starke gefühle
: Ein vollständiges Nikotinverbot geht zu weit

Die Welt des Rausches soll moralisch ins Abseits gestellt werden, mit einer gefährlichen Bereitschaft, eine Gesundheitsdiktatur zu errichten

Wer überall und immer rauchen möchte, sollte künftig nicht Neuseeland, dieses Land very down under, als Ziel der Auswanderung auswählen. Denn die Regierung von Jacinda Ardern hat ein Gesetz beschlossen, demzufolge Jugendliche mit einem lebenslangen Rauchverbot (von Zigaretten) belegt werden. Konkret: Tabak darf nicht mehr an Menschen verkauft werden, die nach dem 1. Januar 2009 geboren wurden. Zusätzlich wird das Mindestalter für den Kauf von Zigaretten jedes Jahr heraufgesetzt.

Das ist auch für erwachsene Rau­che­r*in­nen ein drakonisches Gesetz. Es markiert nicht nur ein Ende der hedonistischen Ära, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann und seit vielen Jahren dank eines immer stärkeren biopolitischen Regimes gerade in den aufgeklärt-liberalen Staaten zurückgedrängt wird. Frauen, die sich eine anstecken, wie noch in der TV-Serie „Mad Men“, und sich dabei eine emanzipatorisch gesinnte Schneise gegen weibliche Schicklichkeit schlugen – das Rauchen war ganz früher eine Untugend, die mit Prostitution und liederlichen Weibermanieren assoziiert werden konnte –, das ist nun vorbei. Keine Bilder mehr von Aschenbechern, in denen sich Gebirge an Kippen türmen. Unsere Zeiten sind sauberer geworden, Hinweise auf die Kosten des Volkskrankheitsherds „Nikotin“ genügen inzwischen überall in der „westlichen“ Welt, um Rau­che­r*in­nen als terroristisch wider die Nächsten zu geißeln.

In Spanien und Schweden darf inzwischen nicht mehr nur nicht in Bars und Kneipen geraucht werden, auch an frischer Luft ist dies verboten. Irre, oder? Selbst dort, wo es niemandem außer womöglich einem selbst schadet, ist es strikt untersagt. Dasselbe in Teilen der USA und in Kanada: Das Duo coffee and cigarettes hat ausgedient. Wer heute noch raucht, befindet sich im Recht­fer­tigungs­modus. Das vergällt Rau­che­r*in­nen die Laune, klar. Aber, so würden sie in Schweden, der pädagogischen Gesellschaft schlechthin, belehrt werden: Das tut dir nur gut!

Und es ist ja auch wahr: Rauchen schadet. Fahlere Haut, gelegentlich unfrische Gesichtsfarbe, Gefäßerkrankungen im Alter, ein stark erhöhtes Krebsrisiko in den Bereichen Lunge, Mundhöhle, Hals und so weiter. Wahr ist jedoch auch: Das Rauchen ist für viele – jedenfalls meiner Generation – untrennbar mit Geselligkeit, Entgrenzung und Gefahr verbunden, sonst wäre das Laster ja nicht so attraktiv. Rau­che­r*in­nen wissen, dass sie mit ihrer Gesundheit, mithin mit ihrem Leben spielen. No danger – no fun!

Wo geraucht wird, ist es lustiger und kommunikativer. Etwa in Raucherecken, selbst in den Raucherloungen in Flughäfen, wenngleich diese, abgesehen von Zürich, überall wie Käfige für Aussätzige gestylt sind, nutzlos abschreckend.

Neuseelands Gesetzesschritt ist sicher nur der Anfang, andere Länder werden folgen. Gesundheitspolitiken werden das Dirigat vollpädagogisch begründet ausüben, da nützt kein kulturkritischer Einwand. Andererseits, so viel Realitätssinn ist den Nikotin-Bäh-Taliban zuzumuten, macht dies das Rauchen für die Süchtigen eher attraktiver, weil noch verbotener. Das ist wie mit dem Veganen oder Vegetarischen. Schmeckt nur manchmal, aber das Fleisch, das noch gegessen werden kann, wird umso stärker munden.

Deshalb ein Vorschlag zur Güte: Wer auf Verbotskurs ist, muss, um mit dieser Verbieterei Erfolg zu haben, Inseln für die Ausübung der Suchtbefriedigung schaffen. Also bitte keine Restriktionen vor Kneipen, kein Flughafen mehr ohne Raucherterrasse (Kopenhagen, La Palma), kein Bahnsteig ohne Raucherareal. Es ist eine architektonische Unsitte, etwa auf dem Berliner Hauptbahnhof selbst im Open-Air-­Bereich, keine Nikotinsuchtecke mehr zu finden.

In Neuseeland werden Zigaretten zum Luxusgut. Das ist okay so! Was viel kostet, wird gleich als wertiger empfunden – Rauchen ist dann kein Ramsch mehr.

Neuseelands Gesetzesfuror wider das Nikotin leuchtet gesundheitspolitisch ein. Doch eine Welt, die im Alltag mehr Abhängigen kleiner Drogen nachsetzt als etwa echten Kriminellen (Drogenkartelle, Geldwäschereien et al.), die immer reiner, ja steriler werden soll, sagt etwas über die Haltung der Gesundheitsfanatiker aus: Die Welt des kleinen, großen Rauschs soll moralisch ins Abseits gestellt werden, mit gleichzeitig gefährlicher Bereitschaft, eine Gesundheitsdiktatur zu erschaffen.

Eines Tages wird es nur noch koffeinfreien Kaffee, teeinfreien Tee und fettlose Milch geben. Aus der Perspektive meiner Generation gesprochen: Das soll noch ­Leben sein? Jan Feddersen