Besetzte Fabrik bei Florenz: Autoar­bei­te­r*in­nen for Future

350 Angestellte eines Autozulieferers haben ihre Fabrik besetzt. Sie fordern, den Standort für klimafreundliche Produktion umzunutzen.

Zwei Megaphone auf einem Tisch

Alarm statt Autoteile: in der GKN-Fabrik in Campi Bisenzio Foto: Michele Borzoni/TerraProject/con/laif

CAMPI BISENZIO taz | Die ehemalige Fabrik des Autozulieferers GKN Automotive befindet sich eine halbe Stunde Autofahrt von Florenz entfernt in Campi Bisenzio. An einer Schnellstraße, gegenüber einem massiven Einkaufszentrum, steht hinter meterhohem Zaun das ehemalige Werk. Die Stoffbanner mit Parolen und Solidaritätsbekundungen an den Eisenstäben verraten, dass sich darin ein Konflikt abspielt. Schon lange. Die Fabrik ist seit anderthalb Jahren besetzt. Die Aktion gilt als Hoffnungsträger für funktionierenden ökosozialistischen Protest: Denn die Ar­bei­te­r*in­nen fordern nicht etwa höhere Löhne – sondern eine klimafreundliche Produktion.

Felice Ieraci, einer der Besetzer aus dem Collettivo di Fabbrica, hat beim Rundgang über das verlassene Werksgelände die Kapuze gegen den Wind fest um das Gesicht gezurrt. Auf seiner Jacke prangt das Logo des Fabrikkollektivs, das dem Produkt nachempfunden ist, das hier hergestellt wurde: Achswellen für Kraftfahrzeuge. Der Mann Mitte 40 arbeitete schon fast sein halbes Leben für GKN – bis ihm und 421 seiner Kol­le­g*in­nen am 9. Juni 2021 gekündigt wurde.

„Es war ein Freitag. Wir wurden informiert, dass wir zu Hause bleiben sollen, es gebe nicht genug Arbeit“, erzählt Ieraci. „Dann kam die Kündigung, wir sind mit über hundert Leuten zur Fabrik gefahren. Dort wartete bewaffnetes Sicherheitspersonal und die Polizei kam.“ Nach diesem Freitag schlossen sich etwa 350 der Ar­bei­te­r*in­nen zusammen und organisierten eine „unbefristete Betriebsversammlung“. Eine legale Form der Werksbesetzung.

Pappschilder statt der Namen der Manager

Seitdem ist Ieraci fast täglich in seinem neuen Büro im ehemaligen Werk anzutreffen. Von dort aus organisiert er die Besetzung und Proteste. Manchmal trinkt er mit den anderen Ex-Arbeiter*innen aber auch bloß einen Kaffee, hilft aus als Übersetzer oder reinigt die Toiletten. Er gilt als Herz des Kollektivs. Statt der Namen der Manager hängen an den Büros nun Pappschilder mit der Aufschrift „Gewerkschaftswohnzimmer“, „Medienbüro“ oder „Kulturelle Annäherung“.

Es zieht und es riecht überall nach Zigarettenrauch. Über 50 Menschen sind regelmäßig anwesend, laufen telefonierend durch die mit Infoboards behängten Flure, aschen in herumstehende Plastikbecher. Ab und zu ist das durchdringende Reißen der Papierschneidemaschine zu hören, mit der die Be­set­ze­r*in­nen Flyer für eine neue Aktion zurechtschneiden.

Das Kollektiv entstand drei Jahre vor Schließung der Fabrik, die damals 100 Mitglieder wollten sich ursprünglich besser gegen das britische Unternehmen Melrose organisieren, das die Fabrik im selben Jahr übernommen hatte. Seitdem der Betrieb eingestellt wurde, ist das Kollektiv um etwa 250 Personen angewachsen. Alles ehemalige Arbeiter*innen, die sich mithilfe von Kundgebungen oder Soli-Konzerten für eine Zukunft des Werks einsetzen. Dafür hat es sich die militanten italienischen Arbeitskämpfe der Sechziger- und Siebzigerjahre zum Vorbild genommen. Doch gänzlich neu ist der Fokus auf die ökologische Transformation.

