Syrische Geflüchtete im Libanon: Leben in Hilfsunterkünften

Ein Großteil der Menschen im Libanon lebt in Armut. So wie die Syrerin Badia Hussein und ihre Familie. Doch es gibt kleine Initiativen, die helfen.

Eine Person schenkt Tee ein

„Früher waren wir fast reich“: Bei Badia Hussein gibt es Tee mit Kräutern Foto: Julia Neumann

Badia Hussein entnimmt einer Metalldose eine syrische Kräutermischung mit getrockneten Rosen. Auf einem kleinen schwarzen Öfchen in der Mitte des Raumes erhitzt sie das Wasser in einem Teekessel, filtert die Kräuter durch ein Sieb, während sie den Tee in kleine Gläser kippt. Zhourat, wie die Mischung mit Anis und Kamille heißt, soll dem Immunsystem helfen, Viren und Bakterien abzuwehren.

Der Winter steht im Libanon vor der Tür und die Menschen im libanesischen Bekaa-Tal erwarten Minustemperaturen. Hussein lebt mit ihrem Mann und fünf Kindern in einem Haus aus unverputztem Beton und Mauersteinen. In einer Box im Wohnzimmer liegen zerrissene Kartons – mit denen wird dass Feuer geschürt. Die Mutter möchte ihren echten Namen nicht in der Zeitung sehen, aus Angst vor negativen Konsequenzen. Die Syrerin und ihr Mann haben drei Söhne und zwei Töchter zwischen 5 und 14 Jahren.

Wegen eines Bandscheibenvorfalls kann der Mann nicht mehr arbeiten. Stattdessen repariert der 14-Jährige Sohn Autos in einer Werkstatt. Dafür bekommt er umgerechnet neun US-Dollar wöchentlich. „Alleine die Heizung zu betreiben, kostet 40 US-Dollar im Monat“, klagt Badia Hussein.

Armut weit verbreitet

Nach Daten der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch leben 80 Prozent der Menschen im Libanon in Armut. Die lokale Währung verliert permanent an Wert, die Kosten für Nahrung, Medizin und Strom steigen ins Unermessliche. Von gut 1.000 befragten Haushalten bekamen weniger als fünf Prozent eine staatliche Unterstützung. 40 Prozent verdienen weniger als 100 US-Dollar pro Monat, 90 Prozent der Haushalte haben weniger als 377 US-Dollar. Die Lücke füllen die Gelder ausgewanderter Libanesen sowie unabhängige Hilfsorganisationen.

In der Bekaa-Ebene, im Osten des Landes, rund zehn Kilometer Luftlinie von der syrischen Grenze entfernt, leben viele Geflüchtete aus Syrien, so wie die Husseins. Manche Familien wohnen nicht in den Zeltcamps am Rande der Dörfer. Sie sind von Hilfen oft abgeschnitten.

Die 28-Jährige Amani Abd Al Rahman besucht genau diese Familien. Die Libanesin hat Mathematik studiert und als Übersetzerin Uschi Overhage kennengelernt. Die hat früher als Sozialarbeiterin gearbeitet und lebt heute als Rentnerin in Deutschland – wenn sie nicht gerade im Libanon den Ärmsten hilft.

Haddak: Drei Menschen helfen

Vor zwei Jahren starteten Uschi Overhage und Amani Abd Al Rahman gemeinsam das Projekt Haddak, was übersetzt „An deiner Seite“ bedeutet. „Familien kennen meinen Namen und manche fragen Freund*innen, ob sie jemanden kennen, der helfen kann. Wir fragen sie dann, was sie brauchen und widmen uns denen, die es am dringendsten benötigen“, erzählt Abd Al Rahman. Gemeinsam mit dem palästinensische Ingenieur Wael Abdekai leistet sie eine Art Familiensozialarbeit. Rund zwölf Familien helfen sie kontinuierlich.

Ein Haus aus nacktem Beton mit mehreren Stockwerken, neben der Straße einfache Behausungen aus Planen, die mit Autoreifen abgedeckt sind, im Hintergrund schneebedeckte Berge

Badia Hussein lebt mit Mann und Kindern in dieser Ruine Foto: Julia Neumann

Der Familie von Badia Hussein bringen sie Brot und Tabletten gegen Kopfschmerzen vorbei. Einem alten Ehepaar schenken sie Knopfbatterien für das Hörgerät und ein frisch gebratenes Hühnchen. Für den Winter haben sie Wärmflaschen verschenkt, für eine Familie kaufen sie einen Wollteppich. „Viele schlafen nachts gemeinsam in einem Raum, damit sie nur ein Zimmer erwärmen müssen“, sagt Abd Al Rahman. Andere erhitzen zum Duschen einen Topf mit Wasser auf dem Ofen, die Wärme des Ofens nutzen sie für das Zimmer.

Badia Hussein erzählt, dass die Familie mit dem geringen Geld nur auskäme, weil sie Bulgur, Reis und Linsen kocht. Die Preise steigen, auch die Preise für ­lokal angebautes Gemüse sind immens. „Früher hat ein Kilo Kartoffeln 500 Pfund gekostet nun kostet es 17.000“, weiß Badia Hussein. Das sind umgerechnet mehr als zehn Euro. „Einer unser Nachbarn baut Kartoffeln an. Ich habe ihm geholfen und dafür bei der Ernte etwas abbekommen.“ Unterstützung von den Eltern oder entfernten Verwandten sei unmöglich. Die Familie ihres Mannes wohnt in Jordanien, Badia Husseins Mutter ist schwer krank, sie lebt als Geflüchtete in der Türkei.

