Umweltschützerin zur Lage in der Ukraine: „Russlands nukleare Agenda“

Die ukrainische Umweltschützerin Iryna Tschernysch warnt davor, die Gefahr durch das AKW Saporischschja zu unterschätzen. Und fordert Konsequenzen für Moskau.

Die Kühltürme eines Kraftwerks

„Nicht das Ausmaß der Bedrohung begriffen“: das AKW Saporischschja Foto: Alexander Ermochenko/reuters

taz: Frau Tschernysch, Sie sind als Vorsitzende der Organisation SaveDnipro in der ukrainischen Umweltbewegung tätig. Wie kamen Sie zum Umweltschutz?

Iryna Tschernysch: Ich habe längere Zeit in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kohlekraftwerk Prydniprovska gelebt. Das galt damals als das schmutzigste Kohlekraftwerk Europas. Die gesamte Anlage war zu Zeiten der Sowjetunion gebaut worden, es wurde nur schlecht gefiltert. Der Rauch, der aus den Schornsteinen kam, war pechschwarz. Kein Wunder also, dass ich krank geworden bin. Und als mein Kind auf die Welt gekommen ist, wurde es auch bald krank. Und so suchte ich nach den Verantwortlichen für diesen Missstand. Eigentlich, so habe ich damals gedacht, müsste man die Behörden vor Ort in Dnipro darüber informieren. Es ist doch deren Aufgabe, derartige Umweltbelastungen zu verhindern.

Und dort trafen Sie sicherlich auf gewissen Widerstand?

Der Betreiber dieses Kohlekraftwerkes, DTEK, gehört einem Oligarchen, Rinat Achmetow. Und mit Oligarchen, das wurde mir schnell klar, will sich niemand anlegen. Gegen diese zu kämpfen, so wurde mir immer wieder zu verstehen gegeben, sei doch nicht möglich. Doch dann kam uns Umweltschützern der Umstand zu Hilfe, dass die Ukraine europäische Rechtsvorschriften umzusetzen begann. Und so konnte ich mit einigen MitstreiterInnen eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchsetzen. Im Ergebnis hat sich das Kraftwerk verpflichtet, die Emissionen zu senken.

Wie hat sich Ihre Arbeit während des Krieges verändert?

Seit Kriegsbeginn sind viele der bisher offen zugänglichen umweltrelevanten Daten unter Verschluss. Das steht im Widerspruch zu Artikel 50 der ukrainischen Verfassung und auch der Aarhus-Konvention. Wir sind gegen diese Vorgehensweise. Und so sind wir eben beim Sammeln und Auswerten umweltrelevanter Daten ganz auf uns selbst angewiesen. Diese Daten sind wichtig für unsere Sicherheit im Krieg, helfen sie doch BürgerInnen und Entscheidungsträgern, bei einer Verschlechterung der Umweltsituation, zum Beispiel einer erhöhten Radioaktivität, rechtzeitig Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Deswegen stellen wir unsere Daten auch dem Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat und dem Umweltministerium zur Verfügung.

Ihre Gruppe SaveEcoDnipro ist landesweit vor allem durch den sogenannten SaveEcoBot – eine Art Warn-App für Umweltverschmutzung – bekannt geworden. Wie genau funktioniert das?

Wir haben einen Bot programmiert, in den zahlreiche aktuelle umweltrelevante Daten eingespeist werden. Die Ergebnisse werten wir aus.

Vorsitzende der Organisation Save­Dnipro, ist seit 2015 in der ukrainischen Umweltbewegung aktiv. Zuvor war sie im Bankensektor tätig. Sie lebt in Dnipro.

Was macht dieser SaveEcoBot im Krieg?

Gerade jetzt im Krieg hat sich bewährt, dass wir ein eigenes Überwachungssystem haben. Als die Russen am 24. Februar 2022 in die Sperrzone von Tschernobyl eingedrungen waren, hatte nur unser System funktioniert. Wir haben an einigen Stellen in der Zone von Tschernobyl damals die Überschreitung der radioaktiven Strahlungsgrenzwerte um das 30-Fache registriert.

Wie ist die Situation gerade jetzt beim AKW Saporischschja?

Ich glaube, unsere Nachbarn, wie beispielsweise Polen und Ungarn, haben noch nicht das Ausmaß der Bedrohung einer dort möglichen nuklearen Katastrophe begriffen. Das AKW Saporischschja entnimmt das für die Kühlung der abgebrannten Brennelemente, die auf dem Gebiet des AKW Saporischschja lagern, notwendige Wasser aus dem Stausee vor dem Staudamm Kachowka. Wenn dieser durch Beschuss beschädigt würde, könnte der Wasserpegel in dem Stausee sinken. Und dann ist nicht mehr ausreichend Wasser für die Kühlung vorhanden. Gekühlt werden müssen nicht nur die abgebrannten Brennstäbe, sondern auch die Reaktoren.

Jetzt ist die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) zum Schutz des AKWs Saporischschja in Aktion getreten. Was halten Sie davon?

Meiner Auffassung nach sollte Russland aus den Leitungsgremien der IAEO ausgeschlossen werden. Dort entscheidet Russland im Gouverneursrat mit, blockiert Dinge. Russland ist also dabei, wenn es um die Agenda für nukleare Sicherheit in Europa geht. Bekanntermaßen ist der Stellvertreter von Herrn Grossi (Generaldirektor der IAEO; d. Red.) ein Russe. Und es gibt weitere 50 Verantwortliche, die einen russischen Pass haben.

Was sollte sich ändern?

Rosatom (russischer Atomkonzern; d. Red.) genießt weiterhin alle Privilegien eines IAEO-Mitglieds. Wir haben also eine Situation, in der ein Mitgliedsland der IAEO ein anderes bedroht und die IAEO ergreift unter Berufung auf ihre Satzung keine effektiven Maßnahmen. Wir glauben, dass das Statut der IAEO für derartige Fälle überarbeitet werden sollte. Es müssen Mechanismen erarbeitet werden, die in solchen Fällen automatisch greifen: Dann müssen automatisch entsprechende Kommissionen eingerichtet, entmilitarisierte Zonen geschaffen, muss die UNO eingeschaltet werden. Doch all das gibt es nicht. Und nun hat auch noch die letzte Generalversammlung der IAEO Russland eine Mitgliedschaft für ein weiteres Jahr im Leitungsgremium der IAEO ermöglicht.

Mit welchen Konsequenzen?

So kann Russland in Ruhe seine nukleare Agenda auf dem europäischen Kontinent vorantreiben. Europa muss verstehen, dass die Bedrohung der nuklearen Sicherheit der Ukraine nicht nur die Ukraine betreffen.

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