Mietenwahnsinn in Berlin: Schub für die Enteignungsdebatte

Das Land kann ein Enteignungsgesetz beschließen, sagt ein Papier der Expert*innenkommission. Die Initiative fordert „unverzüglich einen Fahrplan“.

Ein Mensch mit einem Plakat der Initiative auf seinem Rücken

Viele Ber­li­ne­r*in­nen hoffen auch dank Enteignung auf finanzierbare Mieten Foto: imago

BERLIN taz | Das Land Berlin darf Grundstücke im Besitz großer Immobilienfirmen vergesellschaften: Zu dieser Schlussfolgerung kommt die vom rot-grün-roten Senat eingesetzte Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on laut dem Entwurf eines Zwischenberichts, der am Freitag bekannt wurde und der taz vorliegt. Damit wäre eine wesentliche rechtliche Grundlage für die Umsetzung des Volksentscheids Deutsche Wohnen und Co. enteignen gegeben, für den im September 2021 gut 59 Prozent der Ber­li­ne­r*in­nen votiert hatten.

Laut Grundgesetz falle die Vergesellschaftung von Grund und Boden zwar unter die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung. Da der Bund davon aber bisher keinen Gebrauch gemacht habe, könne das Land Berlin eine Vergesellschaftung von Grundstücken selbst regeln, heißt es in dem Papier.

„Die Kommission hat bestätigt, was für mehr als eine Million Menschen vergangenes Jahr schon klar war: Berlin kann enteignen!“, erklärte Isabella Rogner, Sprecherin der Initiative Deutsche Wohnen und Co. enteignen (DWE). Berlin könne nun „Geschichte schreiben“. Die Initiative, die den Volksentscheid 2021 angestoßen hatte, fordert vom Senat, jetzt „unverzüglich einen Fahrplan für die Vergesellschaftung“ vorzulegen.

Laut der Expertenkommission handelt es sich bei dem bekannt gewordenen Papier jedoch lediglich um „Auszüge eines Vorentwurfs zu dem Zwischenbericht, der zurzeit beraten wird“ und der am kommenden Donnerstag offiziell vorgestellt werden soll. Daraus Schlussfolgerungen auf das endgültige Beratungsergebnis zu ziehen, das für April erwartet wird, sei nicht möglich, hieß es in einer am Freitagmittag veröffentlichten Mitteilung.

SPD, Grüne und Linke hatten sich auf die Einsetzung des Gre­mi­ums geeinigt, auch weil sie unterschiedliche Haltungen zum Volksentscheid hatten und haben

Tendenzen lassen sich aber ablesen, und sie entsprechen den jüngsten Entwicklungen. So hat die Kommission in einer zweiten wichtigen Frage – der Höhe der Entschädigung – zwar laut dem Papier bisher keine gemeinsame Position gefunden. Allerdings tendiert man offenbar dazu, dass die entsprechenden Kosten für das Land eher unter dem Marktwert der Immobilien liegen würden, sprich: dem Land deutlich billiger kämen als bisher gedacht. In seiner Schätzung 2021 war der Senat noch von gut 30 Milliarden Euro Kosten für das Land ausgegangen.

Begründen ließe sich eine niedrigere Entschädigung zum Beispiel in dem Fall, so der Entwurf, dass „der Wert des Gegenstands nicht oder nur eingeschränkt auf eigener Leistung des Betroffenen beruht, sondern zumindest teilweise aus Spekulationsgewinnen resultiert“.

Damit greift zumindest ein Teil der Ex­per­t*in­nen ein von Un­ter­stüt­ze­r*in­nen der Vergesellschaftung immer wieder genanntes Argument auf: dass der Immobilienmarkt vor allem an Wertsteigerungen und den Interessen der Ak­tio­nä­r*in­nen interessiert sei und, nicht aber an den Belangen der Bevölkerung, obwohl diese ein von der Berliner Verfassung garantiertes „Recht auf angemessenen Wohnraum“ habe.

„Wir können uns die Enteignung auch leisten, das steht fest“, erklärte DWE-Sprecherin Rogner. Die vom Senat bisher genannte, „völlig aufgeblasene Entschädigungshöhe“ sei von der Kommission zurückgewiesen worden.

Bereits am Mittwoch hatte Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) auf einer Diskussionsveranstaltung erklärt, dass die Vergesellschaftung von Wohnraum möglicherweise „haushaltsneutral und Schuldenbremsen-konform“ durchzuführen sei. Wesener sprach sich dafür aus, die Entschädigungssumme nicht auf der Grundlage des spekulativen Marktwertes zu berechnen, sondern nach dem Ertragswert zu gehen. Die alte Berechnung des Senats sei „nicht mehr up to date“.

