Medikamentenmangel für Kinder: Immer noch zu wenig Saft im System

Um den Mangel an Kindermedikamenten zu lindern, gelten ab 1. Februar neue Regeln für die Kostenübernahme. Doch keiner glaubt, dass das etwas bringt.

Ein Löffel mit rotem Sirup vor gelbem Hintergrund

Leider Mangelware: fiebersenkende Säfte für Kinder Foto: Andreas Pörtner/imago

Jetzt werden auch noch die einfachsten Medikamente knapp“, hatte der Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte schon im Dezember gestöhnt. Da waren die Praxen völlig überfüllt und die Krankenhausbetten für die Kleinsten mehr als knapp. Die Apotheken rationierten Fiebersaft für die ganz ernsten Fälle, Antibiotika für Kinder wurden ebenfalls Mangelware.

In dieser Woche präsentierte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen nun eine Sofortmaßnahme zur Linderung dieses Mangels: Ab Februar gelten für drei Monate nicht mehr die üblichen Festbeträge für die Kostenübernahme bei vielen Kindermedikamenten. Das Ganze geht zurück auf eine Initiative von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Doch Einschätzungen von Herstellern und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zeigen, dass dadurch kaum eine zusätzliche Flasche Fiebersaft in die Apotheken kommen wird. Eigentlich glaubt nicht einmal die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) selbst daran. Alle warten nun auf den angekündigten großen Wurf aus dem Gesundheitsministerium.

Die Versorgungslage verschlechtert sich seit Jahren

Das Problem ist nicht neu. Die Versorgungslage vor allem mit Medikamenten, deren Patentschutz abgelaufen ist – sogenannte Generika –, verschlechtert sich seit Jahren. Die Hauptursache dafür ist ein System aus Festbeträgen und Rabattverträgen, das sich ausschließlich an den günstigsten Preisen orientiert.

Der Festbetrag definiert den Höchstbetrag, bis zu dem die gesetzliche Krankenkasse die Kosten für ein verschriebenes Medikament übernimmt. Die GKV ist dazu verpflichtet, die Festbeträge an den günstigsten im Markt verfügbaren Preisen auszurichten. Bei Medikamenten, die teurer sind als der Festbetrag, ist es der Patient, der draufzahlen muss – weshalb er natürlich zum günstigeren Medikament greift. Dazu kommen bei vielen Medikamenten Rabattverträge der Krankenkassen mit bestimmten, besonders günstigen Herstellern.

Was als Kosteneinsparsystem gedacht war, hat in der Praxis fatale Folgen. Am Beispiel Fiebersaft lässt sich das gut illustrieren: Vor ein paar Jahren gab es noch mehrere Anbieter, die die massenhaft verkauften Medikamente für den deutschen Markt produzieren. Jetzt sind noch genau ein Hersteller für ibu­pro­fen­haltigen und einer für paracetamolhaltigen Fiebersaft übrig.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Der Preisdruck führte außerdem dazu, dass die Rohstoffverarbeitung in vielen Fällen nach Asien verlagert wurde. Produziert wird just in time – Lagerplatz ist viel zu teuer. Wenn dann in einer fragilen Weltlage Lieferkettenprobleme auftreten oder sich, wie seit dem Spätsommer zu beobachten, besonders starke Infektionswellen und eine entsprechende Nachfrage aufbauen, kann das System dem nichts entgegensetzen.

Bei der Ökonomisierung zu weit gegangen

Karl Lauterbach hatte daher kurz vor Weihnachten vorgeschlagen, dass kurzfristig das 1,5-Fache der bisherigen Festbeträge bei besonders knappen Medikamenten übernommen wird. Man sei auch in diesem Bereich mit der Ökonomisierung zu weit gegangen, so Lauterbach. Der Preis habe die alleinige Rolle gespielt, die Verfügbarkeit von Arzneimitteln eine zu geringe.

Die GKV war zunächst nicht überzeugt, setzt nun aber ab dem 1. Februar die Festbeträge für 180 Kindermedikamente drei Monate komplett aus. Doch das sei „nicht mehr als eine symbolische Geste“, so Pro Generika, der Branchenverband der deutschen Generikahersteller. Die verbliebenen Produzenten etwa von Fiebersaft arbeiteten bereits auf Volllast. Es gebe derzeit schlicht keine Ware, die kurzfristig auf den Markt gebracht werden könne.

Das bestätigt auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das Lieferengpässe auf dem deutschen Markt überwacht. Sowohl bei Fiebersäften, als auch bei den knappen Antibiotika seien zusätzliche Produktionsmengen bereits realisiert oder für Anfang des Jahres eingeplant. „Weitere Produktionssteigerungen erscheinen ad hoc als nicht erreichbar“, so ein Sprecher. Da die Infektionslage in anderen EU-Ländern mit größerer Medikamentenproduktion ähnlich ist, bewertet das Institut auch die Möglichkeit der Importe als gering.

Auch die GKV selbst scheint von der beschlossenen Maßnahme kaum überzeugt. Man befürchte, die kurzfristige Aussetzung der Festbeträge könne sich vor allem positiv auf die Gewinne der Hersteller auswirken, nicht aber auf eine Änderung der Lieferprozesse und Produktionsstandorte, heißt es in einem Statement des Vorstands.

Scheitelpunkt der Infektionswelle erreicht

Da ist es ein Glück, dass der Scheitelpunkt der Infektionswelle in Deutschland nach Experteneinschätzung bereits erreicht ist und bis Februar auf eine deutliche Beruhigung gehofft werden kann. Zumindest Fiebersaft und Antibiotika werden dann mutmaßlich nicht mehr knapp sein. Das Grundproblem aber bleibt und erstreckt sich auch auf andere Medikamente, etwa zur Krebsbehandlung. Zuletzt gab es hier Anfang 2022 eine echte Versorgungskrise mit einem Medikament, das bei hunderttausend Frauen in der Brustkrebsbehandlung zum Einsatz kommt. In dieser Woche nun warnte die Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie vor weiteren drohenden Engpässen – etwa bei Medikamenten zur Behandlung von Leukämie bei Kindern.

Der Branchenverband der europäischen Generikahersteller, Medicines For Europe, verweist darauf, dass in keinem anderen Land der EU der Preisdruck auf die Hersteller so hoch sei wie in Deutschland. Deutschland sei zu groß, um sich auf immer eigene wenige Hersteller und die Lieferung aus anderen EU-Ländern zu stützen. „Das ist kein verantwortliches Verhalten“, so ein Sprecher.

Gesundheitsminister Lauterbach hatte Ende Dezember in einem Eckpunktepapier skizziert, wie er die Probleme in der Medikamentenversorgung nachhaltig bekämpfen will. Darin ist nicht nur von der jetzt übergangsweise umgesetzten Änderung der Preispolitik die Rede. Künftig sollten bei Rabattverträgen zusätzlich zum günstigsten auch europäische Hersteller berücksichtigt, Vorräte bei kritischen Medikamenten angelegt und die Überwachung von Lieferengpässen verbessert werden.

Für Anfang dieses Jahres hat Lauterbach einen entsprechenden Gesetzentwurf in Aussicht gestellt. Die jetzt schon mil­liar­den­schweren Defizite der gesetzlichen Krankenkassen sitzen ihm dabei im Nacken.

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