Verbandschef über Lehren aus Abkommen: „Keine Amazon-Halle auf die Wiese“

Nach der Artenschutzkonferenz: Die Zeit zum Umsteuern zu mehr Umweltschutz in Deutschland „war noch nie so günstig wie jetzt“, sagt Kai Niebert.

Schneeleopard läuft vor einer Berglandschaft

Der gefährdete Schneeleopard kennt keine Grenzen Foto: Gerard Lacz/imago

taz: Herr Niebert, die Welt hat ein neues Naturschutzabkommen, das im kanadischen Montreal verabschiedet wurde – was ändert sich jetzt in Deutschland?

Kai Niebert: Deutschland muss aus Rhetorik Politik machen, die Natur wirklich wichtig nehmen. Das heißt: keine Amazon-Lagerhallen auf die grüne Wiese setzen und Schluss damit, Naturzerstörung zu subventionieren.

Warum sollte das plötzlich klappen, das sind doch alte Forderungen?

Da die Weltgemeinschaft beim Ozonloch schon einmal gezeigt hat, dass sie sich globalen Herausforderungen stellen kann. Mit dem Wiener Übereinkommen beschloss sie 1985 erst grundsätzlich zu reagieren, und dann einigte sie sich zwei Jahre später im Montrealer Protokoll auf konkrete und wirksame Schritte. So muss das nun auch laufen.

Da ging es aber nur um einen Stoff, der verboten wurde: FCKW.

Bei der biologischen Vielfalt geht es um die Wirtschaftsweise in Gänze – ja. Tiere und Pflanzen brauchen ein gesundes Netzwerk – und wir Menschen unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Jetzt sollen 30 Prozent der Landes- und 30 Prozent der Meeresflächen bis zum Jahr 2030 unter Schutz gestellt werden.

Kai Niebert, 43, ist Nachhaltigkeitsforscher an der Universität Zürich und seit 2015 Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), des Dachverbands der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen, der Zukunftskommission Landwirtschaft.

Das Umweltministerium sieht das Ziel schon erreicht.

Nur weil wir auf dem Papier bereits 30 Prozent der Fläche in Deutschland irgendwie schützen, heißt das nicht, dass es wirkt. Arten sterben trotzdem aus. Es geht nicht darum, die Menschen außen vor zu lassen, aber es muss auf insgesamt 30 Prozent der Flächen naturfreundlicher gewirtschaftet werden. Dazu brauchen wir mehr ökologische Landwirtschaft und vielfältigere Äcker. Südafrika will jetzt etwa groß ins Gasgeschäft einsteigen, um energieintensive Düngemittelprodukte hochzuziehen. Wir müssen auch international zeigen, dass es anders geht.

Das steckt aber nicht in dem Abkommen. Das Ziel 25 Prozent Ökolandwirtschaft bis 2030 ist sogar rausgeflogen. Sie unterschätzen Ihre Gegenspieler?

Die ökologischen Schäden, die auch durch die Landwirtschaft verursacht werden, wie etwa Treibhausgasemissionen, Belastungen von Artenvielfalt, Wasser und Boden, belaufen sich auf 90 Milliarden Euro pro Jahr allein in Deutschland. Gleichzeitig sterben die landwirtschaftlichen Betriebe. Das ist ökologisch, ökonomisch und sozial nicht zukunftsfähig.

In Brandenburg ist erst vor wenigen Tagen ein Vorzeigeprojekt, der Insektendialog, gescheitert, in dem Naturschutzverbände, Bauern und Politik einen Gesetzentwurf für mehr Artenschutz erarbeiten sollten, weil SPD, CDU und Landesbauernverband offenbar ein Verbot von Pestiziden in Naturschutzgebieten abgelehnt hatten.

Aber es gibt andere Beispiele aus Niedersachsen und Bayern, wo Landwirte mit Naturschützern vorangehen. Außerdem ist auch in der Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission festgelegt, dass der Pestizideinsatz bis 2030 halbiert werden muss. Mit einem System von handelbaren Pestizid-Zertifikaten beispielsweise hätte ein Landwirt, der weniger Chemie verwendet, weniger Kosten als der chemie­lastigere Nachbar. Und einen gesünderen Acker.

Aber verbindlich ist das alles noch nicht. Und nun gibt es den Ukrainekrieg …

… und Kritiker der Strategie nutzen die Debatte über die Ernährungssicherheit, um alles zu verzögern – wie zum Beispiel die FDP. Wenn sie weiter blockiert, wird sie eine starke Mitschuld am Artensterben haben. Dabei war die Zeit zum Umsteuern noch nie so günstig.

Wie bitte?

Alle Lebensmittel sind wegen der Inflation teurer geworden. Da können Sie ein bio­­di­versi­tätsfreundliches Entlastungspaket über die Mehrwertsteuer schnüren. Sie setzen die Mehrwertsteuer für Obst, Gemüse, Getreide auf null, im Gegenzug die Mehrwertsteuer für Fleisch von 7 Prozent auf 19 hoch. Das wäre ein guter Anfang, umweltschädliche Subventionen abzubauen und die Menschen bei ­gesunder Ernährung zu entlasten.

Bis 2030 sollen nun alle naturzerstörerischen Subventionen, die weltweit auf 500 Milliarden jährlich geschätzt werden, so umverteilt werden, dass sie der Biodiversität nützen. Ist das realistisch?

Ökonomisch wäre das sinnvoll. Tiere und Pflanzen sind die Grundlage von allem. Die Bestäubungsleistung von Insekten machen im Jahr 65 Milliarden Euro alleine in Europa aus. Gerade erst haben Wis­sen­schaft­le­r*in­nen gezeigt, dass Regenwürmer in Großbritannien in den vergangenen 25 Jahren womöglich um ein Drittel zurückgegangen sind. Sie sind entscheidend für fruchtbare Böden. Wir müssen das Artensterben nicht nur stoppen, wir brauchen eine Renaturierung.

Aber Deutschland will Windräder bauen und Radwege asphaltieren.

Bisher wird Infrastruktur gebaut und dann irgendwo ein Ausgleich geschaffen. Dahinter steckt das sogenannte Verschlechterungsverbot. Drei Bäume abgeholzt, woanders drei Bäume angepflanzt. Weniger schlecht reicht aber nicht mehr. Wir brauchen jetzt ein Verbesserungsgebot. Wir müssen in Ökosystemen denken und der Natur in der Fläche helfen.

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