Öko-Partei beschädigt hat.

Ein riesiger Kohlebagger steht an der Abbruchkante

Am Tagebau Garzweiler II hakt sich die Klimabewegung unter Foto: Roland Geisheimer/attenzione/Agentur Focus

Die Grünen hatten es sich harmlos ausgemalt. Ein paar Hippies sitzen in Lütze­rath auf den Bäumen und werden von der Polizei runtergepflückt: Nicht schön, klar, aber wir leben in pragmatischen Zeiten. Der ganz große Aufschrei wird schon ausbleiben. Also Augen zu und durch.

Es ist anders gekommen. Medial ist die Räumung des Dorfs am Tagebau Garzweiler in diesen Tagen das beherrschende Thema. Die Klimabewegung hakt sich um Lützerath geschlossen unter, von linksradikalen Gruppen bis zum BUND. Aus der Zivilgesellschaft erhalten sie in offenen Briefen Unterstützung, von Katja Riemann, Igor Levit und den Sportfreunden Stiller. Das grüne Kernklientel begehrt gegen die grüne Regierungspolitik auf.

Dieser Protest ist nicht ganz frei von einer wohlfeilen Note. Natürlich ist es Irrsinn, mitten in der Klimakrise weitere Millionen Tonnen Kohle abzubaggern. Es ist auch fraglich, ob in der Summe wirklich CO2 eingespart wird, nur weil im Gegenzug das letzte Kohlekraftwerk im Westen schon 2030 abgeschaltet wird statt 2038. Die Vereinbarung, die die grünen WirtschaftsministerInnen Habeck und Neubaur im Herbst mit RWE getroffen haben, ist nicht unbedingt ein Fortschritt.

Die Grünen haben aber einen Punkt, wenn sie auf ihren begrenzten Handlungsspielraum verweisen: Schon vor dem Deal hatte der Konzern das Recht, Lützerath abzubaggern. In die Verhandlungen sind die beiden Grünen aus der Position der Schwäche gegangen. Zu bieten hatten sie RWE nur das Recht, in der Energiekrise zwei Kraftwerksblöcke, die zu Neujahr vom Netz gehen sollten, noch ein paar Monate länger laufen zu lassen. Ein lukratives Zugeständnis – aber eben auch das einzige.

Die Verhandlungen mit RWE führten Habeck und Neubaur im Geheimen. Harmonie war ihnen wichtiger als kritische Öffentlichkeit

Ob sie in den Gesprächen trotzdem mehr hätten rausholen können? Ob sie einfach härter hätten verhandeln müssen? Definitiv kann diese Frage niemand beantworten. Politik ist keine Naturwissenschaft, die Verhandlungen lassen sich nicht in einer Versuchsanordnung mit unterschiedlichen Graden der Entschlossenheit nachstellen. Letztlich geht es um eine Vertrauensfrage: Glaubt man Habeck und Neubaur, dass sie ihren begrenzten Spielraum voll ausgenutzt haben?

Die Breite des Protests zeigt, dass die Grünen dieses Vertrauen nur noch begrenzt genießen. Und das haben sie sich dann doch selbst zuzuschreiben: Die Verhandlungen mit RWE führten Habeck und Neubaur in Eile und im Geheimen. Harmonische Gespräche waren ihnen wichtiger als die argumentativen Vorteile, die ihnen eine kritische Öffentlichkeit im Rücken hätte liefern können. Auch im Nachhinein verbaten sich Spitzen-Grüne Kritik. „Wir müssen uns nicht immer entschuldigen!“, rief Cem Özdemir sichtlich erregt auf dem Parteitag. Und statt die Verantwortung für das Ende von Lützerath einfach auf RWE zu schieben, stellen sie sich auch inhaltlich bis heute hinter die Räumung. Um russisches Gas zu ersetzen, brauche es die Kohle unter dem Dorf, sagte Mona Neubaur zuletzt im taz-Interview. Zu Gutachten, die etwas anderes sagen, fällt ihr nichts ein.

Ins Leere läuft da auch der Rat der Grünen an die Klimabewegung, in Lützerath bitte nicht mehr lange zu nerven und lieber an anderer Stelle zu demonstrieren, weil in der Verkehrspolitik und beim Kohleausstieg im Osten weit größere Aufgabe warten. Wer im Rheinischen Revier das Vertrauen in die Entschlossenheit der Grünen verloren hat, wird kaum noch Hoffnung haben, dass sie sich gegen das FDP-geführte Verkehrsministerium und die Kohleköpfe in den ostdeutschen Landesregierungen durchsetzen. Bleibt die Frage, ob die Proteste den Grünen langfristig schaden. Eine Prognose ist schwierig: Ein Vertrauensverlust in der eigenen Kernkompetenz ist einerseits nicht zuträglich.

Andererseits haben enttäuschte Grünen-­An­hän­ge­r*in­nen wenige Alternativen. Die Linkspartei setzt sich in Lützerath zwar in Szene, hat ihren eigenen Klimakurs aber nicht geklärt. Zum Vorsitzenden des Bundestags-Klimaausschusses hat sie mit Klaus Ernst zum Beispiel einen Porsche-Fahrer gemacht, der für den Verbrennermotor kämpft.

Politische Schlagkraft ergibt sich aber nicht nur aus Wahlergebnissen, sondern eben auch aus Entschlossenheit in der Sache. Vor Beginn der Räumung in Lützerath fiel es den Grünen leicht, den Protest als Ritual ohne tiefere Bedeutung abzutun. Je größer der Protest jetzt wird, desto eher werden sie ihn doch zum Anlass nehmen müssen, die eigene Rolle im Kohlekonflikt zu reflektieren. Schaffen sie es dadurch, bei der nächsten Gelegenheit glaubhafter zu vermitteln, dass sie ihren Spielraum ausreizen, hätten sie am Ende sogar etwas gewonnen.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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