Pfandleihe in der Inflationskrise: „Zu viel Krise ist nicht gut“

Pfandleiher Stephan Goebel sagt, die Krise sei zu spüren. Er bekommt neue Kund:innen, aber mehr Geld verdient er nicht. Andere lösen ihr Pfand aus.

Eine Hand reicht einer anderen eine Uhr über die Theke

Pfandleihen sind für viele Überbrückungshilfen für kurzfristige Schwierigkeiten

BERLIN taz | „Fragen Sie mich noch mal in ein paar Monaten“ – das sagte Pfandleiher Stephan Goebel, als ihn die taz vor rund einem halben Jahr nach den Auswirkungen von Inflation und Energiekrise auf sein Geschäft fragte. Jetzt ist die Krise im Pfandleihgewerbe angekommen, sagt Goebel, als sich die taz Ende des Jahres 2022 erneut bei ihm erkundigt. Goebel muss es wissen. Er ist nicht nur Betreiber von gleich drei Leihhäusern in Berlin, sondern auch Vorsitzender der Vereinigung Privater Pfandkreditverleiher.

„Der Pfandkredit ist für alle, die schnell und unkompliziert Geld brauchen“, sagt er. Anders als bei einer Bank muss man vor einem Pfandleiher nicht mehr vorweisen können als etwas zu Verpfändendes und einen gültigen Ausweis. „Alles, was von Wert ist und sich in die Hand nehmen lässt, nehme ich an“, sagt Goebel. Meist handelt es sich um Schmuck und elektronische Geräte, aber auch edle Schreibgeräte, teure Handtaschen und Markenartikel kommen infrage.

Werden diese Sachen nun angesichts der hohen Inflation und Energiekosten vermehrt in seine Läden getragen? – „Nein, aber in den letzten Monaten haben wir einen Zuwachs an Neukunden verzeichnet“, berichtet Goebel. „Also Leute, die vorher noch nie ein Leihhaus betreten haben.“

Goebel wertet das als ein Zeichen der derzeitigen Krisensituation, sie führe dazu, dass nun auch Menschen knapp bei Kasse sind, die vorher noch ganz gut klarkamen. „Die machen sich jetzt Gedanken, was kann ich zu Geld machen“, sagt er. „Da ist dann zum Beispiel meine goldene Kette oder eine Uhr von Oma, die jahrelang in der Schublade liegt. Die hat natürlich einen ideellen Wert, aber die brauche ich zum täglichen Leben nicht.“

taz-Serie Die meisten Geschichten enden nicht einfach, nachdem in der taz darüber ein Text erschienen ist. Deshalb fragen und haken wir bei ProtagonistInnen noch einmal nach: In unserer Serie „Was macht eigentlich?“ rund um den Jahreswechsel 2022/23 erzählen wir einige Geschichten weiter. Alle Texte sind online auf taz.de/berlin nachzulesen. (taz)

Wird etwas nicht eingelöst, droht Versteigerung

Der neuen Kundschaft müssen Goebel und seine Mit­ar­bei­te­r:in­nen erst einmal erklären, wie so ein Pfandkredit überhaupt funktioniert. Zum Beispiel, dass man das Geld zunächst für drei Monate geliehen bekommt, zu einem vom Gesetzgeber festgelegten Zinssatz von einem Prozent, zu dem je nach Höhe des Leihbetrages ein festgesetzter Satz an Gebühren kommt. Ein Darlehen zwischen 51 und 100 Euro kostet so etwa 2,50 Euro im Monat Gebühr plus Zinsen. Das ist im Vergleich oft günstiger als die Kosten vieler Dispokredite.

Auf die Dauer ist ein Pfandkredit aber sehr teuer. Hier hat der Gesetzgeber Vorsorge getroffen. Denn der Pfandleihvertrag kann maximal zweimal verlängert werden. Nach zehn Monaten ist Schluss.

