Risse, Reste und bunte Ornamente

FOUND FOOTAGE Andrei Ujicăs Film „Die Autobiografie des Nicolae Ceaușescu“ eignet sich Propaganda- bilder des rumänischen Herrschers an – und wendet sie gegen die ursprüngliche Intention

Ujică zeigt, wie instabil die Semantik der Propagandabilder ist

Eine „Autobiografie“ nennt der Regisseur Andrei Ujică seinen Montagefilm über Nicolae Ceaușescu. Über 1.000 Stunden staatlich produziertes Filmmaterial, das den rumänischen Diktator in öffentlichen wie privaten Kontexten zeigt, wurde für diese Arbeit gesichtet, gefiltert, neu arrangiert. „Autobiografie“ bedeutet hier: Ein Despot „erinnert“ sich im Medium des eigenen Personenkults an sein Herrscherleben – in Bildern, deren Funktion darin bestand, einen Machtzusammenhang abzusichern.

Die Archivbilder zeigen Ceaușescu als mit Mundtrockenheit kämpfenden Verleser langwieriger Erklärungen, als volkstümlichen Händeschüttler und grotesk ungelenken Folkloretänzer. Sie zeigen ihn beim Abnehmen endloser Militärparaden, beim Baden, Schlittenfahren, Backgammonspielen mit seiner erkennbar humorlosen Ehefrau Elena. Beim Volleyball zieht Ceaușescu immer regelwidrig das Netz herunter, um den eigenen Schmetterbällen eine freie Flugbahn und maximale Wirkkraft zu verschaffen. Mit- und Gegenspieler lachen devot, was bleibt ihnen anderes übrig.

Das „System Ceaușescu“ ist der Autor der staatstragenden Protokollbilder. Auch die Privataufnahmen, die den biederen Charme einer Homestory verbreiten, wurden offiziell in Auftrag gegeben. Insofern bilanziert Ujicăs Film auch 25 Jahre einer totalitären Ikonografie, deren Symbolhaushalt in sturer Monotonie auf das Diktatorbild zugeschnitten war.

Erstaunlich oft jedoch macht Ceaușescu als Protagonist seines eigenen Erinnerungsfilms eine unglückliche, linkische Figur. Mit sicherem Blick präpariert Ujică kuriose Details, Abweichungen, interne Widersprüche. Sein Found-Footage-Film handelt auch davon, wie instabil die Semantik dieser Propagandabilder ist, wie leicht sie durch Montage- und Schnittpraktiken appropriiert und gegen ihren ursprünglich instrumentellen Verwendungszusammenhang gekehrt werden können. Der Regisseur sagte dazu in einem Gespräch mit dem Dramatiker Milo Rau: „Alle Archive von Staatschefs sind Protokollarchive. Aber dennoch, da gibt es Risse und Reste, am Anfang und am Ende der Kassetten. Und in diesen Resten scheinen natürliche Momente auf. Das ist ja eine simple Weisheit: Jeder Mensch, der in eine Rolle schlüpft, ist vorher und nachher er selbst – was immer das heißen mag.“

Weil das Filmmaterial zu 90 Prozent ohne Tonspur archiviert wurde, entschied sich Ujică für eine experimentelle auditive Rekonstruktion, die die Bilder zusätzlich verfremdet. An manchen Stellen fungieren Musikeinblendungen (von Ligeti bis Bobby Fuller) als dissidente Signatur. Über weite Strecken bleiben aber leergefegte Tonräume zurück, die die historischen Akteure in Gespenster des real existierenden Kommunismus verwandeln. Die unfreiwillige Komik lässt zuweilen jedoch auch an Figuren eines Tati-Films denken.

Noch mal anders aus dem Rahmen fallen die schier unglaublichen Aufnahmen der entfesselten Stadion-Choreografien, die Ceaușescu bei den Treffen mit seinem nordkoreanischen Diktatorkollegen Kim Il Sung erwarteten. Bunte Massenornamente auf dem Produktionsniveau von MGM-Musicals, die Ceaușescu die Sprache verschlagen und ihn, folgt man Ujicăs Montagelogik, zu absurd monumentalistischen Bauprojekten wie der „Casa Poporuli“ in Bukarest inspirieren. Die trotz aller Risse und Reste sorgfältig inszenierten Repräsentationsroutinen zeugen von einem Größenwahn, der seinem eigenen Mythos erlag, weil er sich keinen Außenblick mehr vorstellen konnte. „Die Autobiografie Nicolae Ceaușescu“ liefert insofern psychopathologisch verzerrte Innenansichten: Projektionen eines Herrscher-Ichs, die zugleich bittere historische Realität waren. SIMON ROTHÖHLER

■ „Die Autobiografie des Nicolae Ceaușescu“. Regie: Andrei Ujică. Rumänien 2010, 180 Min., im Kino in der Brotfabrik