Gespräch über Filmen mit Eseln: „Das Tier möchte etwas ausdrücken“

Der Regisseur Jerzy Skolimowski hat mit „EO“ einen Eselfilm nach klassischem Vorbild gedreht. Er spricht über das Drehen mit Tieren und große Augen.

Ein Esel schaut in die Kamera

Einer der Esel in Skolimowskis Film „EO“ Foto: Rapid Eye Movies

wochentaz: Herr Skolimowski, „EO“, lautmalerisch für den Eselsruf „Iah“, ist eine Neuinterpretation des Eselfilms „Au hazard Balthasar“ von Robert Bresson aus dem Jahr 1966. Was fasziniert Sie an Eseln?

Jerzy Skolimowski: Dazu muss ich von Robert Bresson erzählen, denn das war ein wichtiger Moment in meiner sogenannten Karriere: Im Jahr 1966 drehte ich – nach dem sehr naiven, ehrlichen und autobiografischen Herumtreiberfilm „Rysopis“ von 1965 meinen zweiten Film „Walkover“. Ich war, wie junge Menschen bis heute sind, jung und verloren und kam gerade von der Filmschule. Zu meiner Überraschung rief mich im Dezember der Chefredakteur des einflussreichen Pariser Filmmagazins Cahiers du Cinéma an und wollte ein Interview für eine ­Magazin-Liste der „zehn besten Filme des Jahres“. „Walkover“ war auf Platz zwei gelandet! Natürlich fragte ich, wer auf Platz eins war: „Au hazard Balthasar“.

Aber Sie kannten Bressons Film damals nicht?

Nein, doch ich schaute ihn sofort an. Und ich liebe ihn, bis heute, er ist ein Meisterwerk. Neben meiner großen Bewunderung schockierte es mich, dass Bressons Esel am Ende des Films stirbt, in dieser wunderschönen Szene mit den Schafen – ich hatte Tränen in den Augen. Das ist mir vorher oder danach nie mehr passiert. Damals wie heute schaue ich Filme mit einem professionellen, vielleicht zynischen Blick – ich gucke eher auf die Machart, als dass ich mich emotional einlasse. Aber Bresson schaffte es, mich zu einem ganz normalen, weinenden Zuschauer zu reduzieren. Ich habe daraus gelernt: Ein Tiercharakter kann ein Filmpublikum stärker bewegen als jede Performance des brillantesten menschlichen Schauspielers.

„EO“. Regie: Jerzy Skolimowski. Mit Sandra Drzymalska, Lorenzo Zurzolo u. a. Polen/Italien 2022, 86 Min.

Woran liegt das?

Ich glaube, man fühlt bei Schauspielern irgendwo ganz hinten im Unbewussten immer, dass man eine Performance anschaut, zum Beispiel auch bei der Darstellung des Sterbens. Schauspielern bedeutet täuschen. Man weiß, dass der Regisseur irgendwann „Cut“ ruft und die tote Figur dann aufspringt und Kaffee trinken geht oder sich einen Drink holt. Bei Tieren ist es anders: Sie wissen nicht, dass sie spielen, sie „sind“ einfach. Das war mir klar, als ich mich entschied, ein Remake von Bressons Film zu machen. Ich wusste, egal was der Esel machen sollte, er würde es als Realität begreifen.

„EO“ hat etwas Märchenhaftes. Die Abenteuer des Esels, die netten und bösen Menschen auf seinem Weg haben mich dramaturgisch an Grimms Märchen erinnert, etwa an „Hans im Glück“: viele kleine Spannungsbögen anstatt eines großen.

Ja, das stimmt, da gibt es etwas Märchenhaftes, ich sehe auch etwas Biblisches, vielleicht ein Gleichnis. Wir erzählen eine Geschichte, die einem Esel so hätte passieren können – aber sie wird ein bisschen über die Realität erhoben, sie ist voller Metaphern, versteckter Bedeutungen und Botschaften: die Liebe zur Eselpflegerin und ihre Unzuverlässigkeit, die Szenerie mit Isabelle Huppert im Schloss. Doch die simple Intention dahinter lautet: Ich habe diesen Film aus Liebe zu Tieren und Natur gemacht. Mein Film ist kein politisches Statement, kein Manifest einer Umweltbewegung. Weil ich zu keiner Organisation gehöre. Es ist mein eigener, privater Protest dagegen, dass Menschen Tiere so unfassbar schlecht behandeln. Der Film zeigt trotz der Märchenebene makabre Tatsachen, er zeigt den Horror, den man „industrielle Fleischerzeugung“ nennt. Wir kennen die schrecklichen Details ja – wie sie eingepfercht und zwangsgestopft werden, um so viel Fleisch wie möglich zu produzieren. Das ist kein Leben, das ist eine barbarische Behandlung. Ich hoffe, dass die Botschaft meines Films mehr Menschen erreicht: Wir brauchen wirklich nicht jeden Tag, nicht jede Woche Fleisch zu essen! Die Aufgabe der Menschheit ist es gerade, ihre Haltung zu Tieren zu ändern. Und ihren Fleischkonsum zu reduzieren.