Wird das Pfand nicht eingelöst, dann wird es versteigert. Der Erlös geht an die Kun­d:in­nen oder, falls diese nicht auffindbar sind, an die Kommune. Goebel bekommt davon nur das, was ihm zusteht, also die Zinsen und Gebühren sowie die Aufwendungen für die Auktion.

Um große Summen geht es im Pfandleihgeschäft meistens nicht, daran ändert sich auch in diesen Krisenzeiten nichts. Goebels Kunden leihen sich vor allem Kleinbeträge, in der Neuköllner Filiale sind das häufig sogar nur zehn oder zwanzig Euro. Es sind „Liquiditätsbrücken“, mit denen ein unerwartet auftretendes Loch gestopft oder noch etwas auf dem Tisch gebracht werden soll, wenn Rente, Arbeitslosenhilfe oder Niedriglohn nicht bis zum Monatsende reichen.

Die beruhigende Wirkung von Gold

Die Möglichkeit eines schnellen, unbürokratischen Pfandkredits wirkt für viele von Goebels Kun­d:in­nen wie ein Rettungsanker. Ihren Dank dafür drücken sie zum Ende des Jahres mit Schokoladennikoläusen, Duftkerzen und ähnlichen Weihnachtsgaben aus.

Ist die Not derzeit so gestiegen, dass die Kunden schon früher im Monat kommen, weil sich das Geld durch die erhöhten Preise schneller erschöpft? „Nein, bisher läuft das Geschäft wie gewöhnlich“, antwortet Goebel. „Es ist auch nicht so, dass ich mehr Geld ausleihe als sonst.“ Den zahlreichen Neukunden stünde entgegen, dass viele seiner Stammkunden nun kommen würden, um ihr Pfand auszulösen.

„Das ist immer in Krisenzeiten so. Gold, Silber und Schmuck haben einen psychologischen Effekt“, weiß Goebel. Wertgegenstände bei sich zu haben, wirke beruhigend. Seine Erfahrung ist: „Je schlimmer die Zeiten, desto stärker kommen die Menschen, ihre Sachen einzulösen.“

Während der Coronapandemie hatte sich diese Tendenz schon einmal gezeigt, berichtet der Pfandleiher, da habe es Kol­le­g:in­nen gegeben, die über 30 Prozent ihres Kapitals zurückerhalten hätten. Für einen Pfandleiher stelle das ein großes Problem dar. „Unser Geld muss bei den Kunden sein“, sagt er. „Wir müssen möglichst viel ausleihen, um Zinsen und Gebühren zu generieren. Denn davon leben wir.“

Pfandleihe In Berlin gibt es 18 Pfandleihhäuser. Man findet sie dort, wo viele Leute leben, die auf sie angewiesen sind – Renter:innen, Arbeitslose, Stu­den­t:in­nen und Ge­ring­ver­die­ne­r:in­nen gehören zur Hauptklientel. Die meisten Leihhäuser gibt es in Neukölln. Wegen der großen Konkurrenz kann man dort für Beträge über 301 Euro die besseren Konditionen finden. Unter dieser Darlehenshöhe sind die Gebühren gesetzlich festgeschrieben.

Die taz-Anekdote Im ersten taz-Bericht über das Pfandleihhaus aus dem Juni 2022 war auch von Goebels Kun­d:in­nen die Rede. Einer von ihnen ist Ivan D., der nicht nur mit dem Niedriglohn eines Sicherheitsbeamten auskommen muss, sondern auch mit den hohen Haltungskosten seiner beiden Hunde kämpft, auf die er als Hundeführer angewiesen ist. Eine taz-Leserin meldete sich daraufhin mit dem Angebot, die Hunde finanziell zu unterstützen. Seither überweist sie Ivan D. monatlich 50 Euro auf sein Konto. „In meinem Leben als freischaffende Keramikerin habe ich die meiste Zeit recht prekär verbracht“, schreibt die Spenderin der taz. „Ich weiß daher, wie es ist, wenn die Kohle immer zu knapp ist.“ (keh)

Pfandleiher – Krisengewinner?

