Politische Debatte zur Lützerath-Räumung: Der K(r)ampf der Grünen

Die Räumung von Lützerath beschäftigt auch die Bundespolitik – allen voran die Grünen. Dort kommt Widerstand auch von der Parteibasis.

Gelbe X Latten werden auf den Eingang und die Fenster der Bundesgeschäftsgstelle der Grünen genagelt

Ak­ti­vis­t*in­nen der Inter­ventio­nis­tischen Linken vor der Bundesgeschäftsstelle der Grünen Foto: Florian Boillot

DÜSSELDORF/BERLIN taz | Die Räumung in Lützerath ist am Mittwoch in vollem Gange, da äußert sich im fernen Berlin Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck, um den Polizeieinsatz zu verteidigen. Protest für Klimaschutz sei richtig, erklärte der Grüne. Aber: „Die leergezogene Siedlung Lützerath, wo keiner mehr wohnt, ist aus meiner Sicht das falsche Symbol.“ Der „Kompromiss“ – Lützerath wird abgebaggert, andere Dörfer dafür aber nicht, dazu ein vorgezogener Kohleausstieg in NRW bis 2030 – sei weiter richtig, so Habeck. Er schaffe Rechtssicherheit und diene dem Klimaschutz.

Doch die Worte können nicht überdecken, dass die Räumung den Grünen schwer zusetzt. Habeck hatte den „Kompromiss“ mit dem Energieversorger RWE mitverhandelt, zusammen mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur. Auch sie hatte die Räumung bis zum Schluss verteidigt. Parallel aber beteiligt sich am Mittwoch die Grüne Jugend vor Ort an den Gegenprotesten. Noch am Morgen postet Bundeschef Timon Dzienus von dort ein Selfie mit geballter Faust. „Wir verteidigen Lützerath“, schreibt er dazu. Später beklagt er das große Polizeiaufgebot und eine „unheilvolle Allianz gegen das Klima“ durch die Polizei und RWE, dann wird er von Beamten geräumt.

Auch die Grüne Jugend Nordrhein-Westfalen nennt die Räumung „falsch“, ausgerechnet mitten in der Klimakrise. „Wenn wir die 1,5-Grad-Grenze einhalten wollen, muss die Kohle unter der Erde und Lützerath erhalten bleiben“, findet Landeschefin Nicola Dichant. „Deswegen sind auch wir jetzt in Lützerath und stehen für den Erhalt ein.“ Und in Berlin ziehen Kli­ma­schüt­ze­r:in­nen protestierend vor die Grünenzentrale, bringen dort gelbe Kreuze an – das Protestsymbol aus Lützerath.

Wie schwer sich die Grünen mit dem Einsatz tun, zeigt sich auch daran, dass die Parteichefs Omid Nouripour und Ricarda Lang sich am Mittwoch nur kurz im Radio äußern – sonst vorerst kein Statement, kein Tweet zum Start der Räumung. Dafür tun es andere in der Bundespolitik.

Die Bundesregierung verurteilt Gewalt

Regierungssprecher Steffen Hebestreit verweist auf die „eindeutige“ Rechtslage. Die Bundesregierung erwarte, dass geltendes Recht ­eingehalten würde. Dass am Morgen auch Steine, Pyrotechnik und ein Molotow-Cocktail auf Polizeibeamte flogen, kommentiert er deutlich: Die Bun­des­regierung verurteile die Gewalt. „Dafür haben wir kein Verständnis.“ Es sei an den Sicherheitskräften, die Situation vor Ort zu regeln.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser kritisiert die Übergriffe scharf. „Ich habe null Verständnis für Gewalt und null Verständnis dafür, politische Fragen auf dem Rücken von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auszutragen“, twittert sie. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) äußert sich ebenso „fassungslos“ darüber. „Ich verstehe es nicht, wie Menschen so was machen können.“ Friedliche Demonstrierende müssten sich von den Gewaltbereiten dis­tanzieren und das Dorf verlassen.

Tatsächlich gibt es von solchen friedlichen Demonstrierenden viele in Lützerath. Und schon am Vormittag beruhigt sich die Lage – zu übermächtig ist das Polizeiaufgebot. Nach taz-Informa­tionen sind am Mittwoch bis zu 5.000 Polizeibeamte im Einsatz – offiziell äußert sich die Polizei dazu nicht. Fast alle Bundesländer schickten Hundertschaften, auch Wasserwerferstaffeln oder Spezialeinheiten. Ein Polizeisprecher lässt Zahlen der Festnahmen zunächst offen, spricht aber von mehreren verletzten Beamten und mindestens einem verletzten Protestierer.