Schon länger, so erzählen es Mitglieder des Kollektivs, hätten sie sich darüber Gedanken gemacht, wie sie ihre Arbeit hier und die Zukunft ihrer Kinder miteinander vereinbaren könnten. Mit dem „Reindustrialisierungsplan“ von For­sche­r*in­nen der Universität Pisa wurde es konkreter: Ihnen zufolge ist es möglich, Arbeitsplatzerhalt und ökologische Transformation zu vereinbaren. Auf 55 Seiten legen Öko­no­m*in­nen und In­ge­nieu­r*in­nen dar, wie der Industriestandort in der Toskana als Forschungszentrum für einen ökologischen Wandel dienen kann.

Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen entwerfen zwei Szenarien: Das eine zielt auf die Umnutzung der ehemals im Werk produzierten Einzelteile ab. Statt für Autos könnten die modernen Maschinen sie auch für Busse oder Züge produzieren. Das andere Szenario ist radikaler: In der Fabrik könnten Elektrolyseure verwendet werden – Geräte zur Herstellung von Wasserstoff. Wenn Ieraci von diesen Plänen spricht, leuchten seine Augen. Er ist von den Ideen überzeugt. Einer der größten Erfolge, den sich das Kollektiv anrechnen kann, ist die Zusammenarbeit mit der jungen Klimabewegung in Italien. Das Fabrikkollektiv arbeitet mit Fridays for Future (FFF) zusammen.

Wir stehen auf! Die Ar­bei­te­r*in­nen planen ihre nächste Kampagne Foto: Michele Borzoni/TerraProject/con/laif

Klimastreik und Sommercamps

Einige ehemalige GKN-Beschäftigte gehen regelmäßig zu Meetings der Klimabewegung, das Fabrikkollektiv nahm an der Demo gegen den G20-Gipfel teil und an Sommercamps, wo sie ihre Pläne zur Verkehrswende diskutierten. Gemeinsam organisierten sie im vergangenen September den Klimastreik in Florenz mit über 40.000 Teilnehmer*innen. Die beiden Bewegungen versuchen, eine gemeinsame Agenda zu schaffen, die die Vergesellschaftung des GKN-Werks bei gleichzeitiger radikaler Klimapolitik fordert.

Neben FFF nähert sich das Fabrikkollektiv auch anderen ökologischen Vereinigungen, wie den Landwirtschaftsverbänden aus der Region, an. Durch diese Verbindung beziehen die Be­set­ze­r*in­nen jetzt lokale Produkte für die Werksmensa, die sie seit der Besetzung verwalten. Gemeinsam wollen sie die vermeintliche Kluft zwischen sozialen und ökologischen Kämpfen überwinden.

Vermeintliche Kluft zwischen sozialen und ökologischen Kämpfen überwinden

Doch bislang leider mit mäßigem Erfolg. Weihnachten 2021 sah es so aus, als wären die Be­set­ze­r*in­nen ihrem Ziel ein Stück nähergekommen. Ein neuer Besitzer übernahm die Fabrik: Francesco Borgomeo. Klein, schmächtig, Mitte fünfzig, trägt auf Pressefotos Anzug. Der Unternehmer ist als Keramikgigant bekannt geworden und hatte große Pläne mit dem Standort: Er zeigte sich zugewandt, wollte einen Transformationsplan erstellen und sich dabei auf erneuerbare Energien stützen. Die Ar­bei­te­r*in­nen sollten alle beschäftigt bleiben. Die Situation klang vielversprechend.