Und das Leben ist auch für die Pfandleiher nicht billiger geworden, auch für sie steigen die Kosten an allen Ecken und Enden. Dies über höhere Zinsen und Gebühren abzufedern, ist keine Option, diese sind gesetzlich vorgegeben. Erst ab einem Betrag von 301 Euro können Pfandleiher Gebühren selbst festlegen, in Berlin kommen hohe Leihbeträge aber eher selten vor. Trotzdem, „an der Pfandleihverordnung wollen wir nicht rütteln“, sagt Goebel. „Aber natürlich muss ich sehen, dass ich mehr Geld ausleihe, um die gestiegenen Kosten decken zu können.“

Goebel hofft auf das nächste Jahr. Er rechnet damit, dass sich spätestens im Sommer die ersten Schlangen vor seinen Geschäften bilden werden: „Wenn die Leute ihre Energiekostenabrechnung bekommen.“

Gehören die Pfandleiher damit also am Ende zu den Gewinnern der Krise? „Für uns ist die Krise nur so lange gut, solange sie nicht zu stark ist“, sagt Goebel. „Denn wenn die Leute nicht imstande sind, ihr Pfand am Ende der Laufzeit wieder abzuholen, dann ist das für uns gar nicht gut.“ Für gewöhnlich ist das nur bei rund 5 Prozent der Pfandkredite der Fall.

Zwar werden die nicht eingelösten Pfänder zur Versteigerung gebracht, und es sei auch positiv, dass der Goldpreis bisher nicht gefallen sei. Aber wenn er das Zeug bei der Auktion nicht loskriege, nütze ihm das auch nichts. „Das ist das unternehmerische Risiko eines jeden Pfandleihers, bei fünf Prozent Verfallquote ist das auch zu vertreten“, sagt er. „Wenn das viel mehr wird, wird das zu einem Problem.“

Traditionsreiches Geschäft

Trotz anhaltender Krise ist die Prognose des Pfandleihers für 2023 nicht besonders rosig. Neben einem weiteren Anstieg an Neukundschaft erwartet Goebel eine Zunahme an Kund:innen, die finanziell nicht in der Lage sein werden, Omas Armbanduhr oder den eigenen Ehering zurückzuholen.

Die einzige Schraube, an der Goebel in dieser Situation drehen könne, sei der Auszahlbetrag: „Für einen neuwertigen Artikel geben wir normalerweise etwa ein Drittel des Kaufpreises“, sagt er. „Diese Quote kann ich reduzieren, indem ich etwa nur noch zehn Prozent gebe. Damit beschneide ich zwar meinen Gewinn – weniger Kredit gibt ja weniger Prozente –, minimiere aber mein Risiko.“ Das auszutarieren sei die Kunst des Leihgeschäfts.

Und die beherrscht Herr Goebel, der das Geschäft schon seit 38 Jahren und in vierter Generation betreibt, wie er mit sichtlichem Stolz betont. „Meine Urgroßeltern Max und Malvine Goebel hatten eigentlich eine Gastwirtschaft“, erzählt er. Die Gäste seien oft nicht flüssig gewesen, „oft bezahlten die mit Silberbesteck oder Opas goldener Uhr. Da kam mein Urgroßvater auf die Idee, ein Pfandleihhaus zu öffnen, unsere erste Filiale war in der Müllerstraße, im Wedding.“

Seither sind mehr als 120 Jahre vergangen. „Wir haben in der Zeit zwei Weltkriege, vier Währungen und diverse Inflationen erlebt, uns schockt nichts so schnell“, sagt Goebel, der sich zugleich als Realist und Optimist beschreibt. „Wichtig ist, dass sich die Weltwirtschaftslage bald beruhigt. In dem ganzen Gefüge sind wir ja nur ein Sandkrümel.“

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