Nach Razzia bei Reichsbürgern: Chronik einer unterschätzten Gefahr

Umsturzpläne von Polizisten und Soldaten gibt es schon seit Jahren. Lange haben deutsche Sicherheitsbehörden das nicht ernst genommen.

Bundeswehrsoldaten stehen beieinander

Eine reale Gefahr: Rechtsextreme in der Bundeswehr Foto: Jürgen Schwarz/imago

Vor ziemlich genau vier Jahren wurde der damalige Chef des Militärischen Abschirmdienstes im Bundestag zu rechtsextremen Netzwerken in der Bundeswehr befragt. Der MAD ist der Geheimdienst der Bundeswehr und für extremistische Umtriebe in der Truppe zuständig. In einer öffentlichen Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums sagte MAD-Chef Christof Gramm, dass man bislang keine extremistischen Netzwerke in der Bundeswehr entdeckt habe: „Politisch motivierte Gewaltbereitschaft spielt in der Bundeswehr derzeit keine Rolle.“

Zu diesem Zeitpunkt liefen schon seit über einem Jahr Terrorermittlungen gegen Mitglieder der Nordkreuz-Gruppe, darunter ein Polizist, und gegen den Bundeswehroffizier Franco A. Sie waren zusammen mit anderen Spezialkräften von Bundeswehr und Polizei als Prepper aufgefallen, die sich auf einen „Tag X“ vorbereiteten.

Kopf dieser Prepperchatgruppen war der KSK-Soldat André S. alias Hannibal. Die Männer beschafften sich Waffen, horteten Munition, übten Schießen – und manche legten Feindeslisten an. Die taz und andere Medien hatten darüber auch schon berichtet.

Von dieser verharmlosenden Einschätzung sind die Nachrichtendienst und Sicherheitsbehörden nach und nach abgerückt. Der Verein Uniter, in dem Zivilisten für eine paramilitärische Einheit trainiert wurden, wird inzwischen als rechtsextremer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet, und in einem Anfang 2022 veröffentlichten Lagebericht über Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden widmete der Verfassungsschutz dem Hannibal-Netzwerk schließlich eine ganze Seite.

Staatsfeinde in Uniform hatten es leicht

Das Netzwerk verdeutliche „das besondere Bedrohungspotenzial rechtsextremer Netzwerkstrukturen, die die speziellen Zugänge, Fähigkeiten und Wissensbestände von Behörden koordiniert für Selbstermächtigungsfantasien und gegen die Rechtsordnung zu nutzen versuchten“, heißt es darin.

Der Oberleutnant der Bundeswehr Franco A., der in diesem Netzwerk unterwegs war, wurde im Sommer wegen Rechtsterrors zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.

Das Oberlandesgericht Frankfurt sah es als erwiesen an, dass er Anschläge unter anderem auf Po­li­ti­ke­r:in­nen geplant hat. Seine rechtsextreme Gesinnung wurde im Prozess sehr deutlich, seine Vernetzung wurde aber nur am Rande thematisiert.

Bei den Recherchen rund um das Hannibal-Netzwerk wurden viele Missstände bekannt, die es Staatsfeinden in Uniform sehr leicht machten, ihre Gesinnung auszuleben. So wurden etwa problematische Reservisten der Bundeswehr, die teils nach ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst weiter sehr gute Zugänge zu Waffen und Munition haben, oft übersehen, weil sich der Verfassungsschutz und der militärische Abschirmdienst nicht über sie austauschten. Das hat sich immerhin – das zeigen auch die aktuellen Ermittlungen – inzwischen deutlich verbessert.

Bislang sind keine Verbindungen von der jetzt ausgehobenen Verschwörertruppe zum Hannibal-Netzwerk bekannt. Es ist auch gut möglich, dass es mehrere Netzwerke in Sicherheitsbehörden gibt, die zwar die rechtsextreme Ideologie teilen, aber nicht unbedingt organisatorisch verbunden sind.

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Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Illustration: taz/Infotext-Berlin (Montage)

Hannibals Schattennetzwerk

Hintergründe zum Prozess gegen Franco A.

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