Konsum aus Leidenschaft

PARALLELGESELLSCHAFT Das Villaggio in Doha ist ein riesiges Einkaufszentrum à la Venezia

Sport: Katar bietet vielerlei sportliche Aktivitäten: vom Tauchen, Surfen, Segeln und Golfspielen bis zum Skilaufen in den Sanddünen der Wüste. www.experienceqatar.com

■ Kultur: Seit 2004 gastieren im Play Theatre in Doha englischsprachige Theatergruppen; 2008 gab das Qatar Philharmonic Orchestra sein erstes Konzert; 2010 soll die Oper eröffnen. Für Kunstinteressierte lädt das Museum of Islamic Art seit 2005 zum Besuch ein. Daneben gibt es Galerien mit moderner Kunst wie die Al Markhiya Gallery im Suk al-Wakif oder die VCUQ Gallery in der Education-City.

Essen: In der Stadt gibt es unzählige Restaurants mit Gerichten aus aller Herren Länder. Indessen fehlen in Doha Klubs oder Diskotheken nach westlichen Vorbild. Wegen des muslimischen Alkoholverbots werden Wein, Bier oder Spirituosen nur in internationalen Hotels mit entsprechenden Lizenzen ausgeschenkt. Treffpunkte: die Bar im Hotel La Cigale oder der Club im Ritz-Carlton. In Letzterem gibt es eine monatliche Jazz-Session.

VON MICHAEL BÖHM

Die indische Verkäuferin reicht ihr die roten Pumps mit den hohen Absätzen von Gucci in einem edlen Schuhkarton über den Kassentisch. Als die gläserne Ladentür aufgeht, sieht man kurz ihre dunklen Augen und ihre seltsam weißen Hände. Sie sind sehr gepflegt, die Fingernägel dunkelrot lackiert, und auf dem Handrücken glitzert eine silberne Kette – alles andere überdeckt ein schwarzer Tschador, das traditionelle Gewand der beduinischen Frauen mit dem schmalen Sehschlitz. Schnell geht sie zum Geländer des Kanals, wo Gondoliere in ihren Booten auf Kundschaft warten – dort, wo gerade ein paar Pakistaner für einige Minuten Zuflucht vor dem heißen Wind aus der Wüste finden. Die Luft im August ist hier so heiß, als käme sie direkt aus einem Haartrockner.

Das Villaggio in Doha, der Hauptstadt des Emirats Katar am Persischen Golf, ist ein riesiges Einkaufszentrum à la Venezia: Auf einer Fläche von mehreren Fußballfeldern finden sich hinter barocken Fassaden Geschäfte aller erdenklichen Edelmarken, bieten Restaurants kulinarische Spezialitäten aus allen Ecken des Globus an: Hier kann man mongolische Satehspieße essen und arabischen Maisbrei, französisches Baguette ebenso wie argentinisches Rindfleisch. Im Villaggio durchziehen künstliche Wasserstraßen den marmornen Boden, drehen auf einer Eisfläche Schlittschuhläufer versonnen ihre Runden, lässt eine angenehme, klimatisierte Kühle die 48 Grad Außentemperatur schnell vergessen. Das Villaggio in Doha ist ein Symbol für die gewaltige Wirtschaftskraft des Wüstenstaats am Persischen Golf: Unter dem heißen Sand von Katar lagern riesige Erdgasvorkommen, die drittgrößten auf Erden nach denen Russlands und des Iran. Die Weltwirtschaft dürstet nach diesem Stoff und schickt ihre Leute ins Land, um Felder abzustecken und Konzessionen zu ergattern.

In Doha schießen Wohnsiedlungen, Luxushotels und Shopping Malls wie Pilze aus dem Boden, die ganze Stadt, das ganze Land ist eine riesige Baustelle, geleitet und am Leben gehalten von Polieren und Ingenieuren aus aller Herren Länder. So kommen von 1 Million Einwohnern in Katar zirka 750.000 aus dem Ausland. Im Villaggio flanieren Europäer in Anzügen, Amerikaner in Jeans und Asiaten mit bunten Kopftüchern neben den Männern im weißen Gewand der Beduinen – so ist das Villaggio auch ein Symbol für eine Parallelgesellschaft im Orient.