Am Nachmittag steht auch Jochen Kopelke, Chef der Gewerkschaft der Bundespolizei, im Matsch von Lützerath. „Ich erlebe hier einen hochprofessionellen Polizeieinsatz“, sagt er der taz am Telefon. Die Polizei kommuniziere vor­bildlich. Inzwischen sei „absolute Ruhe eingekehrt“, auch auf Seiten der Demonstrierenden. Die Gewalt sei klar zu verurteilen, doch das Protestspektrum sei sehr heterogen, so Kopelke. „Da hatten wir ganz andere Sorgen im Vorfeld.“

Die Linke beteiligt sich an Gegenprotesten

Andere sehen den Polizeieinsatz weitaus kritischer. Linken-Chefin Janine Wissler zog bereits am Dienstag in das Protestcamp ein. „Hier in Lützerath werden die Gewinninteressen von RWE vor die Klimaschutzziele gestellt“, erklärt sie am Mittwoch. Die linke stehe an der Seite der Klimaschutzbewegung, weil Menschen wichtiger seien als Profite.

Schon länger vor Ort war auch die NRW-Chefin der Linken, Kathrin Vogler. Auch sie beklagt am Mittwoch den „massiven“ Polizeieinsatz, der selbst Demo-Sanitäter nicht durchlasse. „Das ist skandalös.“ Ein Polizeisprecher sagt dazu nur, dass bei Verletzungen professionelle Hilfe jederzeit gewährleistet werde – aber nicht unbedingt private.

Grüne Spitzenfunktionäre aus Landesregierung und Landtagsfraktion wiederholen derweil ihr Mantra der Vorwochen. Der in Nordrhein-Westfalen von 2038 auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg sei „ein Meilenstein für den Klimaschutz“, findet Co-Fraktionschefin Wibke Brems. „Mitten in einer Energiekrise“ blieben damit 280 Millionen Tonnen Kohle in der Erde und würden „fünf Dörfer und drei Höfe“ gerettet. Allerdings: Der Mittwoch sei „kein leichter Tag für uns Grüne und alle für den Klimaschutz engagierten Menschen“, räumt Brems ein.

Auch der grüne NRW-Umweltminister Oliver Krischer sieht den „Kohlekompriss“ als wichtigen „Schritt in Richtung Klimaschutz“ – schließlich könne dadurch der Tagebau Hambach „um die Hälfte verkleinert“ werden.

SPD-Mann und Oppositionschef Thomas Kutschaty kritisiert dagegen vor allem das Schweigen der Regierungsspitze um CDU-Ministerpräsident Hendrik Wüst. Dessen schwarz-grüne Landesregierung habe die politische Entscheidung getroffen, dass die Kohle unter Lützerath abgebaggert werden müsse. „In dieser Phase wäre Führungsverantwortung durch den Ministerpräsidenten angezeigt gewesen. Aber wie immer, wenn es heikel wird, hört man von ihm nichts“, so Kutschaty zur taz.

Auch aus der Grünen-Basis kommt Kritik

Die Grünen erreicht Kritik derweil auch aus der eigenen Partei. Man könne die Räumung „weder verstehen noch hinnehmen“, heißt es in einem seit Mittwoch öffentlichen Offenen Brief, den vorerst gut 1000 Basis-Grüne unterzeichneten, darunter die Berlin-­Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Canan Bayram und die frühere Friedrichshain-Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann. „Der Deal mit RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen.“ Die Räumung müsse „sofort und dauerhaft“ gestoppt werden.

Gleiches fordern auch rund 200 Kulturschaffende in einem offenen Brief, darunter Katja Riemann, Igor Levit oder die Bands Deichkind und Revolverheld. Man stelle sich „soldiarisch an die Seite der Klimaprotestierenden in Lützerath“. Und auch die „Scientists for Future“, ein Verbund klimaprotestierender Forscher:innen, fordern in einem offenen Brief ein Moratorium für die Räumung.

Protest mit Greta Thunberg angekündigt

Dazu wird es wohl nicht kommen. Die Polizei kündigt am Mittwoch an, dass sich ihr Einsatz noch eine Weile hinziehen werde. Und betont nochmals, dass man nur Vollzugshilfe für die Behörden leiste.

Aber auch der Protest kündigte Ausdauer an. Noch befinden sich Be­set­ze­r:in­nen in Lützerath. Und für Samstag ist eine Großdemonstration geplant – an der laut Ver­an­stal­te­r:in­nen auch Greta Thunberg teilnehmen wird.

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