Sind Sie Vegetarier?

Fast. Meine Frau, Co-Drehbuchautorin und Produzentin Ewa Piaskowska und ich haben beim Dreh zu „EO“ geschafft, unseren Fleischkonsum um zwei Drittel zu reduzieren. Wenn ich jetzt Fleisch esse, fühle ich mich ein bisschen schuldig und ersticke fast an den Brocken. Ich hoffe, dass ich es schaffe, mich komplett vegetarisch zu ernähren, vielleicht sogar vegan.

Im letzten Jahr wurden die Tierschutzgesetze in Großbritannien geändert – Tiere schlecht zu behandeln wird jetzt stärker bestraft. Weil man annimmt, dass Wirbeltiere die gleichen Emotionen und den gleichen Schmerz empfinden wie Menschen. Stimmen Sie zu?

Ich beobachte schon lange die Tiere in meinem Haushalt, etwa meine Hunde. Und ich bin sicher, dass sie ein reiches inneres Leben haben. Man sieht zum Beispiel, was Hunde träumen – sie rennen, bellen, zeigen Angst. Also haben sie Träume und Gefühle – wenn man einem Hund in die Augen guckt, hat man oft den Eindruck, dass das Tier etwas ausdrücken möchte. Natürlich ohne Worte, aber durch seine Körpersprache. Also ja, ich stimme zu: Alle Lebewesen sollten ethisch und moralisch gleich behandelt werden und nicht wie Dinge.

Es gibt eine Therapieform mit Pferden, weil Pferde angeblich das Verhalten von Menschen spiegeln – haben Sie das bei der Arbeit an „EO“ auch bei den Eseln gemerkt? Es waren ja mehrere.

Ja, ich habe mir eine bestimmte Arbeitsmethode angewöhnt, ganz simpel: Ich habe versucht, so viel Zeit wie möglich mit dem jeweiligen Esel allein zu verbringen. Nur wir zwei Kreaturen. Immer wenn meine Crew in der Mittagspause war oder umgebaut hat, habe ich mich mit dem Esel beschäftigt, im Stall oder wo er sonst stand. Ich habe ihn gestreichelt und umarmt, ihn angefasst und ihm in zärtlichem Ton Worte zugeflüstert, die er natürlich nicht verstand. Aber ihm war klar, dass meine Stimme freundlich ist, dass ich etwas Nettes ausdrücke, dass ich gern mit ihm zusammen bin. Ich habe den Esel wie ein Haustier behandelt – und konnte so mit ihm etwas schaffen, was ich für mich „Koexistenz“ nennen möchte, die Koexistenz zweier lebender Organismen, zweier Entitäten aus verschiedenen Welten. Wichtig war auch, ihm in die Augen zu schauen.

Die ja bei Eseln sehr groß sind, im Film werden diese großen Eselsaugen oft gezeigt.

Ja, die Augengröße beim Esel ist überproportional im Verhältnis zum Rest seines Körpers. Weil wir uns in die Augen geschaut haben, entstand eine Nähe und eine Kommunikationsform, die das Tier garantiert auch erlebt hat. Ich war beim Dreh immer nah am Tier, damit es sich sicher und geborgen fühlt. Die Arbeit wurde so sehr einfach – es gibt ja dieses Vorurteil des störrischen Esels, und ja, er ist störrisch. Aber das hat immer Gründe, und es ist die Aufgabe des Menschen, diese Gründe zu verstehen. Einmal wollte ein Esel zum Beispiel nicht über ein Stromkabel am Set gehen, weil er gesehen hatte, dass da etwas Fremdes, nur notdürftig Verstecktes auf dem Boden lag. Als ich es wegnahm, machte er wieder mit.

Wenn Sie sich so nahe waren – besuchen Sie den Esel noch?

Ja, ich habe den Hauptesel, Tako heißt er, schon ein paar Mal besucht, und er hat sich wirklich gefreut. Er hat mich auf jeden Fall wiedererkannt, er hat ein gutes Gedächtnis und wusste, dass ich immer eine Möhre dabeihatte. Mit Möhren habe ich ohnehin sehr gute Regieerfahrungen gemacht.

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