„Er wollte uns über alles aufklären“, sagt Ieraci. Doch schon sein erstes Versprechen, nämlich persönliche Daten wie die Krankenakten der Beschäftigten freizugeben, habe er gebrochen. Ieraci lacht normalerweise viel, doch wenn er über Borgomeo spricht, zeigt sich eine Zornesfalte auf seiner Stirn. Wenn der Unternehmer mal wieder in der italienischen Lokalpresse zu sehen ist, stehen die Ar­bei­te­r*in­nen mit verschränkten Armen in der selbst errichteten Bar auf dem Fabrikgelände vor dem Bildschirm und schütteln die Köpfe.

Borgomeo zeigte sich nach einer ersten Anfrage der taz gesprächsbereit, wollte später doch dann doch keine Fragen beantworten. Der Widerstand gegen den alten und den neuen Besitzer brachte den Ar­bei­te­r*in­nen eine große Anzahl von Un­ter­stüt­ze­r*in­nen ein. Um die Zivilgesellschaft zu erreichen, besuchten sie im vergangenen Jahr Theatersäle, Markthallen und Kirchen in Florenz. Der Erfolg ihrer Aktionen hat im Stadtbild Spuren hinterlassen: Immer wieder begegnet man Menschen, auf deren Kappen und Hoodies das Logo des Kollektivs sichtbar ist.

Versuchsraum für nachhaltige Ideen

Auch Antonella Bundu setzt sich für die Forderungen der Ar­bei­te­r*in­nen ein. Bundu ist Mitglied des florentinischen Stadtrats, als linke Aktivistin hat sie die Demonstrationen des Kollektivs begleitet. Für sie seien die wichtigsten Fragen im Moment, wie öffentliche Gelder für die Ar­bei­te­r*in­nen bereitgestellt werden könnten und was der Besitzer mit der Fabrik wirklich vorhabe. Denn trotz der großen Solidarität und konkreter Pläne der Be­set­ze­r*in­nen liegt es letztendlich in der Verantwortung des Besitzers Borgomeo, In­ves­to­r*in­nen für das Werk zu finden.

Nach anderthalben Jahren Kampf merkt man den Ar­bei­te­r*in­nen eine gewisse Müdigkeit an. „Ich habe keine Routine mehr, ich weiß nicht, wann ich Zeit habe zu essen“, sagt Ieraci. Noch wollen sie die Fabrik mit all ihren Bestandteilen nicht aufgeben und an ihrem Plan für eine nachhaltige Verkehrswende festhalten. Sollte das nicht funktionieren, können Sie sich vorstellen, als Genossenschaft weiterzuarbeiten und andere Fabriken zu unterstützen, die von der Schließung bedroht sind. „Wir sind als Kollektiv miteinander gewachsen. Wir können ein Vorbild sein“, sagt Ieraci.

Die Ar­bei­te­r*in­nen finanzieren ihren Protest durch ein Transformationsgeld, das Borgomeo ihnen bis November 2022 auszahlte, außerdem mit Spendengeldern und einer Gemeinschaftskasse. In die zahlt ein, wer kann. Beispielsweise diejenigen mit neuen Jobs.

Vor den Eingängen zur Betriebshalle hängt Absperrband, doch innen sieht es aus, als könnte es sofort weitergehen: Noch immer blinken Monitore und Kontrollleuchten, die Lüftung läuft und die Glocke zum Schichtwechsel klingelt zweimal am Tag. „Die Maschine hier ist 4 Millionen wert“, sagt Ieraci und zeigt auf einen kleinen Roboterarm. Wir beim Collettivo di Fabbrica achten darauf, dass nichts kaputtgeht.“

FFF hofft, dass die Fabrik ein Versuchsraum für nachhaltige Ideen bleiben kann. Auch in Deutschland schaut man nach Florenz. Eine Arbeitsgruppe aus Jena möchte das Collettivo di Fabbrica dieses Jahr nach Deutschland einladen. Hier will das Kollektiv Fabriken besuchen, die ökosozialistische Visionen aus Italien ebenso gut gebrauchen könnten.

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