Flüssiggas gegen die Energiekrise: Habecks Einkaufsoffensive

Beim Flüssiggas macht Robert Habeck mächtig Tempo. Einerseits beeindruckend. Andererseits: Sind die Pläne wirklich durchdacht?

Das LNG-Schiff „Höegh Esperanza“ läuft am 15. Dezember in Wilhelms­haven ein

Großer Kahn, große Hoff­nun­gen: Das LNG-Schiff „Höegh Esperanza“ Foto: Fabian Bimmer/reuters

Knackige acht Grad minus sind hierzulande jetzt keine Seltenheit. Wo ist das Enteisungsspray für die Schlösser von Auto und Rad? Da halten es viele Leute für eine gute Nachricht, dass an diesem Samstag das erste deutsche Terminal für den Import von Flüssiggas in Wilhelmshaven in Betrieb geht. Der Brennstoff kommt.

Dass die Bun­des­bür­ge­r:in­nen dessen sicher sein können, schien in den ersten Monaten nach dem russischen Angriff auf die Ukraine fraglich. Die Gasspeicher waren ziemlich leer, die Einfuhr durch die Pipelines aus Russland versiegte. Doch die Regierung, vor allem der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, taten das Nötige, sie kümmerten sich um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung. Eine warme Wohnung gehört dazu. Dass Geschäfte, Handwerk und Industrie Energie bekommen und die Beschäftigten Geld verdienen, ist auch nicht unwichtig.

Um die russischen Gaslieferungen zu ersetzen, braucht es Brennstoff aus anderen Quellen. Das Erdgas, das durch Pipelines aus den Niederlanden, Belgien, Norwegen und Frankreich strömt, reicht nicht. So sind neue Erdgashäfen erforderlich. Am ersten – in der Nordseestadt Wilhelmshaven – legte bereits am Donnerstag ein Spezialschiff an, das künftig Flüssiggas (Liquid Natural Gas, LNG) von Tankern übernimmt, es in den gasförmigen Zustand zurückversetzt und an Land pumpt.

Konsequenzen sind zweitrangig

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Normalerweise kann es sechs Jahre dauern, bis ein Windrad steht, zehn Jahre, bis eine Autobahnbrücke erneuert wird. Das Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven wird schon nach zehn Monaten arbeiten – rekordverdächtig. In Kürze sollen ähnliche Anlagen in Brunsbüttel bei Hamburg und in Lubmin an der Ostsee in Betrieb gehen. Bis Ende 2023 könnten acht Spezialschiffe in hiesigen Häfen liegen. Vermutlich wird also genug Gas da sein, um über die Runden zu kommen, zwar teuer, aber immerhin.

Alles andere ist erst mal zweitrangig, hat die Regierung entschieden. Trotzdem sind die Langzeitwirkungen zu diskutieren. Ist diese Tempostrategie unverantwortlich, weil Anlagen ohne gründliche Prüfung errichtet und die Beteiligungsrechte von Bürgern und Verbänden ausgehebelt werden? Das befürchtet die Deutsche Umwelthilfe. Deren Geschäftsführer Sascha Müller-Kraenner bezeichnete es als „Gipfel der Ignoranz“, dass in Wilhelmshaven „sämtliche Einwendungen und Bedenken ohne nachvollziehbare Begründung abgeschmettert wurden“. So bestehe die Gefahr, dass große Mengen Chlor ins Wasser gerieten – in der Nähe des Nationalparks Wattenmeer.

Übertreibt Habeck es mit seiner Einkaufsoffensive? Augenblicklich seien zehn schwimmende und drei stationäre Importpunkte für LNG mit einer Gesamtkapazität bis zu 120 Milliarden Kubikmetern pro Jahr in Planung, heißt es in einem Papier des Bundeswirtschaftsministeriums – deutlich mehr als die rund 50 Milliarden, die vor dem Krieg aus Russland importiert wurden. Ein solches Überangebot an Erdgas könne den Umstieg auf erneuerbare Energien erschweren.

Sicherheitspuffer gegen Knappheit im Frühjahr

Allerdings ist aus heutiger Perspektive schwer zu beurteilen, welche Gasmengen später wirklich ankommen. Auch das Wirtschaftsministerium bezweifelt, dass alle Häfen in Betrieb gehen. Außerdem könnten schwimmende Terminals abgeschaltet werden, wenn stationäre am gleichen Ort ihre Arbeit aufnehmen. Dementsprechend sänke die Gesamtkapazität. Unter dem Strich kalkuliert die Regierung aber wohl einen Sicherheitspuffer ein, um eine dramatische Knappheit wie im Frühjahr zu vermeiden.

Die festen Terminals brauche man auch, um künftig sogenannten grünen Wasserstoff zu importieren, argumentiert die Regierung. Dieser soll etwa in Kanada, Australien oder Namibia mittels Ökostrom aus Wasser gewonnen werden. Wegen physikalischer Unterschiede der Gase sei die Umrüstung von Erdgas auf Wasserstoff sehr teuer und müsse von Anfang an mitgeplant werden, merkte das Fraunhofer-Institut ISI an. Das aber ist schwierig, weil die Produktions- und Transportkette für grünen Wasserstoff bisher nur eine politische Hoffnung darstellt. Noch gibt es sie nirgendwo auf der Welt.

Wie tragfähig Habecks Wasserstoffkonzept also ist: Man weiß es noch nicht. Die Möglichkeit, dass es funktioniert, scheint immerhin vorhanden. Und das kann man, neben einem warmen Hintern, in der augenblicklichen Lage schon für eine ganze Menge halten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.