Der Emir von Katar, Hamad Ibn Chalifa al-Thani, will sein zutiefst vom sunnitischen Islam geprägtes Land wirtschaftlich und kulturell dem Westen öffnen, aber die beduinische Tradition nicht verlieren. Konkret bedeutet das: die Katarer durch westliche Fachleute an heimischen Universitäten ausbilden, aber die Scharia, das islamische Gesetz, in Kraft lassen; Alkohol ausschenken, aber die Lizenzen auf internationale Hotels beschränken. Und es bedeutet auch verschleierte Frauen, die bei Prada und Gucci die schicksten Fummel einkaufen.

„Sie tun es für ihre Männer zu Hause“, sagt Jassir lachend. „Und sie tun es mit Leidenschaft.“ Der libanesische Geschäftsmann Jassir sitzt im Villaggio in der Boulangerie Paul und trinkt genüsslich eine Tasse Kaffee. Seit zehn Jahren lebt der Lichtdesigner in Katar, nach Studium in den USA und Aufenthalten in England und Australien. Mit seiner Firma hat er das „Aspire-Center“ in Doha illuminiert, einen futuristischen Gebäudekomplex in der Nähe, der für die Asian Games 2005 errichtet wurde. Jassir ist einer der 750.000 Fremden im Land, der Expatries, wie man sie nennt. Vor allem sie haben seit den ersten Ölfunden 1939 den Wohlstand des Landes geschaffen.

„Einigen Katarern macht die Verwestlichung Angst. Aber auch sie berauschen sich an teuren Autos und schicken Kleidern“

BUCHHÄNDLERIN HAJA

Aber die neue Zeit mache sich bemerkbar, meint Jassir ernst und hebt die Brauen: Polygamie sei beduinischer Brauch, nur versorgen müsse man die Frauen. Früher hätten hier die Männer zumeist vier Frauen gehabt, heute meist nur zwei. „Heute geht es ja um Prada und Gucci“, sagt er und lacht, „das würde ich mir auch überlegen!“

Haja ist die Besitzerin des islamischen Buchstands im Villaggio. Das kleine Kabuff mit heiligen Büchern steht vor der großen Filiale von Carrefour. Wenn man die Werke über Lehre und Leben des Propheten näher in Augenschein nehmen will, muss man den Kopf unter dem tiefen Dach neigen, es ist, als würde die Religion in dieser bunten Warenwelt ihren Tribut fordern. Nicht zufällig verkauft Haja ihre Bücher im Villaggio: Als Tochter eines Beduinen hat sie in England studiert, aber sie kritisiert den westlichen Materialismus, jetzt will sie mit dem Bücherstand ein Zeichen setzen. „Einigen Katarer macht die Verwestlichung Angst“, sagt sie, „aber auch sie berauschen sich an teuren Autos und schicken Kleidern. Viele nehmen dafür Kredite bei Banken auf. Früher hingegen hatten sie alles Geld zu Hause unter der Matratze versteckt, so wie es Sitte war.“ Diese „vielen“ sind jedoch keine Beduinen, die hauptsächlich von dem leben, was ihnen die Öl- und Gaskonzessionen einbringen. Von den 250.000 „Locals“ im Lande gehört nur ein Zehntel zur alteingesessenen Schicht, den Rest bilden die Nachfahren eingewanderter Händler aus Persien und Indien.

Auf dem Suk, dem traditionellen Shopping Center von Doha, vermischen sich die Gerüche von Tee, getrockneten Feigen und verschiedensten orientalischen Gewürzen. In einem Gewirr von Gassen, Gängen und Nischen bieten Inder kitschige Plastikkamele als Souvenirs an und Ägypter Safran und Kumin. Im Laden eines persischen Tuchhändlers stehen Frauen in schwarzen Tschadors vor einer großen Rolle, prüfend gleiten ihre Hände über die feine Seide. Vor der Tür warten ihre Männer im weißen Gewand der Beduinen, in der einen Hand halten sie eine Gebetskette, in der anderen ein Mobiltelefon oder auch beides gleichzeitig. Wenn am Nachmittag der Muezzin der nahen Moschee über einen Lautsprecher zum Gebet ruft, leeren sich die Gänge und Gassen, gemächlich und ruhig, wie es Sitte ist im Orient. Es ist dann, als wiederhole sich ein altes Spiel, dessen Regeln sich ändern, die aber dennoch die Zeit verleugnen – so wie der Wind die Wüste verändert, aber ihren Sand niemals fortträgt.