Gerichtsverfahren gegen RussInnen: Drohnen über Norwegen

Weil mehrere RussInnen mit Drohnen in Norwegen filmten, hat die Staatsanwaltschaft gegen sie ermittelt. Aber die Gerichte urteilten unterschiedlich.

Eine Person vor Mikrofonen bei einer Pressekonferenz

Andreij Jakunin bei einer Pressekonferenz in Oslo nach seinem Freispruch Foto: Annika Byrde/NTB/reuters

STOCKHOLM taz | Andreij Jakunin liebt Spitzbergen. Ausweislich seines Blogs war er mit seiner extra für Reisen in polare Gewässer verstärkten Segeljacht namens Firebird schon mehrfach dort. Die arktische Inselgruppe gehört zu Norwegen, und als Jakunin im Oktober von einer solchen Tour zurückkehrte, verhaftete ihn die Polizei im nordnorwegischen Hammerfest. Der Grund: Er habe Foto- und Filmaufnahmen vor der einzigartigen Küste Spitzbergens auch mithilfe von Drohnen gemacht.

Solche Drohnenaufnahmen darf in Norwegen eigentlich jedermann machen – außer es handelt sich um besonders geschützte, sicherheitsrelevante Objekte. Lediglich russische StaatsbürgerInnen dürfen seit dem 28. Februar 2022 grundsätzlich gar keine Drohnen mehr nutzen.

Nur vier Tage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine trat in Norwegen die Neufassung der „Verordnung über restriktive Maßnahmen in Bezug auf Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität, Unabhängigkeit und Stabilität der Ukraine untergraben oder bedrohen“ in Kraft. Ursprünglich war sie 2014 anlässlich der russischen Okkupation der Krim erlassenen worden.

Mitten in diesem unübersichtlichen Verordnungsmonstrum mit mehr als 75.000 Worten verbietet eine Vorschrift „Luftfahrzeugen“ über norwegisches Territorium zu fliegen oder dort zu landen, wenn sie „von russischen juristischen oder natürlichen Personen kontrolliert werden“. In mindestens sieben Fällen ermittelt die norwegische Staatsanwaltschaft nun wegen verbotenen Drohnenflugs gegen russische StaatsbürgerInnen.

Anwalt spricht von starkem Urteil

In den vergangenen Wochen gab es zwei Verurteilungen zu Haftstrafen von drei beziehungsweise vier Monaten. Das Verfahren gegen Jakunin war das dritte, über das Gerichte urteilten. Er ist der Sohn von Wladmir Jakunin, einem ehemaligen Chef der russischen Eisenbahn, dem auch ein freundschaftliches Verhältnis zu Präsident Putin nachgesagt wird.

Sein 47-jähriger Sohn beteuerte schon bei der Verhaftung, er wisse nichts von diesem Verbot. Dabei habe er sich sogar extra auf der Internetseite „Sysselmesteren“, des Repräsentanten der norwegischen Regierung und Polizeichefs von Spitzbergen, rückversichert: Dort habe es keine Informationen zu Beschränkungen für das Fotografieren und Filmen in der Natur gegeben. Doch seine Unwissenheit half ihm nicht. Er kam für sechs Wochen in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft erhob Anklage.

Am Dienstag vergangener Woche hatte der Prozess gegen ihn vor dem Amtsgericht in Tromsø begonnen. Am Mittwoch dann das Urteil: Freispruch.

Das Gericht war sich einig und übernahm in seiner Begründung im Wesentlichen die Argumentation von Jakunins Verteidiger John Christian Elden: In ganz Europa habe niemand außer der norwegischen Justiz bei dieser Vorschrift zu „Luftfahrzeugen“ an einfache Drohnen für Foto- und Filmaufnahmen gedacht, welche jedermann genehmigungsfrei kaufen und betreiben könne.

„Zusammenfassend stellt das Gericht fest, dass die EU-Sanktionen gegen den Luftverkehr neben der allgemeinen Luftfahrt mit bemannten Luftfahrzeugen zwar auch Drohnen/unbemannte Luftfahrzeuge betreffen, die zu registrieren sind und unter die anderen Luftverkehrsregeln fallen. Kleine Drohnen, wie in unserem Fall, fallen nicht unter die Sanktionsregelungen.“

Während Anwalt Elden von einem „starken und klaren Urteil“ sprach, „dass die Staatsanwaltschaft EU-Recht missverstanden hat“ und von einem „Sieg des gesunden Menschenverstands, dass nicht zivile Touristen unter Putins Verletzung des Völkerrechts leiden sollen“, kündigte Staatsanwältin Kristin Røhne umgehend Berufung an. Ihre Begründung: Im Interesse der Rechtssicherheit müsse es Klarheit geben, wie die fragliche Sanktionsvorschrift auszulegen sei. Nach Røhnes Worten brauche es ein höchstrichterliches Grundsatzurteil, denn schließlich hätten andere norwegische Gerichte in vergleichbaren Fällen entgegengesetzt entschieden.

