Autogerechte Infrastruktur: Verteilungskampf an der Kreuzung

Mit der Rekommunalisierung des Ampelmanagements will der Berliner Senat die Verkehrswende beschleunigen. Die Zivilgesellschaft ist skeptisch.

Foto: Jan Jasper Klein/plainpicture

Der tragische Tod einer Radfahrerin, die von einem Betonmischer überfahren wurde, sorgte Ende Oktober für hitzige Diskussionen. Viel wurde darüber gestritten, ob ihr Tod nicht durch das schnellere Eintreffen eines Rettungswagens hätte vermieden werden können. Deutlich weniger diskutiert wurde hingegen darüber, wie es überhaupt zu dem Unfall kam. Denn statt den Radweg zu benutzen, fuhr die 44-Jährige auf einer schwer einsehbaren Autospur. Wahrscheinlich, um eine Fußgängerampel zu vermeiden, an der sie zwei Ampelphasen lang hätte warten müssen, um die Fahrbahn zu überqueren.

Eigentlich sollten solche autogerechten Ampelschaltungen laut dem Mobilitätsgesetz längst passé sein: Vorrang und längere Ampelphasen für ÖPNV, Fuß­gän­ge­r:in­nen und Rad­fah­re­r:in­nen sind in dem 2018 beschlossenen Gesetz festgeschrieben. Um die Vorgaben schneller zu erfüllen, rekommunalisiert der Senat zu Jahresbeginn das Ampelmanagement. Ab dem 1. Januar wird sich das neu gegründete landeseigene Unternehmen InfraSignal um Betrieb, Installierung und Anpassung der über 2.000 Ampelanlagen in Berlin kümmern.

„Mit Ampelschaltungen kann ich einen unglaublichen Beitrag zu Verkehrssicherheit und Verkehrswende leisten“, begrüßt Antje Kapek, Sprecherin der Grünen für Verkehrspolitik, den Schritt des Senats. So ließen sich viele tödliche Abbiegeunfälle durch getrennte Ampelschaltungen für Rechtsabbiegende und Radfahrende vermeiden.

An dem technischen Ampelmanagement wird sich jedoch zunächst nichts ändern. Doch der Senat hofft auf mehr Tempo bei der Optimierung der Ampelanlagen zugunsten des ÖPNV-, Fuß-­ und Rad­verkehrs. Da der Vertrag mit dem niederländischen Unternehmen Alliander, auf das das Ampelmanagement 2006 ausgelagert wurde, diese Aufgaben nicht vorsah, kam es zu einem riesigen Bearbeitungsstau, da viele der neuen Aufgaben erst aufwändig abgestimmt werden mussten.

Positives Signal

„Der entscheidende Vorteil ist, dass künftig ohne größeren Aufschub Vertragsanpassungen erfolgen können, die bislang aufgrund vergaberechtlicher Randbedingungen nicht möglich waren“, sagt Jan Thomsen, Sprecher der Senatsverwaltung für Mobilität und Verkehr, der taz.

Auch die Verkehrswende-Bewegung sieht in der Rekommunalisierung der Ampeln ein positives Signal. Kritik gibt es allerdings daran, dass der motorisierte Verkehr weiterhin bevorzugt werde. „Regelwerke, Gesetze, Verordnungen und das Denkmuster der Handelnden waren bislang darauf ausgerichtet, die Leistungsfähigkeit des Kfz-Verkehrs zu optimieren“, so Ragnhild Sørensen, Sprecherin des Lobbyverbands Changing Cities, zur taz.

Wie tief die autogerechte Stadt im Verwaltungshandeln verankert ist, zeigen die gesetzlichen Vorgaben, nach denen die Dauer der Ampelphasen bestimmt wird. Diese werden bundesweit vom Bundesverkehrsministerium in der Richtlinie für Lichtsignalanlagen festgelegt. Wie lange eine Ampel auf Grün steht, ergibt sich aus einer komplexen Formel, die in der Richtlinie vorgegeben ist.

„Die Zielrichtung der Formel ist eine möglichst geringe Wartezeit für Kraftfahrzeuge“, erklärt Roland Hauschulz, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet Straßenplanung und Straßenbetrieb an der Technischen Universität Berlin. Die einzige variable Eingangsgröße für die Formel sei die Kfz-Verkehrsmenge. Je nach dem, wie viele Autos auf einer Straße durchschnittlich verkehren, ergibt sich eine Mindestgrünzeit, an der nicht gerüttelt werden könne.

Für Fuß­gän­ge­r:in­nen nur das Minimum

Nach der Berechnung der Grünzeiten für den Autoverkehr werde die Restzeit auf den Rad- und Fußverkehr aufgeteilt. „In der Praxis kann dabei oft nur die Mindestdauer eingehalten werden“, sagt Hauschulz. Im Gegensatz zum Autoverkehr richtet sich diese nicht nach der Menge der Fuß­gän­ge­r:in­nen und Radfahrer:innen. Maßgeblich ist vielmehr die Strecke, die die Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen zurücklegen müssen.

Dabei wird für Fuß­gän­ge­r:in­nen in der Regel eine Geschwindigkeit von 1,2 Meter pro Sekunde angenommen. Das entspricht 4,3 Kilometern pro Stunde – eine recht sportliche Geschwindigkeit, insbesondere für Alte, Gehbehinderte und Kinder. Zwar hat die Senatsverwaltung die Geschwindigkeit auf einen Meter pro Sekunde gesenkt, das Grundprinzip bleibt aber das Gleiche.

Theoretisch lassen sich laut dem Verkehrsexperten längere Grünphasen für Fuß- und Radverkehr umsetzen, indem für möglichst viele Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen einzelne Ampelphasen geschaltet werden – Busse, Passant:innen, Radfahrer:innen, geradeaus fahrende Autos, rechtsabbiegende Autos und so weiter.

Doch je kleinteiliger die Schaltung und je länger die Grünzeiten, desto größer ist die Wartezeit für alle anderen Verkehrsteilnehmer:innen. Dauert der gesamte Ampelzyklus zu lange, steige wiederum das Verkehrsrisiko, weil dann mehr Menschen über Rot laufen. „Ampelschaltungen sind immer eine politische Entscheidung, die nicht von Politiker:innen, sondern Leuten der Fachplanung getroffen werden müssen“, fasst Hauschulz zusammen. Irgendwer müsse immer benachteiligt werden.

Die Umweltorganisation BUND ist skeptisch, dass angesichts dieser Herausforderungen die Rekommunalisierung des Ampelmanagements viel bewegen wird: „Wir bezweifeln angesichts der bisherigen Erfahrungen, dass es schnelle Fortschritte geben wird“, sagt Nicolas Šustr, Sprecher des BUND Berlin, zur taz.

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