Elon Musk und Twitter: Der goldene Schlüssel

Elon Musk ist ein Großgrundbesitzer, der sich zum Bürgermeister gemacht hat. Er wird weiterherrschen, wenn jemand anders Twitter-Chef ist.

Journalist*innen mit Kameras vor Gebäuden, dazu das Schild Market Square

Der Marktplatz geht an den Alleinherrscher: Jour­na­lis­t*in­nen vor dem Twitter-Sitz am Tag des Kaufs Foto: Terry Schmitt/UPI

Jetzt bekommt Elon Musk sogar schon Lob von der AfD-Chefin Alice Weidel. „Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, kann auf Twitter wieder offener für Freiheit und Selbstbestimmung eingetreten werden“, sagte sie der Rheinischen Post. Musks Handeln in den letzten Monaten dürfte allen gefallen, die Demokratie eher so meh finden und Diskriminierung eher so yeah.

Schon vor Monaten hat Musk gesagt, dass er Twitter gern zu einem digitalen Dorfplatz machen würde. Er ist ein Großgrundbesitzer, der sich selbst zum Dorfbürgermeister ernannt hat, und hat die Anerkennung aus der politischen Rechten wahrlich verdient. Und die Wut der Menschen im virtuellen Dorf. Die begannen in dieser Woche zu hoffen: Musk wolle als Twitter-Chef aufhören, erklärte er. Doch damit wird vermutlich nichts besser. Denn selbst wenn irgendwann eine andere Person im Rathaus sitzt, sie wird ausgesucht werden von Musk. Und ihm gehört auch weiterhin der Grund, auf dem sich das Dorf befindet. Sicherlich, es gibt vorstellbare Szenarien, in denen die Macht nicht mehr so stark an die Person Musk geknüpft ist. Einen Stab aus Be­ra­te­r*in­nen etwa, die ihn pämpern und versuchen, Schaden einzudämmen. Doch würden sein Ego und sein Streben nach Macht das wirklich zulassen?

Als Musk im April erklärte, dass er das Dorf gerne kaufen würde, machte sich Angst unter den Menschen breit. Was würde Musk, dieser selbsternannte „Free Speech Absolutist“ mit Verbindungen zur politischen Rechten, anstellen? Die üblichen Unterhaltungen auf dem Dorfplatz, das teilweise belanglose, teilweise hochpolitische Gerede wurde übetönt vom Thema Musk. Der stand vor den Toren und zeigte mit seiner diamantbesetzten Hand auf die Kutsche voller Schätze hinter sich. Er wollte den goldenen Schlüssel. Ende Oktober bekam er ihn.

Mit dem marschierte Musk direkt ins Rathaus und entließ den alten Stadtrat, also das Management. Es begannen die Entlassungen in den anderen Abteilungen, bei den Ent­wick­le­r*in­nen etwa, die sonst die Straßen des Dorfs gebaut hatten, und bei den Moderator*innen, die als Polizei über den Platz getingelt waren, um Störenfriede zu entfernen. Musk war Bürgermeister, Oberpolizist, Richter zugleich. Diese Macht hat sich Musk bewusst genommen. Sich nun von ihr zu trennen, würde ihn schmerzen.

Grenzen des Sagbaren verschoben

Die Menschen auf dem Dorfplatz waren und sind deswegen besorgt. Doch einzelne hasserfüllte Gestalten, früher so gut es ging in die Schatten gedrängt, jubelten dem neuen Alleinherrscher zu, traten ins Licht. Bereits in den ersten 12 Stunden nach dem Twitter-Kauf stieg die Zahl, wie oft das N-Wort genutzt wurde, um fast 500 Prozent an, so die Gruppe Network Contagion Research Institute. Die Grenzen des Sagbaren waren verschoben, und die Rechten wollten wissen, wie weit. Eine Katastrophe für alle marginalisierten Menschen. Zumal sich Musk selbst immer wieder daran beteiligte, Lügen zu verbreiten. Und er machte Stimmung, erklärte öffentlich, für wen man sich bei Wahlen in demokratischen Ländern wie den USA entscheiden sollte, welche Kan­di­da­t*in­nen er unterstützt.

Er unterhält sich mit Ver­schwö­rungs­ideo­lo­g*in­nen und hypet seine eigenen Unternehmen. Die Autos des Bürgermeisters sind die besten! Seine Satelliten die wichtigsten bei der ukrai­nischen Verteidigung gegen den Angriff. Der Bürgermeister bewirbt sich selbst und seinen bedrohten Reichtum ebenso wie seine Weltanschauung. Seine Beiträge werden auf Twitter inzwischen immer prominenter angezeigt. Als kleistere er den Dorfplatz zu mit Plakaten von seinem eigenen Konterfei. Warum sollte er diese Macht freiwillig aufgeben? Twitter ist nicht nur sein Spielzeug, das Dorf nicht nur eine Event-Location. Es ist ein Machtinstrument. Wenn auch ein wenig rentables.

