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: „Wichtig ist, zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren“

In der Marktkirche Hannover thematisiert eine Reihe den Antisemitismus von Verschwörungserzählungen als ein Problem der gesamten Gesellschaft und beleuchtet es aus verschiedenen Perspektiven

Interview Ann-Christin Dieker

taz: Frau Rudnick, was hat Sie dazu bewegt, die Veranstaltungsreihe über Verschwörungserzählungen ins Leben zu rufen?

Ursula Rudnick: Die Reihe reagiert auf den Anstieg von Antisemitismus in der letzten Dekade. Die Veranstaltungen fokussieren das Thema Antisemitismus im Bereich der Verschwörungserzählungen, die in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen haben. Und ich denke, vielen Leuten ist nicht bewusst, wie viel Antisemitismus in den Verschwörungserzählungen drinsteckt.

Was meinen Sie genau damit?

Ich denke, dass viele Menschen Antisemitismus oftmals als solchen nicht erkennen. Das ist ein allgemeines Problem, das wir in vielen gesellschaftlichen Diskussionen um Antisemitismus haben. Also, wenn wir an die Documenta denken – einigen Menschen war dort sofort klar: das ist Antisemitismus. Andere haben die Ansicht vertreten, das sei kein Antisemitismus. Diesen Diskurs zu führen, um darüber nachzudenken und aufzuzeigen, was antisemitische Denkmuster sind – das ist mir ein wichtiges Anliegen.

Die Diskussionen um die Documenta waren vergangenen Sommer teilweise sehr hitzig. Was würden Sie sich für den öffentlichen Diskurs wünschen?

Ich wünsche mir ein Nachdenken und einen Austausch von Argumenten. Das Ziel wäre es, zu einer sachlichen Diskussion zu kommen und die zunehmende Polarisierung, die wir erleben, zu verringern.

Foto: privat

Ursula Rudnick Jahrgang 1963, promovierte Judaistin und Pastorin, ist als außerplanmäßige Professorin Beauftragte für Kirche und Judentum im Haus für kirchliche Dienste der Evangelischen Landeskirche Hannover.

Wie hat die Coronapandemie zu dieser Entwicklung beigetragen?

Verschwörungserzählungen und Antisemitismus sind Krisenphänomene. Gesellschaftliche Situationen werden als komplex und vermutlich überfordernd wahrgenommen. Immer wieder lässt sich geschichtlich beobachten, dass dann auf scheinbar einfache Erzählungen zurückgegriffen wird. Sie sind sinnstiftend, aber natürlich auf eine unangemessene Weise.

Welche Rolle spielen die christlichen Kontexte in der Reihe?

Uns ist wichtig, auf katholischer und evangelischer Seite zu gucken, in welchen Kontexten wir Verschwörungserzählungen haben. Wir schauen jetzt nicht, auf welche Weise das Christentum, Protestantismus oder Katholizismus Gegenstand der Erzählungen sind, sondern fragen: Wer sind hier Trägerinnen und Träger? Wer erzählt diese Mythen?

Was wollen Sie Zu­hö­re­r*in­nen mitgeben?

Verschwörungserzählungen: Vortragsreihe in der Marktkirche Hannover, Mittwoch, 11., 18. und 25. 1., jeweils 18 Uhr

Solange das Problem da ist, ist es wichtig, darüber nachzudenken, darüber zu sprechen und Menschen zum Handeln zu befähigen. Und wenn schon die Person, die Verschwörungsmythen verbreitet, nicht überzeugt werden kann, dann zumindest anderen klarzumachen, was diese Erzählungen bewirken und wie viel Unheil sie enthalten. Wir wollen Menschen ermutigen, sich zu engagieren, wo immer sie aktiv sein können: im Alltag, in der Bildungsarbeit, bei der Polizei oder auch im Bereich der Justiz.

Sie meinen, dass die Verbreitung von Verschwörungstheorien geahndet wird?

Es geht darum, die juristischen Mittel, die wir haben, zu nutzen, um gegen Antisemitismus vorzugehen. Gleichzeitig müssen wir auf vielfältige Weise dagegen vorgehen. Das sehe ich als wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wichtig ist dabei auch immer, zuerst vor der eigenen Haustür zu kehren. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, zu gucken, wo haben wir das Problem?