Die Kommission war mit viel Skepsis bedacht worden

Die am Freitag öffentlich gewordenen Positionen der Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on überraschten viele Beobachter*innen. Denn insbesondere aus den Reihen der Initiative DWE war sie vor allem mit Skepsis begrüßt worden. Vor allem die Auswahl der 13 Mitglieder, zumeist hochrangige Jurist*innen, die unter Leitung der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) klären sollen, was in Sachen Enteignung rechtlich möglich ist, wurde als Versuch der SPD gesehen, das Thema auf die lange Bank zu schieben.

Am 26. September 2021 hatten bei einem Volksentscheid gut 59 Prozent der abstimmenden Ber­li­ne­r*in­nen für die Enteignung jener Immobilieneigentümer gestimmt, denen mehr als 3.000 Wohnungen in der Stadt gehören. Hintergrund waren vor allem die seit gut einem Jahrzehnt dramatisch steigenden Mieten bei fehlendem Angebot. Der Entscheid war jedoch nicht verpflichtend, weil kein Gesetzentwurf vorgelegt wurde; andererseits war sein Ergebnis so eindeutlig, dass er anders als die Wahlen zum Abgeordnetenhaus von 2021 nicht im kommenden Februar wiederholt werden muss.

SPD, Grüne und Linke hatten sich in ihren Koalitionsverhandlungen nach langen Auseinandersetzungen auf die Einsetzung des Ex­per­t*in­nen­gre­mi­ums geeinigt, auch weil sie unterschiedliche Haltungen zum Volksentscheid hatten und haben: Wärend die Linke diesen voll und ganz unterstützt, lehnen die SPD-Parteichefs Franziska Giffey und Raed Saleh eine Umsetzung ab. Die Grünen konnten sich nicht zu einer klaren Position durchringen.

Die Skepsis gegenüber der Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on ist noch nicht passé, erklärte DWE-Sprecherin Rogner auf Nachfrage. Zwar sei „an vielen Stellen nun klar, dass bestimmte Hürden, die ins Feld geführt wurden, nicht existieren“. Andererseits zeige der Entwurf, dass einige Punkte weiterhin umstritten und offen sind. Zudem seien viele Fragen noch gar nicht thematisiert worden, vor allem wie die Enteignung konkret umgesetzt werde, sprich: verwaltungsrechtlich zu organisieren sei.

Derzeit ist geplant, eine Anstalt des öffentlichen Rechts zu gründen, die die Bestände – mehr als 250.000 Wohnungen – verwalten soll. Fraglich ist weiterhin zum Beispiel, welche Grundstücke zu welchem Stichtag wie erfasst werden müssen und können.

Linke will schnell ein Gesetz

Positiv auf das Papier der Kommission reagierte Katina Schubert, die Landeschefin der Linkspartei: „Wir freuen uns auf die Ergebnisse der Kommission und erwarten, dass der Senat auf dieser Grundlage schnell ein Vergesellschaftungsgesetz erarbeitet.“ Man wolle alle Möglichkeiten nutzen, um die Menschen in Berlin vor steigenden Mieten zu schützen. „Dafür werden wir weiter Druck machen, die Wiederholungswahl wird auch eine Mietenwahl.“

Tatsächlich könnte das Thema Enteignung und Mieten der Berliner Linkspartei, die in Umfragen bei 11 bis 13 Prozent und damit klar hinter den Koalitionspartnern Grüne und SPD gesehen wird, einen Schub im Wahlkampf verleihen. 2021 war Mietenpolitik ein zentrales Thema gewesen; zuletzt hatte es durch die Auslagerung der Arbeit in die Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on und die Folgen des Ukrainekriegs an Präsenz verloren. Dabei hat vor allem die Ampel im Bund mietenpolitisch bisher nichts vorgelegt.

Auf einer öffentlichen Anhörung der Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on am Freitag verdeutlichte Wohnungsexperte Andrej Holm von der Humboldt-Universität die Möglichkeiten, die eine Vergesellschaftung böte. Nach seinen Berechnungen wäre damit ein „Stopp der Eskalation der Mietpreise“ in Berlin möglich, je nach Modell könnten die Mieten pro Quadratmeter um bis zu 2,50 Euro niedriger ausfallen. Zudem würden deutlich mehr Sozialwohnungen entstehen. „Die Vergesellschaftung ist ein sicherer Beitrag zur Sicherung der sozialen Wohnungsversorgung“, so Holm.

Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wies im rbb-Inforadio hingegen darauf hin, dass es sich um einen Zwischen- und nicht um einen Abschlussbericht handele und noch vieles ungeklärt sei.

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