„Gott sei Dank war unsere Situation in Syrien wirklich sehr gut“, erinnert sich Badia Hussein. „Wir waren fast schon reich, besaßen viel Land und viele Schafe, haben viel Fleisch gegessen und waren sehr gesund.“ Mit der Flucht habe sich der Lebensstil der Familie radikal verändert: „Wir haben nichts mehr von unserem Besitz.“

Ausharren ohne Ende

Libanesische Politiker haben oft genug betont, dass ihr Land nur ein Transitland für Geflüchtete aus Syrien sein könne. Doch seit elf Jahren harren Sy­rie­r:in­nen­in nun in provisorischen Camps aus – sie leben in mit Planen umspannten Holzgerüsten, für die eine Miete fällig ist. Sesshaft werden sollen sie nicht. Deshalb dürfen die Menschen keine permanenten Häuser bauen.

In jüngster Zeit sind Versuche des Staates zu beobachten, die Flüchtlingen zurück nach Syrien zu drängen. Es werden willkürliche Ausgangssperren verhängt. Das Internet fällt plötzlich aus. Weil viele Menschen in der Bekaa-Ebene keine Arbeit fanden, gingen sie zur Olivenernte in den Norden des Libanon. Als sie zurückkehrten, hätte das libanesische Militär inzwischen ihre leeren Zelte zerstört, berichtet der Arzt Firas Alghadban, dessen Organisation Endless Medical Advantage die Camps mit mobilen Praxen versorgt. „In letzter Zeit melden sich Menschen bei der Polizei und lassen sich registrieren, damit sie nach Syrien zurückgebracht werden und mit dem syrischen Regime ausgemacht wird, dass ihre Informationen in Akten bei den Sicherheitsbehörden gelöscht werden. Vor einen paar Tagen hat die Polizei in Syrien trotzdem manche von ihnen verhaftet.“ Viele Menschen wollten aus Angst nicht in ihre Heimat zurückkehren.

Weil Frauen in Syrien rechtlich kein Land besitzen dürfen, können Witwen nicht in ihre Häuser zurückkehren – diese gehen in Staatsbesitz über. Im Norden bombardiert die Türkei die kurdische Selbstverwaltung. In Gebieten unter der Kontrolle der Regierung wird gefoltert.

Die Familie von Badia Hussein kann nicht zurückkehren. Der minderjährige Sohn liefe sonst Gefahr, zum Militär eingezogen zu werden. Ihre Grundstücke können die Husseins nicht mehr bewirtschaften. „Einige unserer Verwandten sind zurückgegangen. Sie haben entdeckt, dass die Ländereien voll von Minen waren, die jederzeit explodieren können.“

Das größte Problem aber sei die Sicherheit. „Gäbe es Sicherheit und ein Haus … Obwohl, selbst wenn es kein Haus dort für uns gäbe, sondern nur Sicherheit, dann würde ich Syrien dem Libanon vorziehen. Dort sind Schulen und Krankenhaus kostenlos, wir konnten uns während des Ramadan Fleisch leisten.“ Zwischen den libanesischen Camps und auf den dunklen Straßen fühle sie sich nicht sicher, sagt Badia Hussein. „Aber wir haben kein Zuhause. Wohin sollen wir gehen?“

Jeder Vierte im Libanon ist ein Flüchtling

Der Libanon, ein Land mit sechs Millionen Einwohnern, beherbergt rund 1,5 Millionen syrische Geflüchtete, von denen aber nur rund 830.000 beim UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) registriert sind. Dessen Operationen im Libanon werden zurzeit nur zu 50 Prozent finanziert. Die Fördergelder kommen zum größten Teil von den Mitgliedsstaaten, Regierungen geben die Spenden freiwillig.

Früher hat Badia Hussein Geld oder Essenspakete erhalten. Sie berichtet, dass der UNHCR seit diesem Monat keine Spenden mehr an die Familie verteilt habe. Schon vor den letzten Kürzungen drohten 277.000 syrischen Familien, keine zusätzliche Winterunterstützung zu erhalten.

Im Oktober warnte der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Filippo Grandi, vor „harten Kürzungen“, wenn es keine zusätzlichen 700 Millionen US-Dollar an Finanzmitteln gäbe. Besonders im Nahen Osten müsse die UN-Agentur Hilfen kürzen. Der Finanzierungsmangel hängt mit zusätzlichen Ausgaben infolge weiterer Krisenregionen zusammen: den Vertreibungen infolge des russischen Kriegs in der Ukraine, der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und der verheerenden Überschwemmungen in Pakistan.

„Natürlich ist es nicht das Beste, Geld zu geben“, sagt Uschi Overhage. Es sei aber immerhin besser, als gar nicht zu helfen. Ihr Ziel sei es, Menschen nachhaltig zu unterstützen, damit sie auf eigenen Füßen stehen könnten. Einigen Frauen hat das Projekt Haddak Nähmaschinen geschenkt. So können sie nun Säcke voller Altkleider kaufen, diese reparieren oder verzieren und sie verkaufen.

Künftig möchte die Hilfsorganisation eine Form von Minikrediten vergeben. So könnten sich Geflüchtete zum Beispiel Holzkarren kaufen, mit denen sie in den Straßen Obst als Zwi­schen­händ­le­r*in­nen weiterverkaufen. Weil das Budget des Projekts mit rund 1.000 Euro pro Monat aber recht gering ist, unterstützen die Aktivisten die Menschen auch bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Sie trinken mit ihnen Tee, zeigen Respekt und Wertschätzung. „Das Wichtigste, das man geben kann, ist Zeit“, sagt Overhage.

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