Verteidigung der Räumung Lützeraths: Grüne Geschlossenheit bröckelt

Die Grünen-Spitze verteidigt die Räumung Lützeraths. Doch die Bilder vom Polizeieinsatz zeigen Wirkung – und hinter den Kulissen brodelt es.

Ein Mensch hängt an einem Seil über den Köpfen der Polizei

Seiltanz für die Grünen: Räumung in Lützerath Foto: Michael Probst/ap

BERLIN taz | Um Lützerath kommt am Donnerstag auch die Fraktionsspitze der Grünen nicht herum. Am Mittag trifft sich der Fraktionsvorstand zur Klausur in Berlin-Dahlem. Es soll um einen Ausblick aufs Jahr gehen und um den Klimaschutz im Verkehrssektor – ein Bereich, in dem FDP-Verkehrsminister Volker Wissing aktuell versagt. Als die Fraktionsspitze vor Klausurbeginn vor die Presse tritt, dominiert aber natürlich wieder eine Frage: Geht wegen der Räumung von Lützerath, die die Grünen verantworten, ein Riss durch die Partei?

Fraktionschefin Katharina Dröge verteidigt die eigenen Entscheidungen erneut. „Es schmerzt, dass die Siedlung Lützerath verkleinert werden muss“, sagt sie. Aber dass im Gegenzug RWE schon 2030 statt 2038 aus der Kohle aussteige, mache sie stolz. „Wir sind geschlossen in der Frage, dass es notwendig und richtig war, den Kohleausstieg vorzuziehen“, so Dröge.

Wirtschaftsminister Robert Habeck, der der Räumung in einem Kompromiss mit RWE zugestimmt hat und in Dahlem als Gast dabei ist, klingt ähnlich: „Ich habe Sympathien für Menschen, die auf die Straße gehen“, sagt er. Aber der vorgezogene Kohleausstieg spare objektiv CO2-Emissionen ein. Dass an Ausstiegsdaten festgehalten werde und nicht an Marktmechanismen, sei für ihn „ein Sieg“ für den Klimaschutz.

In der Fraktion schien das zuletzt schon Konsens zu sein. Nachdem der Grünen-Parteitag dem RWE-Deal im Oktober mit knapper Mehrheit zugestimmt hatte, ging das zugehörige Gesetz im Dezember ohne grüne Gegenstimmen durch den Bundestag. Eine Enthaltung kam lediglich von der langjährigen Anti-Kohle-Aktivistin Kathrin Henneberger, die aus ihrer Kritik an der Einigung nie ein Geheimnis machte.

Die Bilder vom Polizeieinsatz zeigen Wirkung

Unter dem Eindruck der Bilder des Polizeieinsatzes, vielleicht auch überrascht von der Breite des Protests, sind aus der Fraktion jetzt aber auch wieder andere Gegenstimmen vernehmbar. Die Geschlossenheit, von der Dröge spricht, hat Risse.

So twitterte die Leverkusener Bundestagsabgeordnete Nyke Slawik am Donnerstag zwar, dass der vorgezogene Kohleausstieg natürlich ein Erfolg sei. „Wir müssen aber anerkennen, dass dieser Kompromiss, der die Abbaggerung besonders dicker Kohleschichten unter Lützerath vorsieht, weder gesellschaftlich noch wissenschaftlich zeitgemäß ist.“ Wörtlich schrieb Slawik zudem von „Hörigkeitserklärungen“ der Be­für­wor­te­r*in­nen gegenüber RWE.

Die Kreuzberger Abgeordnete Canan Bayram, bei der Bundestagsabstimmung im Dezember nicht anwesend, unterschrieb schon am Mittwoch einen offenen Brief aus der Grünen-Basis gegen die Räumung. Bis Donnerstagnachmittag hatte der Brief 1.657 Unterzeichner*innen.

„Da es gelungen ist, die Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten, gibt es derzeit keinen Grund, die Kohle unter Lützerath aus der Erde zu holen“, sagt Bayram der taz. „Vielmehr schadet die Räumung des Dorfes: Junge Menschen, denen wir die Zukunft schulden, verlieren das Vertrauen in die Seriosität von politischen Entscheidungen, und Polizeikräfte nehmen an einem überdimensionierten Polizeieinsatz teil, obwohl sie anderswo dringender gebraucht werden.“

Abgeordnete nimmt an Demo gegen Räumung teil

In Hannover nahm am Mittwoch die Bundestagsabgeordnete Swantje Michaelsen an einer Demonstration gegen die Räumung teil. Die Verkehrspolitikerin ist mit den Klimaschutz-Aktivist*innen in der Stadt gut vernetzt und sagt, sie fühle sich auch weiterhin als Teil der Bewegung. Trotz aller Kritik an den Grünen, trotz ihrer Ja-Stimme im Bundestag habe sie sich auf der Demo willkommen gefühlt. Ein Spagat ist ihre Teilnahme natürlich trotzdem.

„Ich protestiere nicht gegen unsere eigenen Leute. Ich protestiere für noch mehr Klimaschutz. Es bringt nichts, wenn wir uns als Partei entzweien, und ich sehe, dass die Einigung mit RWE weniger schlecht ist als der vorherige Kompromiss zum Kohleausstieg 2038“, sagt Michaelsen einerseits. Andererseits: „Die Einigung ist trotzdem bei weitem nicht gut genug und deswegen muss der Kampf gegen die Kohle 2023 weitergehen. Dass Lützerath jetzt geräumt wird, ist bitter. Aber dass die Kohle unter Lützerath wirklich verstromt wird, ließe sich noch verhindern. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen.“

Denkbar ist dafür beispielsweise ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien oder ein schneller steigender CO2-Preis. Dadurch könnte es früher als gedacht unrentabel werden, aus der Kohle Strom zu erzeugen.

Hofreiter steht zu seinem Ja zum Deal mit RWE

Im Gegensatz zur Fraktionsspitze will auch der Haushaltspolitiker Sven-Christian Kindler die Einigung mit RWE nicht verteidigen. „Ich kann die Menschen, die in Lützerath demonstrieren, gut verstehen“, sagt er. „Der friedliche Protest gegen einen dreckigen Braunkohletagebau ist legitim und nachvollziehbar. Der letzte Hitze-Sommer und dieser warme Winter zeigen uns erneut, wie weit die Klimakrise auch bei uns schon vorangeschritten ist.“ Gerade in „kritischen Auseinandersetzungen wie jetzt“ sollten die Grünen mit der Klimabewegung den Austausch suchen. Angesichts der „Dramatik der Klimakatastrophe“ müsse die Partei 2023 noch grundsätzlicher und entschlossener agieren.

Allerdings bekommt die Grünen-Spitze aus Teilen der Fraktion auch weiterhin Rückhalt für ihren Kurs. Der Ex-Fraktionschef und Parteilinke Anton Hofreiter zum Beispiel, in der Regel nicht um offene Worte verlegen, steht weiterhin zu seiner Ja-Stimme im Bundestag. Fünf Dörfer um Lützerath und früher bereits der Rest des Hambacher Walds seien gerettet worden „und das bei sehr schwierigen Ausgangsbedingungen nach dem Kohleausstieg durch die Große Koalition“. Es seien zugegebenermaßen nicht 100 Prozent erreicht worden, immerhin aber 80 Prozent. „Das ist nicht schlecht“, sagt Hofreiter.

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