Ukraine-Flüchtlinge aus Drittstaaten: Geflohen vor demselben Krieg

Ein aus der Ukraine geflüchteter Nigerianer wurde beinahe aus Bayern abgeschoben. SPD-Politiker Hakan Demir fordert Lösungen für diese Fälle.

Hakan Demir, SPD-Bundestagsabgeordneter

Ist für Gleichbehandlung der Ukraine-Geflüchteten: Hakan Demir, SPD-Bundestagsabgeordneter Foto: Sebastian Gabsch/Future Image/imago

BERLIN taz | Der SPD-Bundestagsabgeordnete Hakan Demir fordert Nachbesserungen im Umgang mit aus der Ukraine geflüchteten Dritt­staatler*innen. „Die Menschen fliehen alle vor demselben Krieg, also sollten sie auch den gleichen Schutz bekommen“, sagte Demir der taz.

Anlass für Demirs aktuelle Forderungen ist der Fall des Nigerianers Uchenna U., der in der Ukraine studiert hatte. Im März floh er vor dem Krieg nach Deutschland. Mitte Dezember wäre er beinahe der erste bekannte Fall von Abschiebung eines Ukrainekriegsflüchtlings ­gewesen: Bayern hatte den 28-Jährigen bereits in Abschiebehaft genommen. Nur ein kurzfristig gestellter Asylantrag bewahrte den Mann zumindest vorübergehend vor der Abschiebung.

Rund 1 Million Menschen sind vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nach Deutschland geflohen und haben unbürokratische Hilfe bekommen. Möglich macht das die sogenannte Massenzustromrichtline der EU.

Die Massenzustromrichtlinie gilt aber in erster Linie für ukrainische Staats­bür­ge­r*in­nen und nicht für die rund 34.000 Geflüchteten anderer Nationalitäten. Viele von ihnen sind wie Uchenna U. Studierende aus afrikanischen Ländern. Sie fallen nur in Ausnahmefällen unter die EU-Richtlinie, etwa wenn sie in der Ukraine einen unbefristeten Aufenthaltstitel hatten, mit ukrainischen Staats­bür­ge­r*in­nen verheiratet sind oder wenn sie „nicht sicher und dauerhaft“ in ihre Herkunftsländer zurückkehren können.

Ethische und pragmatische Gründe

Bis zum 31. August durften auch sie sich ohne Visum in Deutschland aufhalten. Doch wer bis dahin nicht entweder Schutz entsprechend den genannten Kriterien erhalten, Asyl beantragt oder einen anderen Aufenthaltstitel bekommen hat, ist seither offiziell ausreisepflichtig.

„Ich finde es nicht richtig, diese Menschen abzuschieben“, sagte Demir der taz. Dafür gebe es neben ethischen auch pragmatische Gründe: „Wir brauchen jedes Jahr 400.000 Arbeitskräfte aus dem Ausland, erlassen entsprechende Gesetze – und dann sollen wir Menschen, die für ein Studium qualifiziert sind, abschieben? Das passt doch nicht zusammen.“

Er fordere von der Bundesregierung eine „bundeseinheitliche Regelung, die klar formuliert ist und Auslegungsräume schließt“, sagte Demir. Denn dass der erste bekannte Abschiebungsversuch ausgerechnet in Bayern passiert, sei kein Zufall. Die dortige CSU-geführte Landesregierung macht immer wieder klar, dass sie von liberaler Migrationspolitik nichts hält. Und auch die zuständige Ausländerbehörde Donau-Ries ist laut Münchner Flüchtlingsrat „bereits seit vielen Jahren als besonders repressiv bekannt“.

„Fiktionsbescheinigung“ schafft Optionen

Anders in Berlin, Bremen und Hamburg: Dort können aus der Ukraine geflüchtete Studierende aus Drittstaaten für weitere sechs Monate eine sogenannte Fiktionsbescheinigung bekommen, ein „vorläufiges Aufenthaltsrecht“ – und somit die Möglichkeit, die vielen Hürden für ein Studium oder die Anerkennung als Fachkraft zu meistern. Auch in diesen Bundesländern hat es allerdings schon Ausreiseverfügungen gegeben.

Die Massenzustromrichtlinie sei der Rechtsrahmen im Kontext einer „gesamteuropäischen Lösung für eine gesamteuropäische Aufgabe“, erklärt das bayerische Innenministerium auf Anfrage. Einzelne landesrechtliche Regelungen seien vor diesem Hintergrund abzulehnen. Und: „Der Schutz nicht-ukrainischer Staatsangehöriger, die aus der Ukraine geflohen sind und die jederzeit in ihre Heimat zurückkehren können, ist aus unserer Sicht zuvorderst Aufgabe der Heimatländer.“

Es gebe verschiedene Möglichkeiten, das Problem zu lösen, sagt Demir. „Am einfachsten und somit aus meiner Sicht sinnvollsten wäre es aber, diesen Menschen den gleichen unbürokratischen Schutz zu geben, den wir auch den Ukrai­ne­r*in­nen gewähren.“ Ohnehin gehe es angesichts einer Million Geflüchteter aus der Ukraine um eine geringe Anzahl an Menschen.

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