Haftstrafen nach Drohnenflügen

Vor zwei Wochen verurteilte ein Gericht im westnorwegischen Bergen einen 34-jährigen russischen Geschäftsmann, der ein Reisebüro betreibt, zu 90 Tagen Haft. Er hatte unter anderem auf dem Felsplateau des Preikestolen, einer der bekanntesten norwegischen Touristenattraktionen, Drohnenaufnahmen gemacht.

Einem Polizeibeamten war das russische Nummernschild seines PKW aufgefallen, er bat seine Aufnahmen sehen zu können und versicherte ihm ausdrücklich, es sei ihm erlaubt, solche Naturaufnahmen zu machen. Staatsanwaltschaft und Gericht sahen das anders.

Und in der vergangenen Woche war Vitalij Rustanovitsj, in dessen PKW bei einer Routinekontrolle an der norwegisch-russischen Grenzstation Storskog Drohnen gefunden worden waren, vom Amtsgericht Oslo zu 120 Tagen Haft verurteilt worden. Nicht wegen der Drohnen, die auch russische StaatsbürgerInnen frei nach Norwegen einführen können, sondern wegen Drohnenaufnahmen auf Speicherkarten.

Dabei bestätigten die Aufnahmen, was der 50-Jährige angab: Eine Ferienhausvermittlung hatte ihn beauftragt, ihre Mietobjekte aus der Luft für ihre Werbung zu filmen und zu fotografieren. Seine Verurteilung sei ausschließlich politisch motiviert, beschwerte sich das Außenministerium in Moskau beim norwegischen Botschafter über eine „Strafverfolgung russischer Staatsbürger allein aufgrund ihrer Nationalität.“

Tatsächlich war es bisher nicht nur dem norwegischen Recht fremd, dass eine Handlung nur für InhaberInnen eines bestimmten Passes strafbar ist. Viele JuristInnen bezeichnen eine solche Kategorisierung als äußerst problematisch.

Konsequent oder gar nicht

Fraglich ist auch, was bei doppelter Staatsbürgerschaft gelten soll. Jakunin war schon 2008 nach London gezogen und hat neben dem russischen seit 2015 einen britischen Pass, Rustanovitsj einen israelischen.

So einfach wie Staatsanwältin Røhne im Jakunin-Prozess argumentierte, „der norwegische Staat bestimmt, welche Nationalität jemand hat“, dürfte es nicht sein. Was gilt dann für die mehreren Tausend russischen Familien, die teilweise schon seit Jahren in Norwegen leben und meist neben ihrem norwegischen auch noch einen russischen Pass haben?

In Jakunins Fall hat dessen britischer Anwalt Antony Brown bereits angekündigt, er werde im Fall einer letztinstanzlichen Verurteilung in Norwegen den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen. Norwegen würde damit nämlich einen britischen Staatsbürger rechtswidrig diskriminieren, nur weil er einen zweiten Pass habe.

Es mehren sich Stimmen, die fordern, entweder müsse die Vorschrift zum Drohnenverbot überarbeitet werden oder Norwegen müsse konsequent sein. Wenn Oslo ernsthaft meine, alle russischen Staatsangehörigen stellten grundsätzlich eine Sicherheitsgefahr für das Land dar, müsse es ihnen eben die Einreise verbieten. Doch diese radikale Lösung will die norwegische Regierung nicht.

Auf das Geld, das russische Geschäftsleute und TouristInnen ins Land bringen, möchte der skandinavische Staat offenbar ungern verzichten. Seit Finnland Restriktionen gegen russische TouristInnen erließ, ist die norwegische Grenzstation Storskog die letzte, über die RussInnen auf dem Landweg in ein Schengen-Land einreisen können. Rund 7.000 RussInnen nehmen den Weg derzeit durchschnittlich pro Monat.

Doch Norwegen ist vorsichtig: Derzeit läuft noch ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen einen Mann mit brasilianischem Pass. Norwegens Verfassungsschutz wirft ihm vor, für den russischen Militärgeheimdienst GRU zu spionieren. Echte Spione würde die Regierung in Moskau wohl eher nicht mit einem russischen Pass ausstatten. Und um Drohnen ging es bei ihm auch nicht. Russische Aufklärungssatelliten können das vermutlich sowieso besser.

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