Tierschutz in Niedersachsen: „Können in die Tischkante beißen“

Seit 25 Jahren steht Tierschutz in Niedersachsens Verfassung. Viele Tiere haben nichts davon, kritisiert Dieter Ruhnke vom Landestierschutzverband.

Pressekonferenz der Soko Tierschutz

Aktivisten decken Tierschutz-Skandale in Niedersachsen auf – und Medien berichten regelmäßig darüber Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

taz: Herr Ruhnke, seit nun 25 Jahren ist der Tierschutz in Niedersachsen Staatsziel. Seither geht es den Tieren hier doch prächtig, oder?

Dieter Ruhnke: Legt man den Wortlaut der niedersächsischen Verfassung zugrunde, könnte man das annehmen. Aber Wirklichkeit und Anspruch klaffen weit auseinander.

Dort heißt es in Artikel 6b: „Tiere werden als Lebewesen geachtet und geschützt.“ Papier ist also geduldig?

Genau. Es stellt aber sich die Frage, für welche Tiere in Niedersachsen der verfassungsmäßige Schutz vorgesehen ist.

Dabei ist Niedersachsen doch so stolz darauf, Vorbild gewesen zu sein für die Aufnahme des Tierschutzes in die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland.

Ja, das Staatsziel Tierschutz wurde erst 2002 in Artikel 20a des Grundgesetzes aufgenommen – in Niedersachsen bereits 1997.

Trotzdem jagt ein Tierschutzskandal den nächsten, die Jagd auf Wildtiere wurde ausgeweitet und vereinfacht, in Zoos und privaten Haushalten dämmern Exoten hospitalisiert vor sich hin. Der Ist-Zustand ist alarmierend.

Ein Grund dafür ist, dass der Tierschutz lange Jahre nur ein Nischenthema war. Erst die Arbeit der Tierschutzorganisationen und die mediale Berichterstattung hat ihn in die Mitte der Gesellschaft gebracht. Viele Bürger legen mittlerweile Wert auf eine Verbesserung des Tierschutzes. Die Politik hat die Entwicklung verschlafen.

Was ist weiterhin problematisch, obwohl es Artikel 6b gibt?

Das Festhalten am Alten! So werden weiterhin Beutegreifer wie etwa der Fuchs massiv gejagt. Dabei leisten die alle ihren Beitrag zu einem gesunden Biosystem. Wird eine vermeintliche Gefährdung durch ein Wildtier ausgemacht, gibt es in Niedersachsen offenbar nur eine einzige Lösung: Töten. Aus dem Tierschutzplan Niedersachsen wurde eine Nutztierstrategie, um den Bestand an Nutztieren zu erhalten.

59, ist seit 2015 Vorsitzender des Landestierschutz­verbands Niedersachsen im Deutschen Tierschutzbund. Seit 2012 ist er Mitglied im Tierschutzbeirat des Landes Niedersachsen, seit 2015 Vorsitzender des Verbandes und in dieser Funktion an allen Gremien und Rechtsetzungsverfahren der Landesregierung beteiligt, die das Thema Tierschutz beinhalten.

Aber es hat auch Verbesserungen gegeben?

Im Haustierbereich hat sich einiges getan. Niedersachsen hat ein Hundegesetz, dass die Gefährlichkeit eines Hundes nicht an der Rasse festmacht und vom Halter eine Sachkunde verlangt. Auch der Umgang mit Hauskatzen hat sich verbessert, Kastrationsaktionen inklusive. Die Wichtigkeit unserer Tierheime wurde erkannt und finanzielle Hilfen gewährt. Alles kleine Schritte nach vorn.

Und im Nutztierbereich?

Mehr als Tippelschritte gibt es da nicht. Das geht nicht über das hinaus, was die Tierhaltungsindustrie von sich aus zulässt.

Für die juristische Aufarbeitung von Tierschutzverstößen ist die Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Oldenburg gebildet worden. Wie streng wird dort gearbeitet?

Tierquälerei ist nur bei vorsätzlichem Verhalten strafbar. Fahrlässiges ist nicht strafbar. Fehlt der Vorsatz, wird das Strafverfahren nicht eingeleitet oder einfach eingestellt. Hierzu zählen auch besondere Lebenslagen von Tierhaltern, wie etwa eine unbewältigte Stresssituation. Und das spielt der Staatsanwaltschaft in die Karten. Aus Sicht der Behörde arbeitet sie streng nach Gesetz. Darum ist eine Verschärfung des Tatbestandes und der Strafandrohung des Tatbestandes der Tierquälerei zwingend erforderlich.

Bedeutet Letzteres also, dass der Artikel 6b keine Novelle braucht, sondern dass man den Artikel nur ernst nehmen muss?

Genau. Aber die Defizite im Vollzug fangen schon an, wenn der Stall noch gar nicht gebaut ist.

Das müssen Sie erklären.

Nach dem Verbandsklagerecht wird unser Verband beim Bau und Nutzungsänderungen gewerblicher Tierhaltungsanlagen angehört. Hierbei stellen wir immer wieder fest, dass Vorgaben zur Tierhaltung sich nicht in den Antragsunterlagen wiederfinden. So werden Stallflächen, die für die Tiere versperrt sind, nicht von den vorgeschriebenen Bewegungsflächen abgezogen. Oder: Vorgeschriebene Krankenabteile fehlen. Meist stellt man dann fest, dass die Fläche für die vorgesehene Anzahl an Tieren nicht ausreicht. Vorgesehene Lüftungsanlagen und vorbeugende Brandschutzmaßnahmen sind häufig unzureichend. Die Veterinärämter müssten so etwas eigentlich sehen, die bekommen die Anträge ja auch. Aber die kritisieren das nicht. Niedersachsens Stallanlagen entsprechen häufig nicht der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung.

Sind Sie mit dem Verbandsklagerecht zufrieden?

Es ist nicht optimal. So werden wir zum Beispiel bei der Erstellung von Erlassen und Verordnungen der Ministerien, die den Tierschutz betreffen, als Verband angehört. Meist stellen wir am Ende fest, dass der Effekt gleich null ist. Klagen können wir aber dagegen nicht; die Rechtsetzungsverfahren sind vom Klagerecht ausgenommen. Wir können da manchmal nur in die Tischkante beißen.

Die Tierrechtsorganisation Peta sagt: „Tiere sind nicht dazu da, dass wir an ihnen experimentieren, sie essen, sie anziehen, sie uns unterhalten oder wir sie in irgendeiner anderen Form ausbeuten.“ Würden Sie das unterschreiben?

Ja!

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