Hass kam nicht mit Musk

Denn die Unternehmen, die sonst große Banner und Schilder auf dem Dorfplatz platziert hatten, die Werbekund*innen, die auf ihre Geschäfte hingewiesen hatten, zogen sich schnell zurück. Sie wollten nicht, dass direkt neben dem Schild ein Nazi steht, der Pas­san­t*in­nen beleidigte. Das war ein finan­ziel­les Problem für Musk, das er aber nicht mit härterer Moderation zu lösen versuchte. Stattdessen holte er für kurze Zeit sogar den Antisemiten Kanye West zurück ins Dorf. Wieso? Könnte dessen Präsenz ihm etwa finanziell helfen? Oder liegt es doch eher daran, dass Musk Hass und Diskriminierung eigentlich ganz okay findet?

Der Hass kam natürlich nicht erst mit Musk. Donald Trump etwa war von Twitter verbannt, bis Musk abstimmen ließ. So funktionieren diese pseudodemokratischen Abstimmungen: Die Umfrage ist nicht für alle sofort sichtbar, denn dafür müsste man das ganze Dorf im Blick behalten. Die Fanboys aber sehen die Umfrage ziemlich sicher. Sie stimmen ab, und vielleicht bringen sie sogar Bots an die digitale Urne. Trump durfte also zurück. Seine Lügen sind auch jetzt noch online. Der Warnhinweis unter ihnen ist ein Witz.

Gehen oder bleiben?

Eine der wichtigsten Diskussion wurde: Gehen oder bleiben? Es gibt auch andere Social-Media-Dörfer. Doch wer hat die Möglichkeit zu bleiben, ohne seelischen Schaden zu nehmen, wenn so viele Hasserfüllte angreifen? Wenn es keine Mo­de­ra­to­r*in­nen gibt, die man rufen kann? Selbst Po­li­ti­ke­r*in­nen dachten über einen Umzug nach. Anke Domscheit-Berg etwa, die sich auch – so sagte sie in einem Interview – Sorgen mache um Communitys, die „diese Vernetzungsmöglichkeit“ brauchten. Die hatten sich in dem Dorf kleine Klubs gebaut, miteinander gesprochen, sich ausgetauscht und unterstützt. Sie hatten den anderen Dorf­be­su­che­r*in­nen gezeigt, wie ihre Leben aussehen, die etwa geprägt waren von Rassismuserfahrungen, Armut, sexualisierte Gewalt. Nun wurden diese Menschen von Hatern bespuckt.

Viele Nut­ze­r*in­nen wanderten ab zu anderen Dörfern. Doch die meisten blieben, denn sie hatten sich etwas aufgebaut: Interessensgemeinschaften, Unterhaltungen, Freun­d*in­nen­schaf­ten, Informationsquellen. Wer umzieht in die Fremde, der*­die muss sich erst beschwerlich ein neues soziales Umfeld aufbauen.

Demokratiefeindlicher Eingriff

Auf Twitter herrscht Musk weiter mit Willkür. Mitte November durften Jour­na­lis­t*in­nen ihn nicht mehr kritisieren. Er ließ einige von ihnen ergreifen und zeitweise vor die Stadtmauer setzen. Es war ein demokratiefeindlicher Eingriff in die Freiheit der Presse. Die Proteste der Use­r*in­nen gegen diese Willkürherrschaft interessieren den Bürgermeister nicht groß. Weiter schreit Musk die Meinung führender Konservativer und Rechter laut vom Balkon. Er kann es sich erlauben, denn er hat alle Macht über die Technik, wenn auch nicht über den Diskurs.

Das Geheimnis von Musk in seinen anderen Dörfern war die Hoffnung, die er verkauft: die Reise ins All, wenn die Erde unbewohnbar wird, ein Auto, dass das Klima retten soll. Doch Twitter hatte kein Problem, das Musk lösen konnte. Und es war nie die Lösung für irgendein Problem. Es war einfach da – für Unterhaltungen, Diskussionen, Streit und Lachen. Dann hat sich Elon Musk das Dorf gekauft. Er wird es nicht wieder hergeben. Selbst wenn jemand anderes Bür­ger­meis­te­r*in wird: Er*­sie untersteht sicherlich dem Besitzer.

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